Interview: Thomas Fritz
Herr Bauermann, Dirk Nowitzki spielt seit 1998 für die Dallas Mavericks, derzeit eines der schlechtesten Teams der NBA. Sein Vertrag läuft bis 2019. Soll er sich eine weitere Saison Profibasketball wirklich antun?
Dirk Bauermann: Von Antun kann keine Rede sein. Dirk spielte eine sehr gute Saison, wenn auch in keiner guten Mannschaft. Er hat kaum Spiele verpasst, gesundheitlich ist er noch voll da. Er braucht keine kluge Einschätzung, wie es für ihn weitergeht. Das kann er selbst entscheiden.
Nowitzki könnte in der kommenden Spielzeit mit 21 Jahren im Dienst einer Mannschaft den NBA-Rekord knacken. Aber wäre es nicht reizvoller, noch ein Jahr zu einem Favoriten zu gehen - mit der Chance auf seinen zweiten Titel?Bauermann: Nein, darum geht es ihm nicht. Dirk ist einer der loyalsten Spieler, die ich kennengelernt habe. Das ist ein Wert, der sicherlich etwas verloren geht. Dass Dirk sich so loyal den Mavericks gegenüber verhält, finde ich großartig.
Sie haben Nowitzki als Jahrtausendtalent bezeichnet. Was macht ihn dazu?
Bauermann: Ganz vieles. Das unglaubliche Talent für die Sportart: Hand-Augen-Koordination, Ballgefühl, die Koordination bei einer Größe von 2,13 Metern. Dann der unbedingte Wille, zu jedem Zeitpunkt die bestmögliche Version seiner selbst zu sein, sich auch noch mit 36, 37 Jahren im Sommer zu schinden. Und natürlich die extreme menschliche Qualität. Wer ihn als Freund hat, kann sich nur selbst beglückwünschen.
Sie waren acht Jahre lang Bundestrainer. Wie haben Sie die Arbeit mit ihm erlebt?
Bauermann: Es war Freude und Herausforderung zugleich. Dirk ist einer, der sich immer hundertprozentig einsetzt. Einer, den man nie treiben muss. Ganz im Gegenteil. Er hat enorm viel an seinen Fähigkeiten gearbeitet und damit ein Beispiel für alle anderen Nationalspieler gesetzt, gerade für die jüngeren. Ich habe ihn sehr kooperativ im Umgang erlebt, aber auch als Spieler - das ist bei allen Großen so -, der viel erwartet und fordert. Nicht nur vom Umfeld und den Mitspielern, sondern auch von seinem Trainer.
Hat er Sie und seine Teamkollegen auch mal überfordert?
Bauermann: Dirk hat immer Höchstleistung von allen erwartet, auch von sich selbst. Überfordert hat er niemanden, auch seine Mitspieler nicht. Aber er hasst Indifferenz, mangelnden Einsatz, Egoismus und vor allem Niederlagen. Da konnte er schon mal böse werden.
Normalerweise lernt der Spieler vom Coach. Haben Sie dem NBA-Profi etwas beibringen können?
Bauermann: Ich glaube nicht, dass er irgendwas von mir lernen konnte. Wir haben nur versucht, möglichst optimale Bedingungen zu schaffen, damit er seine Leistung abrufen konnte.
Und umgedreht: Hat Nowitzki Sie etwas gelehrt?
Bauermann: Ja. Die Fähigkeit, sich auf die ganz besonderen Moment mit laserscharfem Fokus zu konzentrieren und immer die innere Ruhe zu behalten.
Gibt es einen gemeinsamen Moment, der besonders haften geblieben ist?
Bauermann: Wie er nach der erfolgreichen Qualifikation für die Olympischen Spiele 2008 in Peking (Nowitzkis einziger Olympiaauftritt/d. Red.) in der Umkleidekabine mit dem Handtuch über dem Kopf zutiefst gerührt war. Das war der schönste Eindruck, weil das gezeigt hat, wie wichtig ihm, dem NBA-Profi, die Nationalmannschaft und die Qualifikation waren. Im Übrigen ein großer Moment für uns alle.
Nur wenige Europäer werden in der NBA zum Star. Arvydas Sabonis, Dražen Petrović, Tony Parker, Pau Gasol: Ist Nowitzki der beste europäische Basketballer überhaupt?
Bauermann: Aus meiner Sicht schon. Und nicht nur das: Er ist einer der besten Basketballer aller Zeiten.
Wenn wir schon bei seinem Lebenswerk sind: Wo reiht er sich unter deutschen Legenden wie Max Schmeling, Franz Beckenbauer, Steffi Graf oder Michael Schumacher ein?
Bauermann: Dirk ist eine der größten Sportpersönlichkeiten, die wir in Deutschland je hatten. Er gehört in den Olymp der ganz Großen. Nicht umsonst hat man ihm die Ehre gelassen, 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking die deutsche Fahne ins Stadion zu tragen.
Aber er hatte in Deutschland nie diesen Heldenstatus wie der "Kaiser" oder die "Gräfin". Warum?
Bauermann: Diese Vergleiche hinken immer. Ich glaube schon, dass er ganz hohe Wertschätzung in Deutschland genießt. Aber Basketball ist nun mal eine Randsportart. Und dass Dirk 20 Jahre im fernen Amerika gespielt hat und nur im Sommer ein paar Wochen in Deutschland war, hat vielleicht dazu beigetragen, dass nicht der ganz große Hype ausgebrochen ist.
Früher standen die größten Spieler, die Center und Power Forwards, fast nur am Korb herum. Heute werfen viele von ihnen ganz selbstverständlich Dreier. Auch wegen Nowitzki?
Bauermann: Ich denke schon, dass er Trendsetter war. Vor ihm gab es kaum Spieler, die bei seiner Größe so werfen konnten, nach ihm aber sehr viele. Heute wollen große Spieler von außen werfen, die Trainer lassen sie werfen, sie ermuntern sie sogar zum Werfen. Durch Dirk hat sich das Spiel ein Stück weit revolutioniert.
Bauermann: Groß. Es hat immer eine Wirkung nach innen, wenn deutsche Spieler sehen: Einer hat es geschafft. Das ist ein Türöffner. Vor einem Nowitzki hat es kaum ein amerikanischer Trainer, Scout oder Manager einem Deutschen zugetraut, in der Liga zu spielen. Also gibt es auch eine Wirkung nach außen.
1998 hatte der Deutsche Basketball Bund 207.000 Mitglieder, heute sind es 203.000. Ist der große Boom trotz Nowitzki ausgeblieben?
Bauermann: Zunächst mal würde ich sagen, dass viel passiert ist. Die Vereinsmannschaften sind international deutlich erfolgreicher als noch vor 20 Jahren. Die Zahl der NBA-Profis ist ein Zeichen, dass sich die Sportart in Deutschland enorm weiterentwickelt hat. Vereine und Verband haben einen großen Anteil an der Verbesserung der Talentförderung. Es geht absolut in die richtige Richtung. Daran hat Dirk einen großen Anteil. Aber dass es in einem Land schwer ist, in dem der Fußball so dominiert wie in Deutschland, ist klar. Da reicht auch ein Dirk Nowitzki manchmal nicht aus.
Wie werden wir in 50 Jahren auf Dirk Werner Nowitzki zurückblicken?
Bauermann: So, wie wir im Boxen heute auf Max Schmeling schauen. Schmeling gilt als der beste deutsche Boxer aller Zeiten, und Nowitzki wird noch in 50 Jahren der beste deutsche Basketballer aller Zeiten sein. Ich denke nicht, dass irgendjemand an ihn herankommt.
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