Elena war ganz unten. Als sie den Mann verlassen hatte, der sie jeden Tag prügelte, der ihr den Lohn wegnahm, den sie im Bett waschen musste, wenn er keine Lust hatte, aufzustehen. Als sie diesen Albtraum hinter sich lassen wollte, begann der nächste. Sie stand allein da. Freunde? Verloren in den langen Jahren, in denen ihr Mann alles darangesetzt hatte, sie zu isolieren. Ihre Mutter? Alkoholikerin. Vater? „Ich kenne keinen Vater, ich kenne das Wort gar nicht", sagt die junge Frau mit dem langen dunklen Zopf.
Für die nächsten drei Jahre lebte Elena auf der Straße. Diese Zeit beschreibt sie mit zwei trockenen Sätzen: „Ich bin in Gärten eingebrochen. Habe bei Rewe geklaut." Sie spricht deutlich, beschönigt und entschuldigt nicht, was da passiert ist. Sie hat damit abgeschlossen. Denn mittlerweile gibt es etwas in ihrem Leben, das sie nach vorn blicken lässt. Ihre Tochter ist anderthalb Jahre alt und tapst in einer blaugemusterten Stoffhose durch das Zimmer.
Auch als Elena, die ihren Nachnamen nicht preisgeben will, obdachlos war, ging sie noch zu ihrem Mann, um zu putzen. Dann wieder in einen Kleingarten, schlafen, oder irgendwo in der Stadt. Hilfsangebote habe sie nicht gekannt, sagt sie. Alles war so aus den Fugen geraten.
Elena dachte, sie liebe diesen Mann. Seit sie 14 Jahre alt war, hatte sie bei ihm gelebt. „Er hat mich aufgezogen und zu der Frau gemacht, die er wollte." Damals, als Jugendliche, war sie von ihrer alkoholkranken Mutter zu ihm geflohen. Auch dort kannte sie Gewalt, schon seit frühester Kindheit. Sie hatte gedacht, dass er ihre Rettung sei. Aber er isolierte sie, machte sie von sich abhängig. „Ich habe gesprochen, gegessen und mit ihm Sex gehabt, wie er das gesagt hat. Ich war ihm hörig." Dass sie damals minderjährig war, interessierte keinen.
Mit Schule oder Ausbildung war nicht viel, sie arbeitete früh für ihren Mann in Cafés, später auch in einer Kürschnerei. Das Geld nahm er ihr ab. Wenn sie davon erzählt, wird sie wütend. „Ich habe so viel Geld verdient, und es sieht aus, als hätte ich mein ganzes Leben nicht gearbeitet", sagt sie. Denn meistens waren die Beschäftigungsverhältnisse nicht ganz legal, über Freunde ihres Mannes bei den Hells Angels oder gleich schwarz.
Ihr Mann manipulierte sie, übte Kontrolle über sie aus. Wie aus einem grausamen Handbuch für Zwangskontrolle hört es sich an, wenn Elena das Verhalten des Mannes beschreibt, den sie damals auch geheiratet hatte. „Er hat mich weggeschmissen und immer wieder zurückgeholt", sagt sie. Dass sie das mittlerweile so reflektiert erzählen kann, ist einer der Erfolge, den sie durch die Therapie bei der „Starken Bande" erreicht hat. „Vergessen kann man nicht, aber damit umgehen", sagt sie.
Die 15 Jahre, die die Beziehung dauerte, haben tiefe Spuren hinterlassen. Körperlich, denn Elena hat noch heute Schmerzen im Rücken, in den Füßen und Händen von den Schlägen, wie sie sagt. Vor allem aber seelisch.
Nach drei Jahren auf der Straße gelang es ihr, sich vollends zu befreien. Irgendwie setzte die Erkenntnis ein: Dieser Mann liebt sie nicht. Er ist ihr Untergang.
Ein Freund half ihr, von der Straße wegzukommen. Sie begann wieder zu arbeiten, zunächst erst mal schwarz, weil ihr Pass abgelaufen war und sie kein Geld für einen neuen hatte. Dann traf sie einen anderen Mann und verliebte sich. Er habe ihr gezeigt, wie eine echte Familie aussieht. Die beiden wurden ein Paar, und nach einiger Zeit war Elena schwanger. „Ich konnte das Baby behalten", sagt sie und streicht ihrer Tochter über den Kopf, die heute anderthalb Jahre alt ist. Zuvor hatte sie mehrere Fehlgeburten; durch die jahrelange Misshandlung und viele Operationen war ihr Gesundheitszustand schlecht, und sie verlor immer wieder ihr Kind.
Als ihr Mädchen kam, war sie glücklich, aber auch am Ende. „Ich hatte keine Kraft mehr, war immer krank." Ständig hatte sie Albträume, Flashbacks. Sie schlief nicht mehr. Martina Abeln-Schermuly, ihre Therapeutin bei der „Starken Bande", sagt: „Das sind die klassischen Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung."
In der Geburtsklinik hatten die Babylotsen mit Elena gesprochen. Das sind qualifizierte Sozialpädagoginnen, die im Auftrag der Stadt versuchen, so früh wie möglich an Familien mit Unterstützungsbedarf heranzutreten. Sie gehören zu den Partnern der „Starken Bande" und boten ihr Hilfe an, weil sie sahen, dass Elena schwer zu kämpfen hatte. „Die haben nicht lockergelassen", sagt sie, aber lächelt dabei. Nach einigem Zögern nahm sie an, vielleicht weil sie spürte, dass sie allein nicht mit dem fertig wurde, was sie bis dahin erlebt hatte. Die Babylotsen stellten den Kontakt zur „Starken Bande" her.
Der riesige Haufen Mist, den ihr Mann ihr hinterlassen hatte, als er sich ins Ausland absetzte, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, schien Elena erst zu groß, um ihn irgendwie aufzuräumen. Sie hatte durch ihn Schulden, er hatte auf ihren Namen Cafés eröffnet und auch in Bulgarien und Griechenland in ihrem Namen Schulden gemacht. Als ihre Tochter geboren wurde, war sie noch verheiratet, das Kind galt also erst einmal offiziell als seines. Sie hat noch immer nicht die Papiere bekommen, die das Gegenteil beweisen und es ihr ermöglichen, einen Pass für das Mädchen zu bekommen, auch wenn die Scheidung mittlerweile durch ist. Der einzige Ausweg, den sie sah, war: abhauen. Irgendwohin, wo sie mit alldem nichts mehr zu tun hätte. Aber das hätte auch bedeutet, dass sie ihrem Kind die Chance nimmt, in Deutschland aufzuwachsen und dort die Möglichkeit eines besseren Lebens zu haben, als sie es hatte.
Also rang sie sich durch, den schweren Weg zu gehen. Mit Hilfe ihrer Therapeutin kümmerte sie sich um die Papiere. Noch immer sind sie nicht vollständig, aber es geht in kleinen Schritten voran. Und sie begann, ihre schwierige Lebensgeschichte zu bearbeiten.
Ein Jahr lang dauerte die Therapie. „Das war schon ein Kampf", sagt Elena. „Wenn Frau Schermuly was gesagt hat, dann hat das manchmal schon gesessen." Denn es ging darum, das eigene Verhalten zu begreifen, sich einzugestehen, dass sie manipuliert wurde und in eine Abhängigkeit zu dem Mann geraten war, von der sie glaubte, es sei Liebe.
Aber Elena wollte sich ändern und ihr Leben für ihre Tochter in den Griff kriegen, so richtig. Anfangs war sie wahnsinnig hektisch und nervös, erinnert sie sich. Inzwischen spricht sie noch immer mit Temperament, aber ist mehr bei sich. Die Albträume sind weg. Und mit ihrer Tochter und ihrem Partner ist sie glücklich. Das Verhältnis zwischen Elena und ihrem Kind ist innig und wirkt sehr gesund. Wer sie trifft, kann das selbst beobachten: Das kleine Mädchen spielt eigenständig, während seine Mutter von ihrer Lebensgeschichte erzählt, kommt aber immer wieder mal zu Elena, um ihr ein Spielzeug zu zeigen oder eine Kuscheleinheit abzugreifen. Die Therapeutin erklärt, dass das ein gutes Zeichen sei: Das Kind fühlt sich sicher und ist dem Alter angemessen selbständig, aber bezogen auf die Mutter.
Seit ein paar Monaten ist die Therapie vorbei. Elena hat nun begriffen. In vielen Gesprächen mit Abeln-Schermuly analysierte sie ihre Traumata, ihre Ängste und Schwächen. Aber auch ihre unglaublichen Ressourcen, die sie selbst zunächst kaum wahrhaben wollte: Elena spricht zum Beispiel sieben Sprachen. „Sie hat eine außerordentliche Resilienz, die ihre Intelligenz widerspiegelt", sagt Abeln-Schermuly. Resilienz ist psychische Widerstandskraft. So nennen es Psychologen, wenn es Menschen schaffen, sich aus widrigsten Umstände zu befreien. So wie Elena: Auch wenn sie jahrelang verprügelt wurde, keine Familie hatte, die ihr half: Sie gab sich nicht geschlagen.
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