Zwei Ukrainer in Berlin - die eine ist vor dem Krieg geflüchtet; der andere will von hier aus seinen Landsleuten helfen.
Kateryna Khomenko und Andrij Ilin haben wir im Frühling dieses Jahres schon einmal getroffen. Jetzt wollen wir wissen: wie sieht das Leben einer Geflüchteten heute aus? Und vor welchen Herausforderungen stehen die Helfer jetzt, zehn Monate nach Beginn des Krieges?
Kateryna Khomenko hat in Berlin eine alte Leidenschaft wiederentdeckt - das Theater. Die 37-Jährige ist seit zwei Monaten Mitglied einer ukrainischen Theatergruppe, die zur Hälfte aus Geflüchteten besteht. Ein Ort, um sich auszutauschen, denn vielen hier geht es so wie ihr - Einsamkeit, Sprachprobleme, Sorge um die Angehörigen und die ungewisse Zukunft machen vielen der rund einer Million Ukrainern zu schaffen, die seit Februar in Deutschland Schutz gesucht haben.
Kateryna spielt in dem Performance-Stück "trap" - die Falle - das die Traumata von Krieg und Flucht zum Thema hat. Das Stück hat der ukrainische Autor und Regisseur Pavlo Kravtsiv in diesem Sommer speziell für das ukrainische Theater in Berlin geschrieben.
OT Kateryna Khomenko "Das Stück ist über uns, über Flüchtlinge. Auf der einen Seite tanzen wir fröhlich in Pyjamas herum, auf der anderen Seite ist es eine Tragödie."Rückblick, Mai dieses Jahres: Kateryna lebt in Berlin bei einer Gastfamilie und hat auch einen Job gefunden - als Saison-Aushilfe in einem Biergarten. Als anerkannte Ukraine-Geflüchtete hat sie automatisch eine Arbeitserlaubnis - und für diesen Job sind fehlende Deutschkenntnisse kein Problem. In ihrer Heimatstadt Odessa hat Khomenko Wirtschaft studiert und als Buchhalterin und Fremdenführerin gearbeitet.
OT Kateryna Khomenko "Ich sehe das nicht als Rückschritt. Ich liebe diese Arbeit. Ich muss noch mehr über Berlin und Deutschland lernen, wie die Dinge hier laufen. Später kann ich dann vielleicht bei einem Museum anfangen."Heute, ein halbes Jahr später - Ernüchterung. Alles geht viel langsamer als erhofft. Kateryna wohnt immer noch bei der Gastfamilie. Ihr Saison-Arbeitsvertrag ist im September ausgelaufen, seitdem ist sie arbeitslos und bekommt Geld vom Jobcenter. Für Kateryna sind - wie für viele andere Geflüchtete auch - mangelnde Deutschkenntnisse die größte Hürde. Und dann ist da noch der Berliner Wohnungsmarkt.
OT Kateryna Khomenko "Ich verstehe nicht, warum man zu einer Wohnungsbesichtigung 100 Leute einlädt. Für 99 Prozent von ihnen steht am Ende doch eh eine Absage."Ein weiteres Problem: Für jedes Formular, jede Bewerbung, benötigt Kateryna Übersetzungshilfe, doch gibt es dafür jetzt viel weniger freiwillige Helfer als noch im Frühjahr.
Diese Erfahrung hat auch Andriy Ilin gemacht. Der Rechtsanwalt stammt aus der Ukraine und engagiert sich im Berliner Verein Ukraine-Hilfe. Auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Charlottenburger Schloss verkauft der Verein ukrainische Spezialitäten und Kunsthandwerk, um Geld für Hilfstransporte aufzutreiben.
OT Andriy Ilin, Ukraine-Hilfe e.V. "Mit jedem Monat ist es weniger und weniger geworden... alle haben sich daran gewöhnt, dass es Krieg gibt, sowohl Geld- als auch Sachspenden sind zurückgegangen."Das war im Frühjahr noch anders. Mai 2022: die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist sehr hoch, der Ukrainekrieg sorgt für einen neuen Spendenrekord: bis September kommen 3,8 Milliarden Euro zusammen, dazu zahllose Sachspenden.
In einer Berliner Kirche sammelt Ilins Verein die gespendeten Lebensmittel und Hygieneprodukte, alle paar Tage fährt ein Transport in die Ukraine. Dutzende freiwillige Helfer, Ukrainer und Deutsche, kümmern sich um die Organisation, Ilin selbst steht im Dauerkontakt mit Hilfsorganisationen in der Ukraine.
OT Andriy Ilin, Ukraine-Hilfe e.V. "Ich hab gerade mit Menschen an der Front gesprochen, einige Sachen kann man nur direkt besprechen. Was berichten die? Es läuft!"Heute, rund zehn Monate nach Kriegsbeginn, geht es Ilin nicht mehr nur um Spenden. Er will auf dem Weihnachtsmarkt, zwischen Blasmusik und Glühweinbuden, das Bewusstsein dafür hochhalten, dass im Osten Europas Krieg herrscht. Sein Verein zeigt eine Fotoausstellung über die Zerstörungen in der Ukraine.
Ilins Forderung an die Politik ist noch dieselbe wie im Frühjahr.
"Wir brauchen Waffen, um unser Land zu verteidgen... deutsche Regierung verzögert das alles."Knapp ein Fünftel der Geflüchteten aus der Ukraine arbeiten regulär, rund die Hälfte besucht einen Sprachkurs, und knapp 40 Prozent will mindestens für einige Jahre oder sogar dauerhaft bleiben. Auch Kateryna Khomenko möchte unbedingt Deutsch lernen, eine eigene Wohnung und Arbeit finden, auch wenn das länger dauert, als zunächst geplant. Im Moment gibt nur das Theater ihr etwas Halt und Optimismus.
OT Kateryna Khomenko "Ich bin jetzt 37 und es kommt mir so vor, als würde ich ganz von Neuem beginnen. Aber das ist okay, ich habe diese Chance bekommen und ich werde sie nutzen, arbeiten - und leben."-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
"trap" wird veranstaltet von Plast - Ukrainischer Pfadfinderbund in Berlin e.V. und gefördert von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt.