Thomas Beschorner

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Plattformkapitalismus: Die Gefahr durch Facebook wurde zu lange ignoriert

Thomas Beschorner ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. Martin Kolmar ist Professor für Volkswirtschaftslehre in St. Gallen.

Daten von rund 50 Millionen Facebook-Usern wurden ohne deren Einwilligung abgezogen und von der Firma Cambridge Analytica zur Beeinflussung des US-Wahlkampfes für gutes Geld eingesetzt. Facebook gesteht zwar Fehler ein, sieht sich aber selbst als Opfer und schiebt den Schwarzen Peter Cambridge Analytica zu, die das Vertrauen des Konzerns missbraucht hätte. Der Datenskandal wurde in den vergangenen Tagen so als einmaliger Fehltritt dargestellt, der sich nicht wiederholen wird.

Aber ist es wirklich so simpel? Nein, das Ganze ist mehr als ein einfaches Schwarzer-Peter-Spiel. Unternehmen, wie sie und Cambridge Analytica im neuen Plattformkapitalismus repräsentieren, stellen eine zivilgesellschaftliche und wirtschaftspolitische Herausforderung dar, die viel zu lange ignoriert wurde. Sie greifen tief in die Lebenswelten von uns Menschen ein, können gesellschaftliche Perspektiven prägen und womöglich sogar politische Entscheidungen beeinflussen. Deshalb können diese Konzerne schlechterdings nicht nur eng ökonomisch betrachtet werden.

Unternehmen wie Facebook sind ökonomisch motiviert, zugleich aber ein Paradebeispiel für quasi-politische Institutionen, weil sie das Gesellschaftliche und das Politische bedeutend formen, indem sie unseren Zugang zur Wirklichkeit steuern. Und gerade diese Kombination macht sie gefährlich.

Firmen wie Facebook oder sind in der Regel auf sogenannten mehrseitigen Märkten tätig. Charakteristisch ist dabei, dass Angebote auf einem Markt zu Angeboten auf anderen Märkten führen und sie so miteinander verweben. Ganz konkret: Wir können Facebook kostenfrei nutzen, wir bezahlen mit unseren persönlichen Daten und nicht in Euro. Und genau diese Daten machen die Plattformen für Werbetreibende und andere so interessant. Geld wird nicht direkt mit den Kunden, sondern auf dem Werbemarkt und dem Markt für Datenanalyse verdient. Die Gewinne werden hier von wenigen Unternehmen abgeschöpft, was zu monopolistischen Tendenzen führt.

Hinzu kommt, dass Plattformen ab einer gewissen Größe sogenannte Netzwerkeffekte nutzen können. Erst durch ein Netzwerk - beispielsweise die Freunde auf Facebook - entstehen die gewünschten Interaktionen. Je größer dieses ist, desto attraktiver wird es für den einzelnen Nutzer. Neben den hohen Fixkosten für die Entwicklung und den Betrieb solcher Plattformen führen Netzwerkeffekte ebenfalls zu einer Konzentration solcher Angebote auf wenige Unternehmen.

Und es gibt einen weiteren Grund für eine Monopolbildung: Einige Betreiber setzen sogenannte Habit-Forming-Technologies ein, deren Ziel es ist, dass ihre Nutzer möglichst viel Zeit auf ihren Plattformen verbringen. Hierbei werden bestimmte psychologische Mechanismen genutzt und gezielt angesprochen, die denen bei Suchtverhalten ähnlich sind und sehr einfach funktionieren: Jedes Like bei Facebook und jeder Retweet auf Twitter bringen eine kleine emotionale Belohnung und die nie enden wollende Auswahl an Neuem verstärkt diesen Effekt. So werden, ähnlich wie beim Tabakkonsum, Abhängigkeiten erzeugt.

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