Thomas Beschorner

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Volkswagen: Der Wahnsinn hat Methode

Thomas Beschorner ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. Seine Forschungs- und Lehrgebiete liegen im Spannungsfeld von Ökonomie, Ethik und Kultur sowie im Bereich Corporate Social Responsibility.

Es klingt nach viel Geld, das Volkswagen jetzt aufbringen muss. Eine Milliarde Euro Bußgeld, titelten gestern die Nachrichtenagenturen, müsse der Autokonzern wegen der Abgasmanipulation zahlen. Dabei ist diese Summe gemessen am Rekordgewinn des Unternehmens nicht besonders hoch. Es hätte den Konzern viel härter treffen können, würden endlich die rechtlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, um Unternehmen stärker zu disziplinieren und an ihren Auftrag für das Gemeinwohl zu erinnern.

Schließlich zeigt sich immer klarer in der Dieselaffäre, was der renommierte Managementtheoretiker Henry Mintzberg schon vor knapp drei Jahren in einem kleinen Text mit der Überschrift "Don't call it a scandal" schrieb. Mintzbergs einfache Botschaft: Das ist kein Skandal, kein Ausreißer vom Gewöhnlichen, sondern vielmehr symptomatisch für das Wirtschaftssystem, das wir Kapitalismus nennen. Und das, so könnte man fortfahren, ist im Grunde das Skandalöse an der Sache.

Skandalös, aber eben kein Skandal sind auch die Vorkommnisse rund um Facebook, die in den letzten Monaten bekannt und breit diskutiert wurden. 2013 sind Daten von knapp 90 Millionen Facebook-Usern ohne deren Einwilligung über eine App abgezogen und später von der Firma Cambridge Analytica zur Beeinflussung des US-amerikanischen Wahlkampfes für gutes Geld eingesetzt worden.

Keine Einzelfälle, sondern ein Branchenphänomen

Thomas Beschorner

ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. Seine Forschungs- und Lehrgebiete liegen im Spannungsfeld von Ökonomie, Ethik und Kultur sowie im Bereich "Corporate Social Responsibility". Twitter: @ThBeschorner

Das Diesel-Gate begann mit Volkswagen, inzwischen aber zeichnet sich deutlich ab, dass Abgasmanipulationen ein Branchenphänomen sind, die viele Unternehmen in der Automobilindustrie ähnlich praktiziert haben. Und ganz analog sind die Zugriffe auf Facebook-Daten durch Cambridge Analytica nicht einmal die Spitze des Eisberges, sondern eine kleine dahinschwimmende Scholle. Wie die New York Times vor einigen Tagen berichtet hat, erlaubte Facebook mindestens 60 Konzernen - von Amazon über Apple und Samsung bis zu Microsoft - Zugriff auf die persönlichen Daten von Usern und deren Freunden, gegebenenfalls auch auf die der Freunde der Freunde.

Es sind nur zwei von vielen Beispielen der jüngeren Vergangenheit - und vermutlich auch der Zukunft -, die zeigen: Der Wahnsinn hat Methode! Unternehmen scheinen die Verletzung von Rechtsnormen und moralische Verfehlungen ganz im Sinne der ökonomischen Logik zu behandeln, nämlich: Strafmaß mal Entdeckungswahrscheinlichkeit, in Abwägung zum potenziellen ökonomischen Gewinn. Wer auf dieser Grundlage die moralische Qualität einer Marktwirtschaft lobhudelt und die gravierenden negativen Auswirkungen des Kapitalismus auf die Gesellschaft übersieht, hat sie entweder nicht mehr ganz beieinander, ist ideologisch verblendet oder beides.

Statt vor diesen Entwicklungen zu kapitulieren, erscheint es dringender denn je, längst überfällige gesellschaftspolitische Veränderungen anzupacken, die die Auswüchse unternehmerischen Handelns eindämmen und die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft rekalibrieren. Dazu vier zusammenhängende Vorschläge:

Ordnungspolitische Peitsche: Unternehmensstrafrecht

Erstens, die Rolle von Unternehmen in unserer Gesellschaft bedingt zwingend politisch-flankierende Maßnahmen, die nicht nur das Zuckerbrot, sondern auch die Peitsche beinhalten. In diesem Zusammenhang ist die Diskussion um ein Unternehmensstrafrecht in Deutschland von besonderer Relevanz und überfällig.

Bislang liegen die Höchststrafen bei Vergehen von Unternehmen bei zehn Millionen Euro - als "Ordnungswidrigkeit", wie das Falschparken. Aktuell diskutierte Entwürfe eines Unternehmensstrafrechts wollen das Strafmaß an den Umsatz koppeln, etwa bis zu 15 Prozent Strafe am Jahresumsatz oder bis zu einem Jahresgewinn des Unternehmens. Das kann und sollte schmerzen. Bei wiederholten schweren Vergehen könnte ein Unternehmen gar liquidiert und aus dem Handelsregister gelöscht werden. Dann wird der Laden dichtgemacht.

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