Deutschland Bundestag zur WM in Katar
„Dortmund statt Doha, das wäre mutig gewesen"Von Kevin Culina
Volontär Innenpolitik / Axel Springer Academy of Journalism and Technology
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Im Winter rollt der Ball in Katar. Noch steht der Sport bei der Fußball-Weltmeisterschaft jedoch nicht im Zentrum, sondern die katastrophalen Arbeitsbedingungen beim Stadionbau oder die Frage nach einem Boykott des Turniers. Nun kommt die Debatte im Bundestag an.
„Dortmund statt Doha, das wäre mutig gewesen", sagte Thomas Beschorner im Sportausschuss des Bundestags, der am Montag über die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer im kommenden Winter diskutiert hat. Der Ökonom bedauerte, dass ein Boykott des Fifa-Turniers nie richtig in Erwägung gezogen wurde. Eine alternative Weltmeisterschaft der europäischen Fußballnationen hätte „massiv zur Reputation des Fußballs" beigetragen, so Beschorner.
Kann eine Sportgroßveranstaltung wie die Fußball-WM ernsthaft in einem Staat ausgerichtet werden, der Menschenrechte missachtet und von einem autoritären Regime beherrscht wird? Fünf Monate vor der WM in Katar, die aufgrund der hohen Temperaturen im Wüstenstaat ausnahmsweise erst Ende November startet, wollte der Sportausschuss des Bundestags das von Experten wissen.
Neben dem Ökonomen Beschorner, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, baten die Bundestagsabgeordneten auch Vertreter von Gewerkschaften, Amnesty International und natürlich des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) um eine Einschätzung zur anstehenden Wüsten-WM.
Beschorners Analyse fiel verheerend aus. „Demokratisierungsprozesse durch sportliche Großveranstaltungen finden de facto nicht statt, dafür gibt es keine wissenschaftliche Evidenz", betonte der Wissenschaftler mit Blick auf frühere Veranstaltungen, etwa in Russland oder China. Vielmehr würden solche Sportgroßereignisse autoritäre Regime stützen, ihnen internationales Ansehen verleihen. Hoffnungen auf Liberalisierung entsprechender Staaten erteilte er eine klare Absage, Argumente dafür seien lediglich „von anekdotischer Evidenz".
Die Anhörung im Sportausschuss sei zwar zu begrüßen, komme jetzt jedoch spät. Nun befinde man sich im „Reparaturmodus": Die Sicherheit homosexueller Fans, Sportler, Trainer und Funktionäre in Katar müsse etwa sichergestellt werden - Homosexualität ist in Katar verboten. Zudem solle über die enorm hohen CO₂-Emissionen der WM und über Entschädigungszahlungen für die Familien verstorbener Gastarbeiter auf den Stadionbaustellen gesprochen werden, forderte der Ökonom.
Seit Jahren ist die Situation der Gastarbeiter auf Stadionbaustellen Thema. Über 15.000 von ihnen sollen seit 2010 laut Schätzungen gestorben sein. Enorme Hitze, Ausbeutung, menschenunwürdige Behausungen und fehlende Arbeitnehmerrechte seien hier zentral, wie Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International sagte. Zwar habe es nach 2017 einige rechtliche Reformen gegeben, „einmalig" sei das in der Region. Aber: „Die Umsetzung der Reformen ist mangelhaft", so Müller-Fahlbusch.
So sei das sogenannte „Kafala"-System, eine Art Bürgschaftsmodell, das eine enorme Abhängigkeit des Arbeitsmigranten von seinem katarischen Bürgen schafft keineswegs abgeschafft - entgegen der Versicherung der Regierung. „Wir sehen Reformen des Kafala-Systems, aber keine Auflösung", sagte Müller-Fahlbusch.
Auch gebe es weiterhin kein Recht auf gewerkschaftliche Organisation für die rund 2,2 Millionen Arbeitsmigranten, die immerhin rund 79 Prozent der Bevölkerung Katars ausmachen. Während katarische Arbeiter in Gewerkschaften eintreten dürfen, bliebe den Gastarbeitern nur eine Art Komitee. Doch weder Streik noch Lohnverhandlungen seien damit möglich. Und weil das Komitee nur mit Zustimmung des Arbeitgebers zu gründen ist, hält Müller-Fahlbusch es für ein „zahnlosen Tiger".
Herrscherfamilie setzt auf Sport-Events zur Profilierung„Die WM ist ein Katalysator geworden, Katar als globale Marke zu präsentieren", so Sebastian Sons, Wissenschaftler am Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO) in Bonn. Die Herrscherfamilie um Emir Tamim bin Hamad Al Thani nutze das Turnier als „strategisches Instrument, um sich auf den Ebenen Partnerschaft, Profilierung und Plattform als unersetzlicher Partner der internationalen Gemeinschaft zu präsentieren", heißt es in Sons Bericht.
So zeigten nicht nur die geplanten Gaslieferungen aus Katar die steigende Relevanz des Landes in der Geopolitik. Katar unterhalte eine „Mit-allen-reden"-Strategie, kürzlich erst fanden Gespräche über das iranische Atomabkommen mit den USA in Doha statt. Auch im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine müsse sich Deutschland nun geopolitische Fragen stellen: „Wie gehen wir mit autoritären Regimen um? Wie machen wir uns in Zukunft resilienter?"
Das Fazit der Experten fiel gravierend aus. Der DFB steht entsprechend vor intensiven Monaten. „Im Sinne des Sports, der Sportler und Fans hätte man sich eine andere Entscheidung vorstellen können", heißt es in der Stellungnahme des Verbands gegenüber dem Sportausschuss.
Dennoch: Ein Boykott komme nicht infrage, betonte Generalsekretärin Heike Ullrich. Diesen Schritt würden auch die Arbeitsmigranten bei Gesprächen in Katar immer wieder ablehnen: „Sie empfinden, dass wir auf ihrer Seite sind damit." Man beobachte die Lage kontinuierlich, auch das zukünftige deutsche Hotel werde stetig auf die Einhaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen kontrolliert. Man hoffe auf einen „nachhaltigen Wandel", setze sich etwa für einen Fonds ein, um Migrantinnen und Migranten in Katar Entschädigungen, etwa bei ausgebliebenem Gehalt, zu zahlen.
Menschenrechtsbeauftragte will konsularische Betreuung für homosexuelle Fans stärkenFür das Turnier kündigt Ullrich derweil auch sichtbare Maßnahmen an: „Ich gehe fest davon aus, dass die Mannschaften Zeichen setzen werden." Man befinde sich in Gesprächen mit der deutschen Nationalmannschaft. Auch die europäischen Verbände seien sich ihrer Verantwortung in Katar bewusst. Hinsichtlich der Rechte von sexuellen Minderheiten wolle man für Akzeptanz werben. Wie kühl der Gastgeber darauf reagieren könnte, deutete Ullrich bereits an. „Alle sind willkommen in Katar, man bittet aber auch um Respekt vor der Kultur des Landes", sagte die Funktionärin.
„Allein die Ankündigung, dass alle willkommen sind, reicht natürlich nicht", sagte Luise Amtsberg, Grünen-Bundestagsabgeordnete und Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Man werde die konsularische Abteilung während der WM stärken, um etwa für homosexuelle Fans „rund um die Uhr" erreichbar zu sein.
„Nach jetzigem Stand ist die Vergabe der Fußball-WM nach Katar sicherlich als Fehler zu bewerten", kommentierte Philip Krämer (Grüne), stellvertretender Vorsitzender des Sportausschusses. Es sei nun die Aufgabe der Politik „nachhaltige Veränderungen für bessere Standards bei Menschenrechten und Arbeitsschutz" zu erreichen sowie die „Aufarbeitung geschehenen Unrechts" zu unterstützen.
„Ein WM-Gastgeber, der dem sportlichen Ideal der Völkerverständigung verpflichtet ist, muss sich unmissverständlich dazu bekennen, Terroristinnen und Terroristen keine Plattform, keinen Unterschlupf und keine Freiheit vor Strafverfolgung mehr zu bieten", so Krämer. Auch mit „Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel" müsse Schluss sein.
Auch Michael Brand, Sprecher für Menschenrechte der Unionsfraktion, kritisierte die Vergabe der WM an Katar. Die Hoffnungen auf langfristige Verbesserung nannte er „naiv und falsch". Der Einfluss Deutschlands sei zu klein: „Die Wahrheit ist doch: Wir sind gar nicht die Speerspitze der Veränderung."
Für die Zukunft regt Ökonom Beschorner an, den Blick auf die Fifa zu ändern. Der Fußballverband müsse als „weltpolitischer, auch geopolitischer Akteur" gesehen werden, der Status als gemeinnützige Organisation in der Schweiz müsse fallen. Für die jetzige WM kommt vieles dennoch zu spät. „Mit einer hohen sozialen Akzeptanz der anstehenden Fußball-WM muss gesellschaftlich nicht gerechnet werden", heißt es in Beschorners Bericht.