Würde man Gregory Porter den vielleicht größten Gentleman des Jazz nennen - Jamie Cullum wäre mit Abstand der größte Rockstar des Genres. Und das, obwohl der 43-jährige Singer-Songwriter und Multiinstrumentalist eigentlich gar kein reiner Jazz-Musiker ist, sondern viel lieber unterschiedlichste Stile, Songs und Musikrichtungen verbindet, vom Swing der 1920er Jahre bis hin zu Chart-Popmusik von Rihanna oder Ed Sheeran. Wie mühelos ihm das gelingt, demonstriert er bei einem Konzert vor weit über tausend Menschen im Berliner Tempodrom. Schon an den Anfang setzt er zwei seiner typisch untypischen Songs, beginnt allein am Flügel mit dem melancholischen „The Age Of Anxiety" und wechselt dann zum hymnischen „Taller", der namensgebenden Komposition des letzten Albums. Cullums klare Botschaft: Er wünscht sich, im übertragenen Sinne, größer zu sein, mit Hilfe der Musik über sich hinaus zu wachsen und anderen damit näher zu kommen.
Seine Band ist klein, aber fantastisch„I wish I was taller" schmettert er also in den Saal, die Band setzt ein, zwei große Backing Vocals füllen bald den Raum hinter seiner Stimme, wie es sonst nur ein ganzer Gospel-Chor vermag - und ehe man sich versieht, springt der Brite samt Mikrofon vom Klavierhocker erst auf, dann über sein Instrument und beginnt die Bühne im Alleingang quasi musikalisch abzureißen. Das lässt sich die Brass section nicht zweimal sagen: Sie ist zwar keine Bigband, besteht eigentlich auch nur aus Saxofon und Trompete, aber wen stört das schon, wenn zwei Musiker hier derart klanglich ‚reinhauen', dass man meint, nicht zwei, sondern eher zwanzig Instrumente zu hören.
Auch Latino-Rhythmen hat Cullum draufGerade als man denkt, es kann nicht voller, lauter, werden - wechselt Cullum fließend von Rock/Pop- zu Latin-Rhythmen. Er stimmt mit klangperfekter Quintett-Besetzung cool swingend den Cole-Porter-Standard „I Get A Kick Out Of You" an (ein Stück, das er mit 21 zum ersten Mal in Berlin spielte) und entlässt ein Band-Mitglied nach dem anderen von der Bühne, um immer intimer, konzentrierter zu werden. Das Konzert verliert dabei jedoch nichts an klanglicher Dichte. Im Gegenteil. Und so spielt Cullum auch weiterhin häufiger im Stehen als im Sitzen, behandelt den Flügel weniger wie ein Klavier, mehr wie eine E-Gitarre, beatboxt mit dem Deckel, zupft perkussiv an allen Saiten, kurz: begeistert, wo er nur kann, besonders auch mit „Berlin", einer musikalischen Liebeserklärung an die Stadt. „Here is my love for Berlin" ruft er und fordert kurz darauf mit „We've waited two and a half years for this" alle zum Tanzen auf. Der Saal bebt: Schreien, Grölen, Stampfen und Toben - sowas kennt man heutzutage eher nicht vom Jazz. Sehr wohl aber von Jamie Cullum.