An der Zettelwirtschaft, die Silvana van Baaren da vor sich ausbreitet, kann sie die Preisentwicklung der vergangenen zwei Jahre ablesen. Die Kassenbons zeigen: die Berliner Hartz-4-Empfängerin muss im Supermarkt immer mehr zahlen, um sich und ihre beiden Teenager-Töchter über die Runden zu bringen.
Silvana van Baaren "Hier hab ich jetzt zum Beispiel einen Kassenbon vom 24.11.2021. Da waren Bananen das Kilo noch 99 Cent. Mittlerweile sind die auch schon 30 Cent teurer geworden. Oder die Hähnchenbrust, die wir immer kaufen, die kostete da noch 89 Cent, mittlerweile 99 Cent."
Für Silvana van Baaren und ihren Freund bedeutet das: noch mehr sparen, noch mehr über jede Ausgabe nachdenken - gerade, wenn es ums Essen geht.
Mit Hartz 4 plus 450-Euro-Minijob als Babysitterin und Kindergeld hat die 35-Jährige für ihre dreiköpfige Familie rund 1500 Euro im Monat für Lebensmittel, Strom, Telefon, Kleidung und sonstige Ausgaben des täglichen Bedarfs.
Silvana van Baaren "Und da braucht sich die Politik nicht zu brüsten: 'Wir haben Hartz 4 um fünf Euro angehoben' - die Preise sind manchmal um das 10, 20, 30-fache gestiegen. Die Relation ist einfach gar nicht gegeben. "
Vieles wird teurer, dieser Eindruck wird von Wirtschaftsforschern bestätigt. Sie rechnen nach 3,1 Prozent im vergangenen Jahr in diesem Jahr mit einer allgemeinen Teuerungsrate von vier Prozent, bei Lebensmitteln sogar von 7 % gegenüber dem Vorjahr.
Die beiden Katzen hat sie sich Familie van Baaren in der Corona-Zeit angeschafft, viel kosten darf das Futter aber nicht. Die Geldsorgen sind allgegenwärtig.
Miete, Heiz- und Nebenkosten, sowie die Krankenversicherung übernimmt bei Hartz-4-Beziehern zwar das Jobcenter - die immer weiter steigenden Stromkosten aber nicht.
Silvana van Baaren "Hier habe ich meine Jahresendabrechnung. Und da steht: 'Ihr Stromverbrauch ist gesunken.' Dann eine Nachzahlung, was ich nachzahlen muss, 173,18 €. Und wenn man mal guckt, hier ist ein 2-Personen-Haushalt, 3440 Kilowatt, und das, was wir verbrauchen sind 2633 Kilowatt. Das heißt, wir haben nicht mal so einen hohen Verbrauch wie ein 2-Personen-Haushalt und wir leben hier zu dritt. Und da frage ich mich, wie weit soll ich mich noch einschränken? Das geht nicht."
173 Euro Nachzahlung trotz eines eher niedrigen Verbrauchs, das mag für viele Haushalte noch verkraftbar sein - für Silvana van Baaren bedeutet das, ein Darlehen vom Jobcenter zu beantragen und über Monate abzuzahlen.
Und die Energiepreise dürften im Zuge der "Energiewende" weiter anziehen, was vor allem Geringverdiener belastet:
Während Haushalte in der Einkommensklasse ab 5.000 Euro netto durchschnittlich 4,7% ihrer Konsumausgaben für Wohnenergie aufbringen müssen, sind es laut statistischem Bundesamt in der niedrigsten Einkommensklasse unter 1300 Euro netto 9,5%, also rund doppelt so viel. Es drohen Energiearmut und im schlimmsten Fall Stromsperren.
Um gegenzusteuern, stellt die neue Bundesregierung eine Streichung der EEG-Umlage in Aussicht, einen einmaligen Heizkostenzuschuss für Bezieher von Wohngeld oder Bafög, sowie ein im Koalitionsvertrag verankertes "Klimageld" für jeden Bürger. Das reiche nicht und sei sozial unausgewogen, kritisieren Opposition und Sozialverbände.
Noch ist nichts davon umgesetzt. Für Silvana van Baaren gab es zum ersten Januar nur eine Erhöhung des Hartz-4-Regelsatzes um 3 Euro. Bei den aktuellen Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Energie ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.
Van Baaren holt sich Hilfe bei der Stiftung "Arche", die sich um sozial schwache Familien kümmert. Seit rund einem Jahr bekommt die 35-Jährige hier bei Bedarf Lebensmittelspenden.
"Ist auch ein bisschen knapp geworden, die Lebensmittelpreise sind massiv gestiegen." "Ja, ob's Eier sind, ob's Kaffee ist, ob's Milch ist, Obst und Gemüse." "Wir haben es hier mal ein bisschen getestet, hier in der Arche. Also wir gehen davon aus, dass gerade das, was normalerweise preiswerter ist, dass die Lebensmittel um 30 Prozent gestiegen sind."Die "Arche" kennt viele Fälle wie den von Silvana van Baaren. Seit einiger Zeit kämen noch mehr Familien als früher, die auf Lebensmittel- und andere Spenden angewiesen seien.
Wolfgang Büscher, "Die Arche" Kinderstiftung Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ab dem 20. des Monats Familien hier anrufen, hier fragen, teilweise weinen am Telefon, viele trauen sich auch nicht wirklich zu fragen, dann geht das über die Kinder, also es ist eine große Not in Deutschland unter den Menschen, die nicht so viel Geld verdienen.
Silvana van Baaren Es ist für jeden einzelnen von uns Hartz-4-Empfängern, Geringverdienern, kostet es ein starkes Stück Überwindung, überhaupt nach Hilfe zu fragen. Und mittlerweile ist es so, dass ich gesagt habe: Ich brauche eure Hilfe. Ich schaffe das nicht alleine. Also nicht nur für meine Kinder die Hilfe, sondern auch für mich selbst.