Theresa Steudel

Redakteurin und Autorin, Freiburg im Breisgau

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Artikel

Warum sich junge Menschen in Gewerkschaften engagieren

Den Gewerkschaften laufen die Mitglieder weg – ihnen fehlen junge Leute. Dabei ist es deren Arbeitswelt, die sich in Zukunft verändern wird. Wir haben fünf junge Menschen getroffen, die sich gewerkschaftlich engagieren.

Moritz Hüttner

Sein Interesse an Gewerkschaften, sagt Moritz Hüttner, wurde ihm in die Wiege gelegt. Der Vater, Mitglied bei der IG Metall, saß jahrelang im Betriebsrat seiner Firma. Die Mutter war Vorsitzende des Verdi-Bezirks Mittelbaden-Nordschwarzwald. Sie war es, die ihn mit 17 Jahren zu seiner ersten Sitzung mitnahm. "Das war schlimm", sagt Hüttner lachend, als er daran zurückdenkt. "Ich war mitten in der Abiturvorbereitung und hab mich total fehl am Platz gefühlt." Aber zu Hause erzählte seine Mutter immer von den Aktionen der Verdi-Jugend in Karlsruhe – zum Beispiel warfen sie zur Landtagswahl 2011 in Stuttgart mit Lichtinstallationen ihre Forderungen auf die Außenfassade des Landtags. "Das fand ich richtig gut." Also trat Hüttner Verdi bei.


Inzwischen ist er 24, Geschäftsführer des Bezirksjugendvorstands Südbaden und als Delegierter im Landesbezirksjugendvorstand. Mit zwei Stellvertretern leitet er die Sitzungen der Verdi-Jugend, organisiert Aktionen und Seminare. Das alles neben dem Masterstudium in Politik in Freiburg. Manchmal ist er von seinen Kommilitonen genervt. "Die haben ein krasses Fachwissen. Aber sie engagieren sich einfach nicht." Er hingegen will nicht nur reden, sondern anpacken. Und weil er sich durch keine Partei repräsentiert fühlt, macht Hüttner eben Politik bei Verdi.


Am wichtigsten ist ihm der Kampf gegen Rechtsextremismus und -populismus. Er findet, dass auch Gewerkschaften und ihre Mitglieder "klare Kante zeigen müssen" gegen diesen Trend. "Vor allem, wenn man weiß, was mit den Gewerkschaften zur Zeit der Nazi-Diktatur passiert ist." Gewerkschaftler wurden damals verfolgt. 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, waren die Gewerkschaften Opfer von Anschlägen, später wurden sie gleichgeschaltet oder aufgelöst und Gewerkschaftler verfolgt. Auch deshalb ist Hüttner am 1. Mai immer unterwegs bei Anti-rechts-Aktionen. Ob mit der Verdi-Jugend oder ohne.


Von seiner Arbeit als Gewerkschafter nimmt der Student viel fürs spätere Leben mit. In den Seminaren habe er sich weitergebildet, gelernt, vor Menschen zu reden. Auch seine Zukunft sieht er in der Politik – vielleicht bei einer Nichtregierungsorganisation. Vielleicht aber auch als Gewerkschaftssekretär. Dass Gewerkschaften auch in Zukunft gebraucht werden, ist für den Studenten keine Frage: "Durch die Digitalisierung werden Gewerkschaften wieder wichtig, weil sich arbeitstechnisch sehr viel ändert." Studien belegen, dass neue Arbeitsplätze entstehen werden. Aber in manchen Branchen werden sie wegfallen. "Was passiert dann mit diesen Menschen? Da ist es wichtig, dass ihnen einer den Rücken stärkt."


Ihm ist klar, dass seine Kollegen momentan nicht den besten Ruf haben. "Das ist das Problem von Verdi, wir sind eine Dienstleistungsgesellschaft." Er könne den Ärger nachvollziehen, wenn die Straßenbahn nicht fährt oder der Kindergarten geschlossen bleibt. "Was aber viele nicht sehen: Die Gewerkschaft macht das doch nicht, weil sie Bock darauf hat, sondern weil sie im Arbeitskampf ist." Für mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Anerkennung.


Ann-Kathrien Bossert

Hätte sie das gebündelte Wissen der IG Metall nicht, könnte Ann-Kathrien Bossert ihren Job nur halb so gut machen, sagt sie. Bossert ist Jugendvertreterin bei Neoperl in Müllheim. Wenn Auszubildende mit Fragen zu ihr kommen, hat sie meistens eine Antwort parat. "Aber danach schreibe ich oft der IG Metall nochmal schnell bei Whatsapp: ,Habe gerade die und die Auskunft gegeben, stimmt das?‘ Einfach, um mich rückzuversichern", erzählt die 23-Jährige. Einmal half sie einem Auszubildenden dabei, eine Anstellung zu bekommen. Obwohl die Firma den jungen Mann nicht übernehmen wollte, setzte sich Bossert mit Rückendeckung der IG Metall und des Betriebsrats für ihn ein – mit Erfolg, erzählt sie stolz.


In ihrer Freizeit hilft sie dem Jugendsekretär der IG Metall bei organisatorischen Aufgaben. Oder besucht Seminare. Dann wären da noch die monatlichen Treffen der Jugendvertreter des Freiburger und Lörracher Bezirks oder die vierteljährlichen Treffen des Bezirksjugendausschusses. Gerade arbeitet Bossert an der Kampagne für den neuen Manteltarifvertrag der Auszubildenden mit. "Die letzten Verhandlungen dazu sind 40 Jahre her", erklärt sie. "Seither haben sich Betriebe, Berufe und Anforderungen komplett verändert. Das muss angepasst werden." Hunderte Azubis würden zusammen dafür eintreten. "Wenn das durchkommt, kann ich später mal sagen – da war ich mit dran beteiligt."


Mit 18 Jahren begann Bossert ihre Ausbildung als Industriekauffrau bei Neoperl. Die Firma entwickelt Sanitärprodukte. Bossert war im Bereich Industrial Engineering tätig. Es dauerte nicht lange, bis der Betriebsrat fragte, ob sie sich für die Jugendauszubildendenvertretung aufstellen lassen wolle. "Da hab ich sofort ja gesagt." Es war für sie selbstverständlich, gleichzeitig der IG Metall beizutreten – auch wenn es durchaus Kollegen gäbe, die das nicht tun. "Aber die Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung, Gewerkschaft und Betriebsrat läuft hier einfach gut. Da war für mich klar, dass ich das mache."


Ihre Aufgaben gefielen ihr so sehr, dass sie vor ein paar Monaten ihre bisherige Stelle aufgab und ganz zum Betriebsrat wechselte. Dort ist sie nun als Assistentin des Rats und der Arbeitssicherheitsabteilung angestellt. Sie kümmert sich um Arbeitsunfälle, kontrolliert, dass die Maschinenabnahme richtig protokolliert wird, bereitet Ausschüsse und Sitzungen vor. Das hat wenig mit ihrer alten Stelle zu tun. "Am Anfang war mir schon mulmig. Klar, hatte ich einen Einblick in den Betriebsrat, aber für die Arbeitssicherheit war ich nicht ausgebildet." Der Übergang lief geschmeidig – seitdem hat Bossert vor einer Umorientierung weniger Respekt.


Im Gespräch mit Kollegen stelle Bossert häufig fest, dass wenige von den Vorteilen einer Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft wissen. "Meistens sage ich irgendwann: ,Die IG Metall kümmert sich da. Oder die haben Infos. Oder dort unterstützt man dich.‘ Mein Gegenüber hat dann häufig einen Aha-Moment." Den hat Bossert auch: "Da merkt man, dass die Gewerkschaft noch viel mehr nach außen transportieren muss, was sie leistet. Und natürlich auch alle Mitglieder."


Bei der Frage, was sie sich für ihre Zukunft vorstellt, wirft Bossert einen Blick zur Seite zu den Bürotischen, an denen die zwei Betriebsratsvorsitzenden gerade arbeiten. "Wenn ich mich in ein paar Jahren um die Erwachsenen kümmere und nicht um die Azubis, dann habe ich nichts verpasst." Sie wolle genau da bleiben, wo sie gerade sei.


Julia Meier

Julia Meier ist im dritten Jahr ihrer Ausbildung als anästhesietechnische Assistentin an der Uniklinik in Freiburg, sitzt im Bezirksjugendvorstand von Verdi und in der Jugendtarifkommission der Universitätsklinik. Unter ihren Azubi-Kollegen ist sie damit eine Ausnahme – denn nur wenige engagieren sich gewerkschaftlich. Für Meier ist das nur schwer nachzuvollziehen. Denn sich in der Gesellschaft einbringen, das findet sie wichtig.


Schon während ihrer Schulzeit war die heute 22-Jährige politisch interessiert. Weil sie Gewerkschaften universeller als Parteien findet, trat sie Verdi bei. Dort begegne sie einem breiten Parteispektrum mit vielen Ansichten, Themen und Schwerpunkten. "Man kommt ins Gespräch mit anderen über Politik und kann sich austauschen."


Für ihre und die Interessen anderer eintreten, möchte Meier auch in Zukunft. Vor allem an ihrem Arbeitsplatz gebe es eine Menge Menschen, die gehört werden müssen. "Gewerkschaften werden im Gesundheitssektor zunehmend wichtiger", sagt Meier. Erst im Juni setzten sie an den Unikliniken Heidelberg, Tübingen, Ulm und Freiburg den Entlastungstarifvertrag durch. Während der Streikzeit animierte Meier andere mitzumachen. Als der Tarifvertrag beschlossen war, habe es viel positives Feedback gegeben. "Die meisten Kollegen sind dankbar, dass es da jemanden gibt, der sich um sie kümmert." Nun sollen die Klinikmitarbeiter durch mehr Personal und Springerstellen entlastet werden. Belastungsmessungen ermitteln derzeit den Personalbedarf an den Standorten. Für Meier eine große Errungenschaft.


Noch merkt das Personal davon aber nicht viel. "Das frustriert natürlich", sagt die Auszubildende. Ihre Kollegen seien häufig missmutig. "Nach dem Motto: Da wird ja eh nichts erreicht." Viele wollten Verdi nicht beitreten – auch deshalb, weil sie der monatliche Beitrag von einem Prozent des Bruttoeinkommens abschrecke. "Oder sie haben Angst, dass sie aktiv werden müssen." Dabei denkt Meier, dass es sehr wichtig ist, sich als Arbeitnehmer zusammenzuschließen und sich zu organisieren.


Denn als sich Gewerkschaften entwickelten, erinnert die Auszubildende, sah die wirtschaftliche Situation ganz anders aus als heute. "Dass wir diesen Standard überhaupt haben – den Mindestlohn, Urlaubstage, Weihnachtsgeld, das haben wir den Gewerkschaften zu verdanken. Das war nicht immer selbstverständlich." Wer das beachte, der komme zu dem Schluss, dass man die Gewerkschaften braucht – auch in Zukunft.


Der Zukunft sieht die junge Frau zuversichtlich entgegen. Sie überlegt, ein Studium an ihre Ausbildung anzuhängen, und will sich weiter politisch bei der Gewerkschaft sowie sozial in ihrem Beruf engagieren. Wie der in ein paar Jahren aussieht, wer weiß – denn Meier ist sich sicher, dass sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung ändern wird. "Nicht zwingend ins Schlechte. Was passiert, darauf haben wir alle einen Einfluss. Ob man den nutzt, ist die andere Frage."


Katja Friedlin und Olga Suppes

"Ich möchte kein Schmarotzer sein", sagt Katja Friedlin auf die Frage, warum sie sich entschieden hat, der IG Bergbau, Chemie und Energie beizutreten. Würde jeder denken, dass andere sich um Probleme kümmern, käme ein Betrieb nicht weit, findet sie. Die 25-Jährige sitzt im Betriebsratsbüro des Chemiekonzerns DSM. Aus dem Fenster schaut man auf das riesige Gelände in Grenzach, dass sich DSM und der Pharmakonzern Roche teilen. Friedlin hat vor wenigen Monaten ihre Ausbildung abgeschlossen, nun sitzt sie im Betriebsrat. Schon während ihrer Ausbildung war sie gewählte Jugendvertreterin und verhandelte zwischen der Geschäftsleitung und den Azubis, wenn es Probleme gab.


Durch ihre Arbeit konnte sie hinter die Kulissen der Firma schauen und Betriebsabläufe verstehen. "Und natürlich mitentscheiden", sagt ihre Kollegin Olga Suppes, ebenfalls seit wenigen Monaten kein Azubi mehr und neu im Betriebsrat. "Es ist doch schade, wenn man die Möglichkeit hat, aber nicht nutzt." Beide wollen sich für ihren Betrieb einsetzen, für geregelte Arbeitszeiten, Sicherheit und ein gutes Klima in der Firma. Der IG BCE waren sie schon zu Beginn ihrer Ausbildung beigetreten. "Für die Azubis gab’s ein bisschen mehr Vorteile, zum Beispiel Eintrittskarten für Veranstaltungen, um die Mitgliedschaft schmackhafter zu machen", erzählt Suppes. Dabei zählen für die beiden ganz andere Dinge: "Wir kriegen durch die Tarifverhandlungen mehr Geld, wir bekommen einen Anwalt gestellt bei Problemen, wir haben Rechtsschutz und 30 statt 28 Tage Urlaub", sagt Friedlin.


Die beiden jungen Frauen haben ihre Branche gefunden und sind mit ihrem Beruf zufrieden. Als Chemikantin in der Produktion und Chemielaborantin wollen sie bei DSM bleiben, sich weiterbilden und später am Hochrhein ihre Familie gründen. "Wenn man eine Ausbildung macht, ist der Betrieb wie die Familie. Das will man erhalten."


Dass immer mehr junge Menschen das Studium einer Ausbildung vorziehen, finden sie schade. "Auf die Ausbildung wird heruntergeschaut", sagt Friedlin. "Das wird man nicht aufhalten, wenn die Ausbildung nicht politisch mehr unterstützt wird." Auch dafür wollen sie sich einsetzen. Angst vor der Zukunft hat keiner der beiden. "Die Arbeitsbedingungen werden immer besser", sagt Friedlin – dank der Gewerkschaften.

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