In einem Biergarten im Zentrum von Berlin beginnt die Schicht von Kateryna Khomenko. Vor kurzem hat die 36-jährige Ukrainerin noch im Literaturmuseum von Odessa Sonderausstellungen kuratiert. Dann kam der Krieg und die Flucht - und der neue Job, der so gar nichts mit dem alten zu tun hat.
Kateryna Khomenko, aus Odessa " Ich sehe das nicht als Rückschritt. Ich liebe diese Arbeit. Ich muss erst noch mehr über Berlin und Deutschland lernen und wie die Dinge hier laufen. Später kann ich dann vielleicht bei einem Museum anfangen."
Khomenkos Beispiel zeigt, wie schnell Geflüchtete diesmal Fuß fassen, der direkte Zugang zum Arbeitsmarkt für Ukrainerinnen und Ukrainer macht es möglich. Mitte März kommt die studierte Betriebswirtin in Berlin an, mit einem Zug aus Warschau. Sie findet eine Gastfamilie und beginnt noch in derselben Woche mit der Jobsuche. Nun ist sie "Runnerin" im Biergarten, räumt Tische ab, leert die Mülltonnen und Ähnliches. 24 Stunden in der Woche, 11 Euro pro Stunde. Neben Khomenko haben die Biergarten-Betreiber vier weitere Ukrainerinnen eingestellt.
Maria, aus Kiew "Ich kann einfach nicht zu Hause sitzen, ich muss etwas tun. Je länger du zu Hause sitzt, desto mehr denkst du darüber nach, was in der Ukraine passiert. Wie geht es deinen Eltern, deinen Freunden... deine Arbeit, die du hinter dir gelassen hast. Vielleicht am dritten Tag hier habe ich angefangen, über Arbeitsmöglichkeiten nachzudenken."Kateryna, Maria und die anderen Neuen in diesem Betrieb entsprechen ziemlich genau dem, was eine Umfrage des Bundesinnenministeriums unter Ukraine-Geflüchteten in Deutschland ergeben hat. Demnach sind 84 Prozent der Geflüchteten Frauen, Durchschnittsalter rund 38 Jahre, 93 Prozent haben Abitur oder studiert, 86 Prozent waren vor der Flucht berufstätig. Sie treffen auf einen deutschen Arbeitsmarkt, in dem noch nie so viele Stellen unbesetzt waren: 1,74 Millionen waren es laut Institut für Arbeits- und Berufsforschung im ersten Quartal, die meisten in Logistik, Verkaufs- und Gesundheitsberufen. Doch es gibt auch Probleme bei der Vermittlung: Mehr als 80 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine sprechen sehr schlecht oder gar nicht Deutsch (Quelle BMI). Außerdem ist die Anerkennung der Berufsabschlüsse häufig schwierig.
In dem Berliner Biergarten mit Brauerei fallen Sprachkenntnisse und Abschlüsse nicht so sehr ins Gewicht. Das Team hier ist ohnehin sehr international. Hinzu kommt, dass die Gastronomie händeringend nach Personal sucht, gerade jetzt, wo sich die Corona-Lage ein wenig entspannt hat. Während der Pandemie haben viele Beschäftigte der Branche den Rücken gekehrt. Für die Personalverantwortliche der Biergarten-Brauerei ist das besonders zum Start der Sommer-Saison ein Problem.
Yvonne Kalthöfer, BRLO Brauerei "Personaler*innen sprechen über den ›War for Talents‹. Man bewirbt sich jetzt schon bei den Menschen und nicht mehr umgekehrt. Das heißt, wir brauchen mehr junge Menschen, die nach Deutschland kommen, die motiviert sind und hier arbeiten möchten. Es wäre ganz, ganz toll, wenn wir auch Menschen aus anderen Ländern und anderen Regionen da einen leichteren Zugang ermöglichen könnten."Eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen ist für Ukrainerinnen wie Kateryna viel unkomplizierter als für andere Geflüchtete.Die 36-Jährige hat diese Chance genutzt und will ihren Traum weiterverfolgen: einen Job in einem Museum zu finden, wie in Odessa - die Sorge um Familie und Freunde ist dennoch präsent.
Kateryna Khomenko " Es ist ein Durcheinander an Gefühlen. Ich habe Angst, ich bin allein hier. Aber gleichzeitig ist Berlin für mich eine Stadt der Möglichkeiten. Ich kann hier alle Museen besuchen, um mehr über die Geschichte zu lernen. Ich war schon im Humboldt Forum, im Alten Museum und anderen Orten."
Qualifiziert und motiviert sind viele Ukrainerinnen, die nun in Deutschland anfangen zu arbeiten. Aber über allem schwebt ständig die eine große Frage, für die Betroffenen selbst und ihre Arbeitgeber: Wie lange wird der Krieg dauern und wie lange werden die Geflüchteten in Deutschland bleiben? Ein Drittel rechnet laut einer Befragung des Bundesinnenministeriums damit, bald in die Heimat zurückzukehren.
Kateryna Khomenko kann sich vorstellen, länger zu bleiben. Sie hat einen Integrationskurs begonnen, lernt vier Stunden deutsch täglich. Und das mit der Arbeit hat ja auch schon geklappt.