Ein Samstagnachmittag Anfang September in Lauda-Königshofen, einer Kleinstadt im Nordosten Baden-Württembergs. Die Ortsgruppe der lädt zur Kundgebung, eingeladen ist der Thüringer Fraktionsvorsitzende Björn Höcke. Aus den Lautsprechern der Bühne ertönt aber erst einmal Musik, ein Mix aus sanften Klaviertönen und brachialen Drums. Eine weibliche Stimme setzt ein: "Wer zeigt den politischen Willen zur Veränderung? Wer übernimmt die Verantwortung bei Verbrechen ohne Vernunft? Wer denkt heute noch an die Opfer?" Der Song handelt von ausländischen Tätern und deutschen Opfern.
Der Song mit dem Titel Kandel ist überall stammt von einer Musikgruppe namens Runa & Rebellin. Treibende Kraft ist die Sängerin Ramona Naggert, genannt Runa. Sie ist seit Jahren in der extremen Rechten verankert. Für die Partei ist das offenbar kein Problem. Ausgesucht hat das Lied die Vorsitzende der AfD Main-Tauber, Christina Baum. Sie kandidiert auf dem achten Platz der baden-württembergischen Landesliste. Die enge Höcke-Vertraute, die in der Vergangenheit vom "Bevölkerungsaustausch" gesprochen und Unterstützung für die rechtsextreme Identitäre Bewegung signalisiert hatte, wird mutmaßlich in den Bundestag einziehen.
Dass rechte Musiker für die AfD trommeln, ist keine Seltenheit. Bereits 2016 etwa trat die Sängerin Melanie Schmitz bei einer Wahlparty der AfD im mecklenburg-vorpommerischen Schwerin auf. Schmitz ist Mitglied der Identitären Bewegung.
Entsprechend wenig überraschend ist die Nähe von Kandidatin Baum zu Sängerin Runa. Beide engagieren sich für ähnliche Anliegen. Ende 2017 tötete ein afghanischer Jugendlicher seine 15-jährige Ex-Freundin im rheinland-pfälzischen Kandel. Der Ort wurde zum Symbolbild einer gescheiterten Asylpolitik, Rechtsextremisten protestierten in der Stadt. Baum rief damals zu Demonstrationen auf und gründete ein Bündnis. In einem Manifest forderte sie einen "sofortigen Stopp jedweder Zuwanderung nach Deutschland".
AfD-Slogan wird zum LiedtitelDer Name von Baums Bewegung: Kandel ist überall - wie das Lied, das Sängerin Runa später aufnahm. Darin heißt es auch: "Kandel ist überall, wir erleben es in fast jedem Ort. Kandel ist überall und sie setzen es ungestraft fort."
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Die AfD gibt einen Slogan vor, rechte Sänger vertonen ihn: eine Symbiose, die Generationen überbrückt. Baum ist 65, Runa Ende 20. Die Musikerin stammt aus Nordrhein-Westfalen. Inzwischen lebt sie mit ihrem Ehemann, dem unter dem Pseudonym Prototyp auftretenden rechtsextremen Rapper Kai Naggert, in Sachsen. Ihre Stimme klingt bestimmt und einfühlsam zugleich. In Musikvideos wirkt ihr Auftreten hingegen gestellt und verkrampft. Wer einen Blick auf ihr Instagram-Profil wirft, gewinnt den Eindruck, sie sei eine unpolitische Frau: Runa posiert am See, steht mit sportlicher Kleidung im Wald. Die Fotos lassen keineswegs vermuten, dass sie eine Aktivistin der rechtsextremen Szene ist.
Ihre Texte legen jedoch Gegenteiliges nahe. Ihren ersten Tonträger Klare Worte brachte 2017 das Neonazilabel Rebel Records heraus. Der Song Meine Pflicht das Erbe glorifiziert die Taten der Wehrmacht: "Einst zogen die Männer in den Krieg und sie wussten, sie lassen ihr Leben, um Europa zu beschützen - mit viel Mut gegen Rotarmisten." Im Refrain singt sie: "Meine Pflicht das Erbe unserer Ahnen, kein Vergessen, kein Vergeben und die Fahnen werden weiter im Wind wehen." Das Lied ist eine Ode an Großdeutschland unter dem Hakenkreuz.
Als Kandel ist überall auf der Wahlkampfveranstaltung abgespielt ist, dankt Baum den Musikern, "dass sie diese Probleme (...) musikalisch aufgearbeitet haben". In ihrer Rede knüpft sie an den Liedtext an und klagt, Deutschland werde zum "Fremdland" und begehe einen "kulturellen Selbstmord".
Politikerin distanziert sich nichtAuf eine Anfrage zum rechtsextremen Hintergrund der Musikerin reagiert Baum gereizt. Die Politikerin beklagt "Spaltungs- und Diffamierungsversuche der kommunistischen Presse", spricht von "Denunziantentum" und "Gesinnungsschnüffelei". Bei Runa sehe sie sich einer "kritischen und klugen jungen Frau" gegenüber, "die sich mit den Herausforderungen unserer Zeit auseinandersetzt".
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Was wir machen - und wie man mitmachen kannDer Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs forscht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu rechtsextremer Musik. Dass die Partei auf rechtes Liedgut zurückgreift, verwundert ihn nicht. "Die AfD verfügt weder über eine Haus- und Hofband noch lässt sich ein annähernd systematisierbarer Soundtrack erkennen. Letztlich braucht die Partei gar keine 'eigene' Musik, weil sie auf das vorhandene Angebot aus dem Mainstream und aus der rechten Szene zurückgreifen kann", sagt er.
Inzwischen hat Runa ihre Strategie gewechselt. Vordergründig wahrt sie Distanz zur Neonaziszene. Sie möchte ein breites Publikum erreichen und anschlussfähig sein. Ihr neuer Tonträger Warum aus dem aktuellen Jahr erschien nicht mehr bei einem Neonazilabel, sondern auf einem Musikverlag der Neuen Rechten. Dass die Verbindungen zur Neonaziszene dennoch halten, zeigt das neue Album. Es enthält eine Coverversion des Songs Für unsere Kinder der Neonazicombo A3stus, lediglich mit einer geänderten Zeile.
"Unter Fans und einigen Unternehmern der rechtsextremen Musikszene wird durchaus diskutiert, inwiefern die AfD der eigenen Bewegung nutzen könnte", sagt Musikwissenschaftler Hindrichs. "Aber die rechtsextremen Musiker meiden in der Regel allzu offene Aufrufe zur Wahl der Partei." Runa ist eine Ausnahme. Sie liefert einen Soundtrack zur Wahl der AfD. Im Lied Die Partei fragt sie: "Wen kann man heut noch wählen? Wer spricht heute noch fürs Volk? Wer ist auf unsere Herkunft stolz?" Im Laufe des Songs fragt sie, ob "Rot und Grün und Gelb und Schwarz" die Lösung sein könnten. Es gebe noch eine Partei. Zwar wird der Name gemieden. Aber die Erzählung im Song macht klar, wer gemeint ist. Sie meint die Hoffnung vieler Neonazis: die AfD.