Sie lieben einander und andere: Benny und Alina Skibba aus Waldkirch führen eine polyamore Beziehung. Diese offene Ehe ist für sie eine Bereicherung, erfordert aber auch viel Arbeit.
Es fängt an, wie so viele Liebesgeschichten anfangen. Alina und Benny Skibba, damals tragen sie noch verschiedene Namen und leben in verschiedenen Bundesländern, lernen sich bei einem Theaterfestival kennen. Es funkt, sie küssen sich, aber weil sie beide in festen Beziehungen sind, trennen sich ihre Wege wieder. Wäre da nicht die braune Fleecejacke. "Ich habe noch deine Jacke", blinkt eines Tages eine Nachricht auf seinem Handy, er antwortet – und dann hören sie nicht wieder auf, sich zu schreiben. Wochen später treffen sie sich in Freiburg, buchen sich ein Hotelzimmer, eigentlich nur für eine Aussprache. Aber es wird mehr daraus. Und am nächsten Morgen ist ihnen klar: Es geht nicht mehr ohne den anderen.
Alina und Benny Skibbas Liebesgeschichte geht aber nicht weiter wie die von vielen anderen. Sie verlieben sich neu, gehen neue Beziehungen ein und bleiben trotzdem zusammen. Die Skibbas leben polyamor und sagen: Wir machen nichts anders als monogam lebende Paare. Wir sagen es uns nur offen und ehrlich. Andere gehen fremd.
Während sie ihre Geschichte erzählen, berühren sie sich immer wieder und schauen sich immer wieder an. Beide um die 30 Jahre alt, sitzen sie in ihrer Wohnung im Waldkircher Ortsteil Siensbach, auf dem Tisch stehen Kekse und Kaffee, durch das Fenster blickt man auf den Kandel. Hinter ihnen an der dunklen Holzwand hängt die Erinnerung an diesen 13. Dezember 2015 in Freiburg: "Die Nacht, die alles veränderte" steht da schwarz auf weiß, darüber ein kreisrunder Sternenhimmel.
Elf Tage später war Weihnachten – eigentlich hatten sie das Fest abwarten wollen, bevor sie sich von ihren Partnern trennten. Aber nach drei Tagen platzte Benny Skibba damit heraus, Alina Skibba nach acht. Zu Silvester sahen sie sich wieder. Bei Glühwein auf dem Balkon erzählten sie von ihrem emotionalen Gepäck und sagten sich: Wenn das funktionieren soll, müssen wir über alles sprechen. "Das ist eigentlich die Grundlage unserer Beziehung, nach wie vor", sagt Benny Skibba.
Sie zogen schnell zusammen, aber die Sache mit der Polyamorie kam langsam. Es fing an mit einer Liste von sexuellen Wünschen, wie anderen beim Sex zuzugucken. Oder andere zugucken zu lassen. Also fingen sie an, Swingerclubs zu besuchen, und fanden nach ein paar gescheiterten Versuchen an einem Frühlingsabend im Jahr 2017 ein Paar. "Zwischen mir und der Frau ist auch ein bisschen mehr passiert", sagt Alina Skibba, während sie ihren Ehemann anschaut. Der, erzählt er nach einem Schluck Kaffee, hatte bis dahin Probleme, damit umzugehen, dass seine Frau bisexuell ist, also auf Frauen und Männer steht. Er sei oft eifersüchtig gewesen. Aber als er die beiden sah, sei die Eifersucht gar nicht mehr so schlimm gewesen.
Ein Jahr verging, bevor sie den Versuch starteten, die Beziehung zu öffnen. Sie meldeten sich auf Tinder an, Alina bekam viele Anfragen, Benny kaum und plötzlich war die Eifersucht wieder da und die Beziehung drei Tage später wieder monogam. "Das hat mich überrumpelt, das war echt schwierig für mich", sagt Benny Skibba. Aber Alina Skibba sagte damals voller Vertrauen in das, was sie hatten, dass sie sich eben erstmal zurückhalten würde, er aber seine Erfahrungen mit anderen Frauen ruhig machen sollte.
Und dann, wenige Wochen später, lernten sie Thomas und Lisa (beide Namen geändert) kennen. Eigentlich nur, um Erfahrungen auszutauschen, über offene Beziehungen und Swinger-Nächte. Aber aus einem Treffen auf ein Bier wurde eine ganze Nacht voller Gespräche, erst in einer Bar, dann bei Thomas und Lisa zu Hause. "Es ist nichts passiert, aber man hat gemerkt, da ist Interesse auf beiden Seiten", sagt Alina Skibba und Benny nickt und fügt hinzu: "Danach ging alles rasend schnell." Bei jedem Treffen knisterte es mehr und nach einem gemeinsamen Abendessen landeten die vier mit dem jeweils anderen Partner im Bett.
Aber es sei nicht nur um Sex gegangen. Plötzlich sei da dieses Herzklopfen gewesen, die Aufregung, wenn eine Nachricht der beiden kam, die zittrige Vorfreude auf die Treffen. "Es waren liebesähnliche Gefühle, aber es hatte eine andere Dynamik", sagt Benny Skibba. Auch zwischen ihm und dem anderen Mann. "Nur weil ich mich sexuell nicht zu Männern hingezogen fühle, heißt das nicht, dass es nicht gefühlsmäßig geht."
"Es waren liebesähnliche Gefühle, aber es hatte eine andere Dynamik" - Benny Skibba
Man habe nicht nur auf eine Person reagiert, ergänzt Alina Skibba – sondern auf drei, alle mit eigenen Bedürfnissen. Häufig sprachen sie zu viert darüber, was da passierte, und genauso häufig auch zu zweit. "Das war auch das erste Mal, dass wir uns mit Polyamorie so richtig beschäftigt haben und gemerkt haben, das passt irgendwie. Am Ende haben wir uns gefühlt wie eine große Familie", sagt Alina. Benny schenkt sich Kaffee ein, nickt. "Es war immer jemand da, der dich verstanden hat", sagt er. Deswegen finde er nach wie vor, dass eine polyamore Liebesbeziehung stärker sei als eine monogame.
"Am Ende haben wir uns gefühlt wie eine große Familie" - Alina Skibba
Da seien einfach mehr Leute, denen man etwas bedeute. Mehr, die am gemeinsamen Band arbeiten würden.
Nach etwa einem halben Jahr ging die Beziehung auseinander, Thomas und Lisa hätten mehr Zeit für sich und für ihre Kinder gebraucht, sagen beide etwas wehmütig. Aber für die Skibbas war danach klar, dass das kein einmaliges Experiment bleiben sollte.
Heute führt Alina Skibba eine Beziehung mit einem anderen Mann, den sie gerade nur selten sieht, Benny Skibba ist "Polysingle", wie er scherzhaft sagt. Auch er hatte eine Zeit lang eine Freundin, aber es hielt nicht.
Sie sagen, sie haben schwierige Zeiten hinter sich, in der die Beziehung auf der Kippe stand. Weil sie Verlustängste bekam und sich an ihren Ehemann klammerte, weil er feststellte, dass er immer jemanden verletzte – seine Freundin oder seine Frau. Weil sie beide sich voneinander entfernten, sich missverstanden fühlten.
Sie überlegten, doch wieder monogam zu leben, nur eigentlich habe das keiner der beiden gewollt. Genauso wenig wollten sie aber die eigene Beziehung aufs Spiel setzen. Also stellten sie Regeln auf: Einen Date-Abend pro Woche, an dem sie sich mindestens 20 Minuten Zeit nehmen, um über ihre Beziehung zu sprechen. Die Frau, den Mann nicht vernachlässigen, damit die Ehe nicht zum Alltag wird und die andere Beziehung zur Freizeitbeschäftigung mit Schmetterlingsgefühlen. Immer Rücksicht auf die Gefühle der weiteren Personen nehmen. Und ganz alltägliche, pragmatische Regeln: Im Schlafzimmer in ihrer Wohnung gibt es nur sie beide. Und nach dem Nachhausekommen duschen sie erstmal, wenn sie andere gesehen haben. Die restlichen Grenzen stecken sie immer wieder neu. "Schlechte Poly-Tage", wie sie beide unisono sagen, gebe es immer noch.
Aber mittlerweile hätten sie ein gutes Gleichgewicht gefunden – und wenn der andere Probleme mit der zweiten Beziehung hat, dann "reden wir darüber wie Kumpel", sagt Alina Skibba und ihr Mann nickt. Am liebsten wäre beiden eine Beziehung zu dritt oder zu viert. Zusammenzuziehen wäre der Jackpot, findet Benny Skibba. "Seinen Lebensabend gemeinsam zu verbringen, auf der Terrasse zu sitzen und Skat zu spielen", sagt er und beide lachen, die Köpfe aneinander gelehnt.
Was viele nicht so ganz verstehen würden: Das Verlassen der eigenen Komfortzone habe sie beide und ihre Ehe gestärkt. Während sich Alina und Benny Skibba die dritte Kaffeetasse einschenken, sagen sie, dass sie es verstehen können, dass sich ihre Art von Beziehung nur wenige vorstellen können. Sie sagen aber auch, dass Seitensprünge viel bequemer seien als sich mit den eigenen Bedürfnissen und denen des Partners immer und immer wieder auseinanderzusetzen. Oft würden sie gefragt: Reicht ihr euch nicht? "Aber darum geht es nicht", sagt Alina Skibba. Sie liebe ihren Partner – und möchte ihn nicht einschränken. Schlussendlich halte ihre Beziehung gerade deshalb länger: "Viele verwechseln die rosarote Brille vom Anfang mit Liebe, trennen sich von ihrem Partner und bereuen das dann jahrelang", sagt Benny mit einem Achselzucken.
Inzwischen hat Alina Skibba, die als Sozialarbeiterin tätig ist und sich in Gesprächsführung weitergebildet hat, in Waldkirch ein Büro für Beziehungsberatung eröffnet. Auch wenn dieser Nebenerwerb noch sehr klein ist, laufe online viel. Lange schrieben sie einen Blog, inzwischen teilen sie ihren Alltag in einem Podcast und auf Plattformen wie Instagram oder TikTok. Dort würden ihnen viele Paare schreiben, die schon polyamor leben – nur eben nicht öffentlich, aus Angst vor Stigmatisierung. Überzeugen wollen sie niemanden. Aber informieren. Wenn das nur einer höre und sich dann sage "Das ist genau das, was ich fühle", dann sei das auch schon ein Gewinn.