Es ist eine Zahl, die aufrüttelt: Jedes Jahr vergiften sich weltweit 385 Millionen Menschen an Pestiziden. Sie trinken kontaminiertes Wasser. Essen Lebensmittel, an denen Rückstände haften. Sind zufällig in der Nähe, wenn der Wind ein frisch ausgebrachtes Mittel verweht. Oder, besonders häufig, sie verteilen die Chemikalien selbst. Viele von ihnen leben im Globalen Süden. Sie werden nicht ausreichend geschult, können die Warnhinweise auf den Packungen nicht lesen oder die Schutzkleidung nicht bezahlen. Dabei wäre ein guter Schutz gerade für sie essenziell. Denn viele Wirkstoffe, die die EU längst verboten hat, landen andernorts nach wie vor auf den Feldern.
Weltweit werden heute so viele Pestizide ausgebracht wie noch nie: Vier Millionen Tonnen jedes Jahr - 80 Prozent mehr als noch 1990. Die meisten sollen unerwünschte Pflanzen fernhalten (Herbizide), andere richten sich gegen Insekten (Insektizide) oder Pilze (Fungizide). Die ersten dieser chemisch-synthetischen Wirkstoffe kamen während der industriellen Revolution auf den Markt. In den 1940ern nahm ihre Entwicklung Fahrt auf - nicht zuletzt im Zuge des Zweiten Weltkriegs. Spätestens seit Rachel Carson 1962 ihren Bestseller "Der stumme Frühling" veröffentlichte, wuchsen jedoch die Bedenken: Würden die Ökosysteme dem großflächigen Einsatz von Mitteln wie DDT standhalten, das für eine große Bandbreite von Insekten giftig ist? Nach teils heftigen Debatten verschwanden einige besonders gefährliche Substanzen in den 70er-Jahren wieder vom Markt.
Fast immer wurden sie jedoch durch neue ersetzt - so auch DDT, das heute fast überall verboten ist. An seine Stelle traten zum Beispiel Neonikotinoide. Für Insekten sind sie 7.000-mal so giftig wie DDT. Insgesamt ist die Zahl der Wirkstoffe, die in Deutschland verkauft werden, in den vergangenen Jahren gestiegen: Von 220 Substanzen im Jahr 1995 auf 251 im Jahr 2019. Besonders intensiv behandeln die Deutschen Äpfel, Wein, Hopfen und Kartoffeln. Pro Jahr und Hektar kommen hierzulande durchschnittlich 2,8 Kilogramm Pestizide aufs Feld. Damit liegt die Bundesrepublik leicht über dem weltweiten Schnitt. Spitzenreiter ist Südamerika mit fünf Kilogramm pro Hektar und Jahr. In Afrika liegt der Verbrauch noch unter einem Kilogramm. Wie in Südamerika wächst der Pestizideinsatz aber auch dort rasant.
Rückstände im Bier, auf Spielplätzen und in NaturschutzgebietenViele der Stoffe finden sich inzwischen an Orten, an die sie nie gelangen sollten: In Naturschutzgebieten, auf Spielplätzen, in Bier, Honig, Urin, im Grundwasser - und praktisch überall in der Luft. ...