Unterwegs mit der Partei Volt im Berliner Wiederholungs-Wahlkampf. Kandidatin Cara Seeberg und ihr Team haben Mühe, Interesse für ihre Flyer zu wecken.
"Wir müssen ehrlich sagen wir haben schon gewählt." "Und habt ihr Volt gewählt?" "Das sagen wir natürlich nicht." "Das müsst ihr auch nicht. Darf ich dir noch einen Flyer geben, aber vielleicht könnt ihr es ja überlegen. Wenn es nochmal so gut läuft, machen wir vielleicht noch eine Wiederholungswahl und dann könnt ihr ja Volt wählen."Ironie kurz vor einer Wahl, in der sich viele kleine Parteien benachteiligt fühlen.
Cara Seeberg, Landesvorsitzende Volt Berlin "Wir haben dieses Jahr viel weniger Geld zur Verfügung, was einfach den Grund hat, dass wir 2021 ein und ein Dreivierteljahr Zeit hatten, uns vorzubereiten, viel Fundraising betreiben konnten und im Endeffekt knapp 100.000 Euro hatten. Dieses Jahr ist es so bzw. als wir 2022 angefangen haben schon zu sammeln, war es jetzt so, dass wir knapp zwei, drei Monate Zeit hatten für die Vorbereitung und jetzt eigentlich auf unser Erspartes zurückgegriffen haben. Und das sind 30.000 Euro."Ein Problem, das für die großen Parteien zwar auch besteht, aber eher verkraftbar ist: Alle mussten auf die Schnelle einen nicht eingeplanten Wahlkampf auf die Beine stellen und bezahlen. Erst im November vergangenen Jahres hatte das Berliner Verfassungsgericht die Pannen-Wahl von 2021 gekippt.
Carsten Koschmieder, Parteienforscher FU Berlin "Man könnte davon ausgehen, dass es für kleine Parteien mit einem geringeren Budget und weniger Personal nicht einfach ist, jetzt den Wahlkampf kurzfristig zu organisieren. Dass sie auch nicht darauf eingestellt sind, Urlaub nehmen müssen, es nicht geplant haben. Und so weiter. Das ist für die kleinen Parteien nicht einfach, das ist aber für die großen Parteien auch nicht einfach. Und die kleinen Parteien in Berlin können möglicherweise davon profitieren, dass es eine große Unzufriedenheit damit gibt, wie in Berlin regiert wird, dass sie nicht mal die Wahl hinbekommen und auch viele andere Dinge nicht hinbekommen."Diese potenziell Unzufriedenen möchte Aida Spiegeler Castañeda von der Tierschutzpartei auf den letzten Metern des Wahlkampfes noch von sich überzeugen. Neue Plakate hat die Partei für den Wiederholungs-Wahlkampf nicht angeschafft - sie recycelt die alten. Bei der Tierschutzpartei ist das Budget nach Parteiangaben auf rund ein Viertel von 2021 geschrumpft, und nicht alle der 30 bis 50 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in Berlin konnten sich so viel Zeit nehmen wie bei einer geplanten Wahl. Und so setzt Spiegeler Castañeda auf neue Strategien.
Aida Spiegeler Castañeda, Bundesvorsitzende Tierschutzpartei "Dadurch, dass die Wetterbedingungen nicht gut sind, sind viel weniger Menschen unterwegs, die man jetzt durch Straßenwahlkampf erreichen würde. Viele sind dann auch eher online unterwegs. Das heißt, hier versuchen wir auch immer mehr, den Schwerpunkt auf Social Media zu lenken und dort die Menschen zu erreichen. Mit unseren Themen, mit unserem Programm."Bei der Abgeordnetenhauswahl im September 2021 schnitt die Tierschutzpartei mit 2,2 Prozent am besten von allen 28 Kleinparteien ab, die es nicht ins Parlament geschafft haben. Rund 40.000 Berlinerinnen und Berliner stimmten für sie. Zusammengenommen kamen die "Sonstigen" auf immerhin 12,5 Prozent der Zweitstimmen, eine Steigerung um 3,3 Prozentpunkte im Vergleich zur Abgeordnetenhauswahl 2016.
Carsten Koschmieder, Parteienforscher FU Berlin "In Berlin haben die Kleinstparteien traditionell sehr gut abgeschnitten und beispielsweise ist ja auch die Piratenpartei damals in Berlin das erste Mal ins Parlament gekommen; die Sonstigen, wie sie in den Wahlumfragen heißen, sind in Berlin stärker als in anderen Bundesländern, schon immer traditionell. Und deswegen ist es natürlich auch aus Sicht der Sonstigen, der kleinen Parteien, berechtigt, sich Hoffnung zu machen, vielleicht bei der nächsten Wahl eben ins Parlament zu kommen oder zumindest besser abzuschneiden."Ins Abgeordnetenhaus hat es die Tierschutzpartei noch nicht geschafft, ist aber in mehreren Bezirksparlamenten vertreten. Viele Wählerinnen und Wähler sind aber grundsätzlich schwer davon zu überzeugen, einer Kleinpartei wie der von Spiegeler Castañeda ihre Stimme zu geben. Häufig hört die 28-jährige Wirtschaftsjuristin die Sorge, die Stimme damit zu verschenken, doch sie hält dagegen.
Aida Spiegeler Castañeda, Tierschutzpartei "Wenn jetzt kleinere Parteien immer mehr Stimmen bekommen, wie wir das ja auch bei der letzten Wahl 2021 schon gesehen haben, das übt natürlich auch Druck auf die großen Parteien aus. Und gerade wenn wir als Tierschutzpartei dann auch ein starkes Ergebnis haben, dann ist das auch Anlass, gerade jetzt zum Beispiel für die Grünen oder für die Linken, ihr eigenes Programm zu hinterfragen. Wieso bekommt denn jetzt auf einmal eine kleine Partei so viele Stimmen? Liegt das vielleicht an uns? Liegt das an unserem Programm? Und indem sie das hinterfragen und dann vielleicht tatsächlich auch konsequenter an Ihr eigenes Programm rangehen, ist ja schon viel gewonnen."Für Kleinparteien wie Volt und die Tierschutzpartei geht es neben dem fernen Ziel der Fünf-Prozent-Hürde aber noch um etwas anderes: um die staatliche Parteienfinanzierung. Neben Mitgliedsbeiträgen und Spenden ist das eine wichtige Einnahmequelle für die Parteien in Deutschland. Rund 200 Millionen Euro werden aktuell pro Jahr ausgeschüttet. Die beiden großen Parteien, SPD und CDU, konnten in den vergangenen Jahren mehr als die Hälfte der Mittel für sich vereinnahmen, im Jahr 2021 rund 56 Millionen (SPD) und 51 Millionen Euro (CDU).
Wie viel jede Partei bekommt, hängt zum einen von ihren Wahlergebnissen ab, zum anderen von der Höhe der Spenden an sie. Und es gibt eine Hürde: Die Parteien müssen bei Bundestags- und Europawahl mindestens 0,5 Prozent der Zweitstimmen, bei Landtagswahlen mindestens 1 Prozent erreicht haben.
Dann gibt es Geld für jede Stimme, die für sie abgegeben wurde; im Jahr 2021 erhielten zum Beispiel die Freien Wähler rund 2,3 Mio. Euro, die Tierschutzpartei rund 1,3 Mio. Euro, und Volt 460.000 Euro vom Staat.
Carsten Koschmieder, Parteienforscher FU Berlin "In Deutschland gibt es die Regel: Parteien sollen nicht vom Staat abhängig sein. Deswegen dürfen sie nicht mehr Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung bekommen, als sie selber generieren, also beispielsweise durch Mitgliedsbeiträge. Und da haben gerade kleine und kleinste Parteien das Problem, dass sie, wenn sie mal bei Wahlen erfolgreich sind, dass sie dann das Geld überhaupt nicht ausgezahlt bekommen, weil sie natürlich nur sehr wenig Mitglieder haben, nur sehr wenig Spenden bekommen, überhaupt keine Großspenden und deswegen keine eigenen Einnahmen generieren und dann ihnen die staatlichen Mittel auch noch gekürzt werden."Zurück bei Volt in Berlin-Prenzlauer Berg. Die proeuropäische Partei hat bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 1,1 Prozent geholt, die Hürde für die staatlichen Zuschüsse also knapp geschafft. Für die Kandidatin Cara Seeberg ein Erfolg, auf dem man aufbauen wollte. Die 27 Jahre alte Politikberaterin weiß aber auch - sollte das Ergebnis sich nun wegen des finanziell und personell schwierigen Wahlkampfs verschlechtern, droht der jungen Partei ein herber Rückschlag.
Cara Seeberg, Volt Berlin "Ich meine, es sind knapp 900 € im Monat und das jetzt noch mal auf drei, knapp drei Jahre gerechnet. Es sind mehrere tausend Euro. Für uns ist es schon ein großer Unterschied, ob dieses Geld in unserer Parteikasse ist oder nicht. Davon können wir zum Beispiel jemanden bezahlen, der uns Social Media Grafiken macht. Dafür können wir jemanden bezahlen, der uns Social Media Auftritte überhaupt plant. Banale Dinge kaufen wie Banner, Flyer, irgendwelche Kundenstopper, das sind alles Dinge, die sind dann so leider nicht so einfach drin für uns. Und das ist schon schade."Die Wiederholungswahl am 12. Februar ist für die kleinen Parteien Herausforderung und Chance zugleich - einen Wahlkampf wie die Großen konnten sie diesmal nicht stemmen. Aber sie hoffen darauf, dass die traditionell experimentierfreudigen Berliner Wählerinnen und Wähler ihnen vielleicht gerade deshalb zu einem Überraschungserfolg verhelfen.