Düsseldorf, Berlin, Frankfurt Metro-Chef Steffen Greubel muss sich immer stärker rechtfertigen. Der Großhandelskonzern will trotz der aktuellen Lage am Russlandgeschäft festhalten. Die Firma trage „eine Verantwortung für unsere russischen Kollegen", schreibt Greubel in einem Brief an seine Mitarbeiter, der dem Handelsblatt vorliegt. Er verurteilt den Angriff auf die Ukraine, betont aber: „Wir versorgen die Bevölkerung mit Lebensmitteln."
Die Metro zählt zu den deutschen Firmen, deren Russlandgeschäft besonders groß ist: In 93 Märkten erwirtschaftet der Konzern fast ein Zehntel seines Umsatzes und ist dort deutlich profitabler als im Heimatmarkt. Die Einstellung des Geschäftsbetriebs in Russland hätte „erhebliche Auswirkungen" auf die Arbeitsplätze von 10.000 Menschen und das Geschäft von 2,5 Millionen Betrieben, schreibt Greubel.
Wie bei der Metro steigt auch der Druck auf Unternehmen wie Bayer, Henkel oder Knauf, die an ihrem Russlandgeschäft festhalten wollen. Schließlich hatten in den vergangenen Tagen immer mehr westliche Firmen wegen des Ukrainekrieges angekündigt, ihr Geschäft in Russland ganz oder teilweise zu stoppen.
Thomas Beschorner, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, sagt: „Deutsche Unternehmen sollten sich nach dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine aus ethischen Gründen aus Russland zurückziehen." Zwar gebe es Ausnahmen, wie im Bereich der Arzneimittelversorgung, aber im Großen und Ganzen hätten Unternehmen die soziale Verantwortung, den Weg der Politik mitzugehen.
Selbst Unternehmer rufen schon dazu auf, keine Geschäfte mehr mit Russland zu machen. So sagte Michael Wisser, Chef des Gebäudedienstleisters Wisag: „Je mehr wir den Geschäftsverkehr dort stoppen, desto mehr steigt der Druck auf Putin."
Viele Mitarbeiter und Produkte für die BevölkerungDie meisten hiesigen Firmen, die bedeutsames Geschäft in Russland haben, wollen daran allerdings vorerst festhalten, zeigt eine Handelsblatt-Umfrage. So auch Henkel. Der Persil-Hersteller produziert an elf Standorten mit 2500 Beschäftigten. Den Kollegen fühle man sich verpflichtet, begründete eine Sprecherin. Zudem seien die produzierten Reinigungs- und Hygieneartikel für die Bevölkerung von Bedeutung.
Der Pharma- und Chemiekonzern Bayer hat bekräftigt, sich nicht aus Russland zurückziehen zu wollen. Man sehe sich in der Verantwortung, Patienten weiter mit Medikamenten zu versorgen. „Dieser sinnlose Krieg fordert bereits sehr viele Menschenleben. Wir dürfen die Zahl nicht noch weiter erhöhen, indem wir den Menschen lebenswichtige Produkte vorenthalten", heißt es. Bayer beschäftigt in Russland 1800 Mitarbeiter, macht dort zwei Prozent des Umsatzes.
Ausländische Firmen in Russland haben drei Alternativen. Sie können erstens ihre Tätigkeiten in Russland fortsetzen. Zweitens können sie ihre Tätigkeit beenden, also die Produktion schließen und die Belegschaft entlassen. Und ausländische Inhaber haben drittens die Möglichkeit, ihre Anteile an russische Treuhänder abzugeben und später wieder zurückzukommen.
Alle drei Möglichkeiten bergen Risiken. Wer die erste Variante wählt und am Geschäft festhält, kann unter den Sanktionen des Westens und den Kapitalkontrollen Russlands leiden. So dürfen westliche Firmen in Russland nicht mehr mit Kunden und Lieferanten zusammenarbeiten, die von den Sanktionen betroffen sind. Zudem müssen in Russland ansässige Firmen rückwirkend zum Jahresbeginn 80 Prozent ihrer Exporterlöse in Rubel umtauschen.
Über Einschränkungen klagt etwa der Gipshersteller Knauf, der in Russland 4000 Mitarbeiter an 14 Standorten beschäftigt. „Die Lage in unseren russischen Fabriken ist angespannt", sagt Jörg Schanow aus der Geschäftsleitung. Es komme wegen ausbleibender Transporte etwa zu Engpässen bei Ersatzteilen.
Mehr zu Unternehmen und ihren Russland-Beziehungen:Wenn Firmen die zweite Möglichkeit, also den Exit aus Russland, wählen, droht der für Wirtschaft zuständige russische Vizepremier Andrej Beloussow nun mit „einem beschleunigten Insolvenzverfahren". Dies wäre eine Enteignung, da ein russischer Insolvenzverwalter für stillgelegte Fabriken eingesetzt wird. Zudem drohen Aussteigern hohe Verluste. So muss der britische BP-Konzern, der als einer der ersten den Rückzug angekündigt hatte, bis zu 25 Milliarden Euro abschreiben.
Viele deutsche Konzerne, die Russland den Rücken gekehrt haben, nehmen indes nur kleinere Verluste in Kauf. Siemens etwa stoppte lediglich das Neugeschäft und macht insgesamt weniger als ein Prozent des Umsatzes in Russland.
Unter solchen Voraussetzungen ist ein Ausstieg leichter zu beschließen als etwa bei Bionorica. Der Hersteller von Natur-Arzneimitteln erwirtschaftet in Russland ein Drittel seines Umsatzes - und will das auch weiterhin tun. Die Firma aus Neumarkt in der Nähe von Nürnberg verweist auf die Bedeutung von Arzneimitteln und will Arbeitsplätze erhalten.
Auch der Pharmakonzern Stada begründet so die Fortsetzung seines Engagements. Stada erwirtschaftet in Russland mit 2000 Mitarbeitern 14 Prozent des Umsatzes. Die Firma kämpft mit Lücken in der Lieferkette, es sei schwierig, Lkw-Fahrer zu finden, die nach Russland fahren.
„Wir werden wieder Vormaterialien einkaufen müssen", sagt Stada-Chef Peter Goldschmidt, „und irgendwann sicherlich auch Ersatzteile für unsere Maschinen". Komme dieser Moment, stelle sich das Problem, dass die Zahlungsmöglichkeiten sanktioniert sind. Vorlieferanten könnten nicht mehr in Euro oder Dollar bezahlt werden.
So hat die russische Regierung beschlossen, finanzielle Verpflichtungen gegenüber „unfreundlichen Staaten", wozu seit Montag auch Deutschland gehört, nur noch in Rubel zu bezahlen.
Doch Schokoladenhersteller Ritter Sport, der in Russland seine größte ausländische Vertriebsmannschaft betreibt, will vorerst weiter liefern. Ein Lieferstopp sei keine geeignete Maßnahme gegen die russische Regierung. „Solange Russland keinen Einfuhrstopp verhängt, liefern wir."
Große InvestitionenDie Firmen halten an ihrer Tätigkeit in Russland auch wegen großer Investitionen fest. So hat Landmaschinenherstellers Claas in den vergangenen fünf Jahren die Produktion mit Mähdreschern in seinem südrussischen Standort in Krasnodar vervierfacht. 2021 hatte Claas erneut in das Werk investiert und die Zahl der Mitarbeiter auf 800 aufgestockt.
Die Investitionen von insgesamt fast 150 Millionen Euro will die Firma trotz der aktuellen Lage offenbar nicht aufgeben. Doch die könnten gefährdet sein, weil „ausländische Unternehmen in Russland vor der Gefahr stehen, im äußersten Fall enteignet zu werden", sagt Andreas Knaul von der Kanzlei Rödl & Partner.
Für die Unternehmen scheint auch die dritte Variante, nämlich Anteile an russische Treuhänder abzugeben, eine gefährliche Lösung zu sein. Schließlich kann niemand garantieren, dass das Geschäft später wieder rückgängig gemacht und die Kontrolle an die Firmen wirklich zurückgegeben wird. Das ist vom Kriegsverlauf und Wohlwollen des russischen Präsidenten Wladimir Putin abhängig.
Derzeit scheint nur eines klar zu sein: Das Geschäft mit Russland ist kompliziert.