Wegen der neuen Europäischen Erbrechtsverordnung sollten potentielle Erblasser ihre Verfügungen bis zum 15.8.2015 genau unter die Lupe nehmen, empfiehlt Anwalt Heinz-Jochen Spilker aus Erfurt. Basenio sprach mit dem Juristen über das neue Gesetz.
Herr Spilker, brauche ich, 32 Jahre alt, ein Testament?
Heinz-Jochen Spilker: Das kommt darauf an. Wer nichts hat, braucht kein Testament. Besitzen Sie jedoch Vermögen und/oder Grundstücke und verbringen Sie beispielsweise ihre Freizeit gerne damit, mit 180 km/h Motorrad zu fahren oder ähnliches, dann empfehle ich Ihnen dringend ein Testament - unabhängig vom Alter. Testamentarische Vorsorge ist immer ratsam. Denn es wäre schlichtweg verantwortungslos gegenüber der nachfolgenden Generation, die Erbfolge nicht zu Lebzeiten zu regeln.
Worauf muss ich denn beim Verfassen eines Testaments achten?Sorgen Sie vor allem dafür, dass es gefunden wird und nicht verschwinden kann. Das geschieht am besten durch Hinterlegung beim Amtsgericht. Das kostet nur kleines Geld und bietet große Sicherheit. Natürlich können Sie es theoretisch auch im Nachtschränkchen aufbewahren, aber davon rate ich dringend ab: Testamente kommen merkwürdigerweise leicht weg. Am sichersten ist ein notarielles Testament, vor allem im fortgeschrittenen Alter. Der Notar überzeugt sich von ihrer Testierfähigkeit. Damit wird praktisch ausgeschlossen oder zumindest erheblich erschwert, dass die Überlebenden es mit der Behauptung angeblicher geistiger Umnachtung oder Demenz anfechten.
Was ist, wenn sich die Gesetze nach dem Testieren geändert haben?Im Regelfall verbleibt es bei den rechtlichen Bestimmungen, die zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung galten. In den letzten Jahrzehnten waren die Änderungen des Erbrechts auch nicht so gravierend. Aber zum 15. August 2015 tritt die EU-Erbrechtsverordnung in Kraft, unter anderem mit dem Ziel, das Erbrecht in der EU zu harmonisieren. Dann können Sie als deutscher Staatsbürger selber entscheiden, nach welchem Recht Sie beerbt werden möchten: nach dem deutschen Erbrecht oder nach den Gesetzen des Staates, in dem Sie sich zuletzt für gewöhnlich aufgehalten haben.
Was bedeutet das konkret?Bisher war die Regelung wie folgt: Für Ihren Sterbefall wurde das Erbrecht des Landes angewandt, dessen Staatsangehöriger Sie sind. Wenn ein Italiener 40 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hat, war er trotzdem an das italienische Erbrecht gebunden. Bei Grundstücken galt hingegen das Erbrecht des sogenannten Belegenheitsstaates, also des Landes, in dem sich das Immobilienvermögen befindet. Juristen sprachen daher von einem gespaltenen Erbrecht. Ab dem 17. August 2015 gilt für die meisten Europäer jedoch das Recht des Staates, in dem sie ihren „letzten gewöhnlichen Aufenthalt" hatten. Für alle Vermögensgegenstände tritt nun ein einheitliches Erbrecht in Kraft, gleichgültig in welchem EU-Land sich der jeweilige Nachlassgegenstand befindet. Wenn Sie als Deutscher längere Zeit im Ausland leben, aber weiterhin nach deutschem Recht vererben wollen, sollten Sie eine entsprechende Rechtswahl-Klausel ins Testament aufnehmen.
Wo gilt diese Verordnung?Da es sich um eine Verordnung der Europäischen Union handelt, gilt sie nur in den EU-Staaten - ausgenommen Großbritannien, Irland und Dänemark.
Worin unterscheiden sich die Erbrechtsvorschriften in anderen EU-Staaten von den deutschen?Das Pflichtteilsrecht ist beispielsweise ein typisches deutsches Konstrukt. In einigen anderen europäischen Staaten, z.B. in Malta, gibt es das nicht. Wenn ein deutscher Rentner seinen Lebensabend auf Malta verbringt und am 15. August 2015 oder danach verstirbt, gilt das Erbrecht Maltas, sofern er sich in seinem Testament nicht auf das deutsche Erbrecht festgelegt hat. Das hieße, dass seine Ehefrau und seine Kinder kein Recht auf einen Pflichtteil hätten. Eine eventuell mit auf Malta lebende Geliebte des Verstorbenen hätte dagegen gute Chancen, alles zu erben - wenn sie denn im Testament als Alleinerbin eingesetzt ist.
Was passiert eigentlich, wenn die Kinder vor den Eltern sterben?Dann kommt die sogenannte Generationenfolge durcheinander, denn häufig hat die jüngere Generation noch nicht testiert. Ein Beispiel: Der Sohn stirbt vor den Eltern, die ihm zu Lebzeiten Geschäftsanteile an ihrem Unternehmen unentgeltlich übertragen haben. Die Anteile würden bei gesetzlicher Erbfolge im Falle seines Todes an seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder fallen. Die Eltern des Verstorbenen müssten deshalb den Geschäftsanteil an dem von ihnen aufgebauten Unternehmen für teures Geld zurückkaufen. Um das zu vermeiden, ist es sinnvoll, bei Vermögensübertragungen unter Lebenden eine Rückfallklausel in das Testament einzufügen. Wenn der Beschenkte vorverstirbt, fällt der Vermögensgegenstand automatisch an den Schenker zurück.
Interview: Thomas Fritz
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