Thomas A. Herrig

Autor, Kulturjournalist M.A. & Digital Creative, Berlin

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Versace und Vivaldi: Klassik ist in Mode

Das italienische Modelabel Versace überrascht immer wieder mit seinen bunten wie opulenten Kollektionen, ganz aktuell aber mit - Vivaldi. In den als Instagram-Werbung veröffentlichten kurzen Spots entführt man uns auf eine Hausparty in einem herrschaftlichen Anwesen. Im Inneren sehen wir ein wahres Post-Party-Schlachtfeld. Luftschlangen auf dem Boden, überall leere Gläser, ein fremder Mann schlafend im Pool. Sofort ahnen wir: In der Nacht zuvor muss allerlei Wildes im Gange gewesen sein. Doch dann springt die Story zurück und erzählt, wohlgemerkt aus Sicht des Hundes, dass die Hausherrin ihren beiden Teenager-Töchtern die Villa für das Wochenende überlassen hatte. Wohin so etwas führen kann, versteht jeder sofort. Deshalb ein direkter Schnitt zurück ins Hier und Jetzt; der Schock am Morgen danach: Das wilde Wochenende ist vorbei, die Mutter rasant auf dem Rückweg.

Genau hier setzt - die hochdramatische Stimmung orchestrierend - Antonio Vivaldis Musik ein. Es ist „Der Sommer" seiner berühmten „Vier Jahreszeiten". Die „Tongemälde" hatte er bekanntlich als Folge von vier Violinkonzerten angelegt, jeweils eine der Jahreszeiten porträtierend. In diesem Fall jedenfalls ist mit dem dritten Satz des Sommers die Auswahl perfekt: Was bei Vivaldi wie ein heraufziehendes Gewitter in Überleitung zum Herbst klingt, kündigt auch bei Versace die unheilvoll-verfrühte Rückkehr der Hausherrin an.

Mit einer klanglichen und sprichwörtlichen „Windeseile" gelingt es den beiden jungen Party-Damen dann aber ganz knapp, alles wieder in Ordnung zu bringen. Und obwohl die sogleich ankommende Mutter der scheinbaren Ruhe nach dem Sommersturm beinahe traut, fällt ihr Blick auf zwei ungewöhnlich aussehende, mit schweren Goldketten behangene Hunde. Ob das noch Konsequenzen hat? Wir erfahren es nicht.

Vivaldi, das scheint kein Versehen zu sein

Mehr als der Ausgang dieser amüsanten, dennoch vorhersehbaren Story überrascht die Verwendung des Vivaldi-Stückes für ein digitales Werbevideo. Natürlich verwenden Modelabels und Parfum-Marken Stücke klassischer Musik. Da sie jedoch per definitionem Trendsetter sind und zeigen wollen, was „in" ist, rechnet man bei einer Marke wie Versace wohl eher mit schnellen, modernen Beats, Dubstep, Trap oder Hiphop - weniger mit Vivaldi.

Doch Versace und Vivaldi, das scheint kein Versehen zu sein. Beim italienischen Modeunternehmen hat Klassik - besonders der 3. Satz des „Sommers" - Konjunktur. 2019 stellt das Luxus-Label seinen Duft „Eros Flame" mit einem Spot vor, in dem eine Frau, getrennt vom Geliebten, eine einzelne, leidenschaftliche Träne zielgenau in ein Flacon vergießt. Diese Träne bildet natürlich die Grundlage des Eros-Duftes, eine hochemotionale Herznote, sozusagen. Die Musik dazu? Vivaldis Sommer, 3. Satz.

Gehen wir noch weiter zurück: Herbst/Winter-Kollektion 2018. Auch hier findet sich ein Spot bei Youtube, in dem die neuen Bekleidungsstücke der „Clans of Versace" mit einer Art „Stille Post"-Spiel vorgestellt werden. Womit orchestriert? Natürlich mit dem 3. Satz aus Vivaldis Sommer!

Einmal ist ein Zufall. Zweimal eine Koinzidenz. Aber dreimal dasselbe Stück? Klassik ist bei Versace Programm. Schaut man sich die Werbespots an, findet sich ein wahres „Best of" populärer Klassiker: In der Frühling/Sommer-Kampagne 2018 posiert etwa Naomi Campbell zum „Wohltemperierten Klavier" von Bach, ein weiteres Model 2019 mit einer griechisch-antik wirkenden Vase und Mozarts „Alla Turca". In einer „Special Edition" darf Donatella Versace, Chef-Designerin und Schwester von Gianni Versace, zur „Toccata und Fuge d-Moll" von Bach eine Vase rückwärts in Zeitlupe zerstören; ein Spot mit einem Auszug aus „Schwanensee" von Tschaikowsky findet sich genauso. Und schließlich streiten sich noch zwei Models um eine nagelneue Versace-Handtasche, stilecht vom zweiten Satz der neunten Sinfonie Beethovens untermalt.

Doch was bedeutet die Versace-Fixierung auf Klassik? Soll die Musik der Marke jene Hochwertigkeit und Eleganz bringen, die man dieser Welt gemeinhin zuschreibt? In jedem Fall setzt das italienische Modeunternehmen überraschende neue Impulse bei der digitalen Zielgruppe. Immerhin stehen gerade die Luxus-Marken bei den Jüngeren hoch im Kurs und definieren, was angesagt ist. Neben Vivaldi sind noch genügend „große Klassiker" vorhanden. Vielleicht „Also sprach Zarathustra" für Gucci? „Eine kleine Nachtmusik" für Prada? Und Ralph Lauren versucht es mal mit dem „Walkürenritt"?

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