Diese Tour beschäftigt Fans und Kritiker von Roger Waters seit Monaten. Und zwar nicht wegen der Musik des Ex-Pink-Floyd-Stars, das sind größtenteils immer noch die gleichen jahrzehntealten Songs - vielmehr geht es um Antisemitismus-Vorwürfe, Gerichtsurteile und die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit.
Vor dem ersten Konzert der "This Is not a Drill"-Tour in Deutschland, in Hamburg. Kann man sich auf die Shows trotzdem noch freuen? Oder jetzt erst recht?
"Einfach da sein dürfen, ohne alles politisieren zu müssen. Ohne mir die Frage stellen zu müssen: Da wo ich hingehe, werde ich da Menschen treffen, die so denken und so sprechen, wie die Mehrheit möchte, dass gesprochen oder gedacht wird." "Mir geht es auch so, dass ich seine Meinung nicht richtig finde und das sehr schwierig finde ich mich trotzdem hier. Weil ich die Musik gut finde. Und ich glaube ich vielleicht, wenn ich die Karte nicht schon gehabt hätte, es mir wahrscheinlich auch noch mal überlegt." "Ich finde es witzig, dass die Deutschen sich darum mehr Sorgen machen als jeder andere. Ich denke, das liegt an den Schuldgefühlen."Die deutsch-israelische Gesellschaft hatte schon vor Wochen mitgeteilt: Waters ist in Hamburg nicht willkommen.
Daniel Killy, dt.-israelische Gesellschaft: "Er ist im Grunde das wandelnde Klischee-Lexikon des Antisemiten. Er benutzt Tiere, die im Judentum und Islam, das Schwein nämlich, als unrein gelten als Symbol für Juden; er setzt Juden mit Geld, Kapitalismus, Zinswirtschaft etc. in Konnotation, was auch eines der urältesten antisemitischen Klischees ist. Er benutzt diese Klischees bewusst, er überschreitet Grenzen bewusst. "
Der Hintergrund: Waters ist einer der prominenten Köpfe der Bewegung "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen", kurz BDS, die Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell isolieren will. BDS wird in Teilen immer wieder als antisemitisch eingestuft, zum Beispiel durch eine Erklärung des Bundestags.
Wegbegleiter, mit denen Waters seit Langem zerstritten ist, werfen ihm ebenfalls vor, ein Antisemit zu sein, wie Polly Samson. Die Pink-Floyd-Texterin und Ehefrau des Pink-Floyd-Gitarristen David Gilmour, twitterte im Februar:
"Leider bist du antisemitisch bis zu deinem verrotteten Kern."Gilmoure retweetete die Aussage.
SPIEGEL-Autor Arno Frank hat Waters im März zu den Vorwürfen interviewt.
Arno Frank, Autor DER SPIEGEL: "Er sitzt da und sagt: Ich war kein Antisemit, ich bin kein Antisemit, ich werde nie Antisemit sein. Die Hälfte meiner Band besteht aus Juden. So ein Judenhass, wie es ihn gibt, den gibt es bei uns in der Bevölkerung, in Internetforen findest du den überall, das gibt es bei ihm nicht. Aber er bedient sich wissentlich oder versehentlich antisemitischer Stereotypen."Beispiele finden sich viele: Israels Umgang mit den Palästinensern vergleicht er mit Nazi-Deutschland, eine "Israel-Lobby" wolle ihn zum Schweigen bringen - und dann war da noch das Schwein mit dem Davidstern, das Waters bei einigen seiner Konzerte fliegen ließ.
Unter anderem deswegen wurde schon öfter versucht, Auftritte von Waters juristisch zu verhindern, zuletzt in Frankfurt - doch ein Gericht entschied: Waters darf auftreten. Kunstfreiheit.
Daniel Killy, Deutsch-Israelische Gesellschaft: "So was entscheiden in Deutschland halt ausschließlich - ich muss diesen Begriff benutzen - judenfrei Gerichte. Und vielleicht täte man gut daran, auch in den Gerichten mal ein bisschen mehr Empathie und Kenntnis walten zu lassen, so wie man das zum Beispiel auch bei Migrationsbeauftragten tut. Und da käme man ja gewiss auch nicht auf die Idee, jemanden aus Castrop auch so einzusetzen mit 500 Jahren Kartoffel deutschem Hintergrund." Arno Frank, Autor DER SPIEGEL: "Zum Spielball von Lokalpolitik sollte Kunst nicht werden. Und zwar ganz egal, ob ich damit einverstanden bin oder nicht. Wenn es mir nicht passt, gehe ich einfach nicht hin."Die Konzerte in Deutschland finden also statt, die in Polen jedoch nicht. Hier fühlte man sich durch Waters' Äußerungen zum Ukrainekrieg provoziert, die er auf Einladung Russlands im Februar sogar vor den Vereinten Nationen zum Besten geben konnte. Dort verurteilte Waters den russischen Angriff zwar zunächst, zeigte dann aber auch viel Verständnis für Putin.
Roger Waters, Musiker: "Die russische Invasion in die Ukraine war nicht unprovoziert, deswegen verurteile ich auch die Provokateure aufs Schärfste."Was halten die Konzertbesucherinnen und -besucher von den Ansichten ihres Idols, schließlich äußert sich Waters ja auch in seinen Shows explizit politisch?
"Irgendwie fühlt sich mancher Musiker immer berufen, im hohen Alter dann auch politisch aktiv werden zu müssen. Ich beschränke mich da eigentlich auf den Genuss der Musik und ignoriere eigentlich seine Aussagen da in diese Richtung." "Man muss auch eine gewissen Meinung haben, die muss man auch äußern dürfen. Er tut das - passt vielleicht nicht jedem." "Solidarität mit dem palästinensischen Volk bedeutet für mich nicht automatisch Antisemitismus, sondern wenn überhaupt, Kritik an der herrschenden Politik des Staates Israel. Und das würde ich nie gleichsetzen mit Antisemitismus."Für SPIEGEL-Autor Arno Frank ist Waters mittlerweile zu einer Art Onkel geworden, den man auf einer Familienfeier trifft und der bei Kaffee und Kuchen Verschwörungsmythen verbreitet.
Roger Waters, Musiker: "Es gibt eine Bewegung im wiedervereinigten Deutschland, die mich daran hindern will, dort Rock'n'Roll zu spielen! Auf der falschen Grundl..."Arno Frank, Autor DER SPIEGEL: "Und dann ist die Frage: Wie gehe ich mit diesem Onkel um? Behalte ich im Hinterkopf, was er mir mal bedeutet hat, schmeiß ich es komplett über Bord. Das kann jeder für sich selbst entscheiden. Wir leben in einem Markt. Das kann ich auch an der Konzertkasse dann machen und ich überleg mir dann, ob ich auf die nächste Familienfeier geh, wo er dann wieder anhebt, mir was über Corona, Putin oder meinetwegen die jüdische Elite an der Ostküste zu erzählen. Ob ich das will oder nicht."
Ob es einem gefällt oder nicht - diese onkelhafte Mischung gibt es im Mai noch in Berlin, München, Frankfurt und Köln zu erleben.