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Steueroasen: Zonen der Gesetzlosen

Sieht man es so, ist der Begriff "Steueroasen" viel zu eng gefasst. Fahnder und Branchenkenner sprechen lieber allgemeiner von "Offshore-Finanzzentren" oder von "Geheimhaltungs-Jurisdiktionen". Blickt man in die schmutzigen Ecken dieser Schattenwelt, ist Steuerbetrug noch die harmloseste Aktivität. Ganze Zonen der Gesetzlosigkeit sind entstanden, in denen alles läuft, was von umfassender Diskretion profitiert. Das geht bis zu Medikamententests, die den Behörden westlicher Länder als zu riskant erscheinen. Oder Finanz- und Handelsdeals mit Drogenbanden. Es gibt Südseeinseln, auf denen Verbrecher die Staatsbürgerschaft erhalten - sogenannte goldene Visa -, wenn sie ihr herangeschlepptes Vermögen vor Ort investieren. Den Beruf des Finanzfahnders auszuüben ist hingegen streng untersagt.

In Lateinamerika, wo engagierte Staatsanwälte seit Jahren zahllose Skandale bei Öl- und Baufirmen enthüllen, stößt man bereits auf eine neue Dimension der Korruption. Dort wurden Fälle dokumentiert, bei denen nicht einfach Politiker geschmiert wurden, damit sie Bauprojekte absegnen und bei dubiosen Kostensteigerungen beide Augen zudrücken - einige Projekte wurden offenbar überhaupt erst in Angriff genommen, weil dabei Gelder abgezweigt werden konnten: Es wurden Raffinerien erworben, Fußballstadien errichtet und Städte umgeplant, obwohl alles gänzlich überflüssig war.

Das ist die größte Gefahr, die von einer wild wuchernden Offshore-Welt ausgeht: "political capture", die Übernahme der Politik durch eine neue Gesetzlosigkeit. Genau das, was passiert, wenn Milliardensummen steuerfreien Schmiergelds auf korrupte Politiker warten, anonym auf ein Offshore-Konto gezahlt. Und wenn diese Politiker im Gegenzug nur eines sicherstellen: dass der Geldfluss aus ihren Heimatländern in jene Steueroasen niemals versiegt.

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