Thomas Fritz

Freier Sportjournalist und Texter (Print, Online), Leipzig

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Rechtsextreme im Fußball: Schon wieder Chemnitz

Gedenken an einen Neonazi in Chemnitz. Foto: dpa

Rechtsextreme erpressen einen Club – und der lässt sich erpressen. Nach der Ehrung eines verstorbenen Neonazis beim Chemnitzer FC scheint klar, wer dort das Sagen hat.

Von Thomas Fritz

Das Bild auf der Videoleinwand im Stadion des Chemnitzer FC zeigt einen grimmig dreinblickenden Mann. Glatze, dunkles Käppi, dunkle Weste und eine große Kette um den Hals. Es ist ein Foto von Thomas Haller, ein kürzlich gestorbener Fan des Fußball-Regionalligisten aus Sachsen.

Die Fankurve der Himmelblauen trägt vor der Partie gegen die VSG Altglienicke Schwarz, die Ultras hissen ein Kreuz und zünden Bengalos, am Zaun flattert ein Banner in altdeutscher Schrift, der Stadionsprecher findet warme Worte für den Verstorbenen. Nur: Haller war kein harmloser CFC-Anhänger. Er galt als einer der führenden Vertreter der lokalen Neonazi- und Hooliganszene, war Mitbegründer der bis 2007 aktiven Organisation HooNaRa (Hooligans-Nazis-Rassisten) und soll laut MDR auch an den Ausschreitungen im Sommer beteiligt gewesen sein. Bis 2006 leitete er den Ordnungsdienst beim CFC, bis zuletzt ein Security-Unternehmen. Eine offizielle Ehrung für einen Neonazi - der Chemnitzer FC hat sich ins Abseits manövriert.

Jahrelange Versäumnisse

Es gibt zwei Deutungen der Ereignisse. Laut dem Insolvenzverwalter Klaus Siemon drohten rechte Fans mit "massiven Ausschreitungen", sollte Haller nicht in ihrem Sinne geehrt werden. Die Verantwortlichen der Spieltagsorganisation gaben nach Absprache mit der szenekundigen Polizei den Forderungen nach. Für Fanforscher Robert Claus besitzt diese Form der Erpressbarkeit eines Fußballclubs eine neue Dimension. "Etwas Vergleichbares", sagt er, "fällt mir kaum ein." Der Experte leitet daraus ab, wo das politische Gewalt- und Machtmonopol in der Welt des Chemnitzer FC und seiner Fanszene liegt: bei den Neonazis.

Der Club wusste sich angesichts des vermeintlichen Bedrohungsszenarios nicht anders zu helfen, so stellt er es selbst dar. "Ob das stimmt oder eher einer Schutzbehauptung nahekommt, muss im Moment noch offenbleiben", kommentierte die Freie Presse aus Chemnitz. Im Umkehrschluss würde das bedeuten, einzelne Mitarbeiter hätten die Ehrung Hallers wohlwollend in die Wege geleitet. Das widerspräche der bisherigen Darstellung und wäre ein noch größerer Skandal.

Daran knüpft die zweite Deutung der Ereignisse an. Sie besagt, dass der Club die Vorkommnisse am Samstag selbst zu verantworten hat, weil es jahrelang versäumt wurde, den rechtsextremen Anhängern klare Grenzen aufzuzeigen. Zwar haben die Ultragruppen NS-Boys und Kaotic Chemnitz seit 2006 beziehungsweise 2012 ein Auftrittsverbot im Stadion, doch in der Kurve sind die Neonazis als Einzelpersonen oft bis heute präsent - und einflussreich.

"Wirkungslose Symbolpolitik"

Verbote sind das eine. Der Fanforscher Claus bemängelt zudem, dass eine langfristige, präventive Fanarbeit gegen extrem rechte Einstellungen fehlt. "Stattdessen ist der CFC von einer hilflosen, plakativen Maßnahme zur nächsten geeilt und hat andauernd versucht, Brandherde zu löschen", sagte er. Die missglückte Trauerfeier ist in seinen Augen letztlich ein fatales Ergebnis dieser "wirkungslosen Symbolpolitik".

Genauso verfehlt kommt auch das Krisenmanagement des CFC daher. Noch am Tag nach dem Altglienicke-Spiel verbreitete der Club fragwürdige Botschaften. In einer Mitteilung hieß es, bei der Ehrung Hallers habe es sich weder um eine "offizielle Trauerbekundung" noch um eine "Würdigung des Lebensinhalts des Verstorbenen" gehandelt. Jeder, der im Stadion saß, konnte sich vom Gegenteil überzeugen.

Der Schaden ist schon da


Das Vorstandsmitglied Thomas Uhlig trat als Verantwortlicher der Spieltagsorganisation einen Tag später zurück. Der Stürmer Daniel Frahn, der nach seinem Tor ein T-Shirt mit dem Spruch "Support Your Local Hools" in die Höhe hielt, wurde zu einer Geldstrafe verdonnert. Das war's.

Erst zwei Tage nach den Geschehnissen distanzierte sich auch der CFC deutlich. Die Fanbeauftragte, die dem Verstorbenen auf Facebook ihren Respekt gezollt hatte, ein Mitarbeiter der Medienabteilung und der Stadionsprecher mussten gehen. Die Ultras sehen darin "Bauernopfer" aufgrund des medialen Drucks. Der Club hat mittlerweile bei der Polizei wegen Nötigung und eines angedrohten Landfriedensbruchs Anzeige gegen Unbekannt erstattet. 

Doch der Aktionismus kommt zu spät, der Schaden ist schon da. Ein Sponsor will sein Engagement sofort einstellen. Und auch das Image der Stadt, das im Sommer nach rechten Ausschreitungen arg gelitten hatte, bekommt erneut Kratzer. Schon wieder Chemnitz.

 Eine Überraschung ist das nicht. Zu viele Chemnitzer stehen den rechten Umtrieben gleichgültig gegenüber. Die Nazi-Hool-Szene in der drittgrößten Stadt Sachsens gehört zu den organisiertesten und gewalttätigsten in Deutschland, hier gedieh ein Unterstützernetzwerk des NSU. Rechtsrockkonzerte, Kneipen, Kampfsportstudios: Thomas Haller, der im Alter von 52 Jahren einem Krebsleiden erlag, war in diesem Milieu eine zentrale Figur. Seine Anhänger sind ihm treu ergeben – bis nach seinem Tod.

Der CFC bekam das zu spüren. Bei Staatsschutz oder Polizei Hilfe suchen, um die Geschehnisse zu verhindern? Das Spiel absagen? Den Fußballverband informieren? Die Verantwortlichen entschieden sich für die schlechteste aller möglichen Optionen. Für Robert Claus ist das der Ausdruck eines "maximal fehlenden Problembewusstseins". Der Club muss nun die wirtschaftlichen Folgen und den Imageschaden tragen. Und dass die Himmelblauen eine überragende Saison spielen und trotz Insolvenzverfahren vor dem sofortigen Wiederaufstieg in die dritte Liga stehen, interessiert im Moment auch niemanden mehr.

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