Thomas Fritz

Freier Sportjournalist und Texter (Print, Online), Leipzig

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Nachwuchs-Schiri will in der Bundesliga pfeifen

Nachwuchs-Schiedsrichter Yannick Luca Voigt. Foto: Thomas Fritz

Schiedsrichter Yannick Luca Voigt (SG Leipzig-Bienitz) träumt von der Bundesliga und lässt sich von Negativschlagzeilen nicht abschrecken. Schlechte Erfahrungen hat er bisher nur mit Eltern gemacht.

Von Thomas Fritz

Ein Sonntagnachmittag auf dem Fußballplatz der Sportschule „Egidius Braun" in Leipzig-Abtnaundorf. Wo die meisten der 120 Zuschauer einfach nur ein lockeres 9:0 der Frauen-Elf von RB Leipzig in der Regionalliga Nordost gegen Erzgebirge Aue sehen und sich über das schöne Fernschuss-Tor von Ex-Nationalspielerin Anja Mittag freuen, hat Yannick Luca Voigt fast nur Augen für das Schiedsrichter-Team. Ein nicht gegebener Vorteil, eine nicht gepfiffene Ecke, eine korrekt erkannte Abseitsstellung: Dem fachkundigen Blick des 14-Jährigen entgeht kaum ein Detail. Hat er wieder etwas gesehen, dass ihr nicht aufgefallen ist, lächelt seine Mutter Silke Voigt anerkennend.

Yannick Voigt zählt mit zu den jüngsten der mehr als 400 Schiedsrichter beim Fußballverband der Stadt Leipzig (FVSL). Er steht seit der Saison 2017/18 auf dem Rasen und leitet Kleinfeldpartien bis zur D-Jugend, wo 11- bis 12-Jährige auflaufen. Ein typisches Wochenende sieht so aus: Einen Tag hat der Schüler die Pfeife in der Hand, manchmal sogar bei zwei Partien. Den anderen läuft der Linksfuß für die SG Leipzig-Bienitz, ein Verein im Nordwesten der 600.000-Einwohner-Stadt, als Mitteldfeldspieler auf. Elf Euro bekommt er pro Ansetzung, plus Fahrtgeld. Was motiviert den Teenager, seine Freizeit auf den Sportplätzen der Stadt zu verbringen? Was ist das Faszinierende daran, Schiri zu sein? Und wie hat er die jüngste Debatte um Gewalt gegen Schiedsrichter verfolgt?

Noch nie eine rote Karte gezückt


Das Video vom brutalen Angriff eines Spielers auf einen Unparteiischen in Südhessen Ende Oktober sah Yannick Voigt wie viele anderen Menschen in den sozialen Netzwerken. „Das darf einfach nicht sein, dass da einer auf den Schiedsrichter losgeht", sagt er nachdenklich. Am letzten November-Wochenende wurde in der Oberliga Nordost (Staffel Nord) schon wieder ein Angriff dokumentiert. Ein Fan des MSV Pampow schlug beim Verlassen des Spielfeldes auf den Unparteiischen ein, obwohl er von Sicherheitskräften begleitet wurde.

Schlechte Erfahrungen nur mit Eltern

Voigt hat in seinem 60 bis 70 geleiteten Partien noch nichts Vergleichbares erlebt, er musste noch nicht mal eine rote Karte zeigen. „Auf dem Kleinfeld ist Reden wichtiger als Karten zücken, viele Kinder kennen die Regeln ja noch nicht mal richtig", sagt er. Dafür komme von den Eltern schon mal der eine oder andere Spruch, wenn sie mit einer Entscheidung gegen ihren Nachwuchs nicht einverstanden sind. „Da muss man einfach weghören. Den Zuschauern kann ich ja nicht Gelb zeigen." Der 14-Jährige erlebt das Verhalten mancher Erziehungsberechtigter als grenzüberschreitend, mit Spielern hat er noch keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Viele junge Schiris bei der SG Bienitz

Vorfälle wie in Südhessen oder in Mecklenburg-Vorpommern schrecken ihn nicht von seinem Hobby ab. „Bei den älteren Jugendlichen", sagt er, „herrscht aber schon ein anderer Ton." Beim Match der RB-Frauen ist die Atmosphäre zwischen Spielerinnen und dem Schiri-Gespann entspannt, zur Pause steht es 3:0 für die Heimelf. „Das sind die einfachsten Spiele für uns", meint Voigt, „wenn eine Mannschaft hoch führt."

Als er 12 ist, spricht ihn ein Trainer im Verein an. Schiri-Nachwuchs ist heiß begehrt, denn stellt ein Klub zu wenige Unparteiische, drohen Geldstrafen bis hin zu Punktabzügen. Wenig später besucht der Schüler einen der zweimal jährlich angebotenen Lehrgänge des Leipziger Fußballverbandes, als jüngster Teilnehmer überhaupt. Drei Tage muss er insgesamt kommen, von früh bis spät. Basiswissen, Regelkunde, Ausdauertest. Bei der SG Leipzig-Bienitz gibt es aktuell vier Unparteiische bis zum Alter von 18 Jahren, laut Vereinsangaben ist es eines der jüngsten Schiri-Teams in Deutschland überhaupt. „Ich bin sehr zufrieden mit unserer Jugend, denn im Kreis gibt es zu wenige Schiedsrichter", sagte Vereinspräsident Andre Schneider kürzlich dem SPORTBUZZER. „Vor allem im fortgeschrittenen Alter wird es immer schwieriger, die Schiedsrichterei mit dem Beruf und dem Partner oder der Familie in Einklang zu bringen." Die Negativschlagzeilen über Beschimpfungen und Gewalt machen die Tätigkeit nicht unbedingt attraktiver.

Pfeifen stärkt soziale Kompetenzen

Schon ein paar Monate nach dem erfolgreich abgeschlossenen Lehrgang steht Yannick Voigt das erste Mal auf dem Feld, die Aufregung ist groß. „Es war ein bisschen peinlich", lacht seine Mutter. Der Sohn lacht ebenfalls - und widerspricht: „Peinlich wäre übertrieben, aber ich habe einen Ball selbst aus dem Aus geholt, weil ein kleines Kind nicht rankam. Ich wusste nicht, dass ein Schiedsrichter so etwas nicht macht."

Mit der Zeit steigt die Routine, die Nervosität nimmt ab. Anderen die Regeln zu erklären, macht ihm viel Spaß. Es stärkt soziale Kompetenzen und die Persönlichkeitsentwicklung. In der Schule war er viele Jahre Klassensprecher. Durch das Pfeifen kann er seinen Standpunkt noch besser vertreten. Ob er zu Hause auch so auf Regeln und Ordnung achtet wie auf dem Feld? „Ja", sagt Silke Voigt. „Ich kann nicht meckern." Der Sohnemann ist übrigens der erste Unparteiische in der Familie. Alle sind stolz auf ihre „Pfeife".

In drei Jahren will er aufs Großfeld

Auf dem Rasen in Leipzig-Abtnaundorf erlebt das Schiedsrichter-Gespann derweil eine ruhige zweite Halbzeit, ohne Aggressionen, ohne Gepöbel. Beim Frauenfußall geht es meist gesitteter zu als bei den Männern. Kurz vor Schluss bekommt RB Leipzig nach einem Handspiel einen Elfmeter zugesprochen. „Das müsste noch Gelb geben", sagt Yannick Voigt. Sekunden später zückt die Unparteiische tatsächlich eine Verwarnung. „Alles richtig gemacht", lobt der Nachwuchs-Referee, der in zwei, drei Jahren selbst Großfeldpartien leiten will.

Bei den Männern von RB trug er diese Saison schon dreimal das Champions-League-Banner mit anderen Kindern und Jugendlichen ins Stadion. Irgendwann will er auch als Schiedsrichter auf der ganz großen Fußballbühne stehen. „Mal in der Bundesliga pfeifen", sagt Voigt, „das ist schon ein Traum."

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