Um Fischstäbchen wird in der Küche selten viel Aufhebens gemacht - schnell in die Pfanne und fertig ist meist die Devise. Bei diesem Lübecker Exemplar ist das anders, denn es handelt sich um einen europaweit einzigartigen Prototypen: Es ist Fischfleisch, und doch musste kein Fisch dafür sterben. Das Produkt stammt aus dem Labor.
Seit rund 15 Jahren arbeitet der Zellbiologe Sebastian Rakers an der Idee des so genannten "kultivierten Fischfleisches". Aus gutem Grund: Der weltweite Hunger auf Fisch steigt seit Jahren, auf mittlerweile rund 20,5 Kilogramm pro Jahr und Kopf. Ein Milliardengeschäft auf der einen Seite, Überfischung und, Zerstörung von Ökosystemen auf der anderen.
OT Sebastian Rakers, Gründer Bluu Seafood "Ich schaue schon sehr lange auf das Ökosystem Meer und bin auch leidenschaftlicher Taucher... habe hier eine Technologie an der Hand, das möchte ich verfolgen."Könnte also aus Laboren wie diesem von Bluu Seafood in Lübeck tatsächlich eines Tages eine technische und nachhaltige Lösung des Überfischungs-Problems kommen? Vertreter der so genannten "zellulären Landwirtschaft" wie Firmengründer Sebastian Rakers sind davon überzeugt. Die Technik der zellulären Landwirtschaft ist im Großen und Ganzen immer dieselbe, egal, ob Huhn-, Rind- oder Fischfleisch im Labor wachsen soll: Am Anfang steht die einmalige Entnahme von Zellen, die Biopsie. Ein einzelner Fisch wird dafür getötet, ganz ohne geht es also auch hier nicht.
OT Sebastian Rakers, Gründer Bluu Seafood "In diesem Muskelfleisch... das sind die Stammzellen... an die wollen wir heran, dazu müssen wir diesen Gewerbeverband auflösen."Das Besondere beim Fisch, im Vergleich zu anderen Tieren: das Fleisch ist relativ einfach und nicht sehr fest strukturiert. Ein Fischfilet sollte sich also leichter im Labor "nachbauen" lassen als zum Beispiel ein Steak. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wenn sich Fleisch im großen Maßstab auf diese Weise technisch herstellen ließe, könnte das...
Ethische und ökologische Probleme der Massentierhaltung oder des industriellen Fischfangs fallen weg.
Etwa Land-, Futter- und Wasserverbrauch herkömmlicher Landwirtschaft
Das Ziel: "Clean Meat" ohne Umweltgifte, wie zum Beispiel Schwermetalle im herkömmlichen Fisch
Das Laborfleisch könnte unabhängig von klimatischen und geographischen Faktoren hergestellt werden. Um all das zu erreichen, ist für Firmen wie Bluu Seafood ein Schritt entscheidend: Die dem Fisch entnommenen Stammzellen müssen sich in einer Nährflüssigkeit vermehren, das Fleisch muss selbständig heranwachsen. Bislang war das Nährmedium häufig fetales Kälberserum, für dessen Gewinnung ungeborene Kälber sterben mussten. Sebastian Rakers hat nach eigenen Angaben eine rein pflanzliche Alternative entwickelt, die die Zellen zur Teilung und zum Wachstum anregt.
OT Sebastian Rakers, Gründer Bluu Seafood Wenn man jetzt hier guckt, sieht man hier so dieses Zellkulturmedium. Das ist sozusagen das Nährmedium, mit dem wir die Zellen füttern. Und die Zellen sitzen hier unten auf dem Schalenboden und werden dann sozusagen mit dem Medium bedeckt, sodass sie hier dann optimal wachsen können. Uns geht es jetzt darum, dieses Medium auch so maßschneidern, dass es sehr kosteneffizient ist. Das heißt nur, dass auch reinkommt, was die Zellen am Ende des Tages auch verbrauchen.Nicht nur beim Thema "Kosteneffizienz" sehen Experten bei der neuen Technik noch viele offene Fragen.
OT Marius Henkel, Professor für zelluläre Landwirtschaft TU München Neben sozioökonomischen Punkten, aber auch biologischen Grundlagen steht vor allem die Maßstab Vergrößerung im Vordergrund. Das heißt also, wie kann man das, was im Labor in kleinem Maßstab vielleicht noch nicht ganz so effizient möglich ist, in industrierelevante Prozesse überführen. Mit dem aktuellen Stand der Technik stellt das noch eine sehr, sehr große Hürde dar.Der Stand der Technik sieht so aus: Im Lübecker Labor wächst im Bioreaktor tatsächlich Fleisch, das im Prinzip einem gefangenen Fisch gleicht. Allerdings in etwas undefinierterer Form, und noch nicht als Lebensmittel zugelassen.
OT Sebastian Rakers, Gründer Bluu Seafood "Das ist die pure Zellbiomasse... Kleinstmenge, die in die Produktentwicklung wandert."Erste Produkte sollen 2024 auf den Markt kommen, doch welche Mengen Firmen wie Bluu Seafood herstellen können, und zu welchem Preis, ist offen. Zunächst wird es die Fischstäbchen voraussichtlich in speziellen Restaurants geben. Bis ein natürlich aussehendes Labor-Lachsfilet im Supermarkt zu kaufen sein wird, werden wohl noch Jahre vergehen. Und noch viel länger, bis kultivierter Fisch und zelluläre Landwirtschaft tatsächlich eine Alternative zu Überfischung und Ressourcenverbrauch darstellen können.