Vor ein paar Jahren habe ich angefangen auszumisten. In meinem Kopf entstand das verheißungsvolle Bild eines guten, schlichten Zuhauses, das weder Staub noch Ballast kennt. Hier wären die Böden frei, die Wände weiß, und der Inhalt meines guten Zuhauses, der besäße nicht mich, sondern ich ihn. Mein ideales, gutes Zuhause, das könnte sich ohne Weiteres zwischen fremde Pinterest-Pins lichtdurchfluteter Räume mischen, ohne großartig aufzufallen. Hier würde klare Luft durch offene Fenster strömen und sich sanft auf den freien Flächen zwischen meinem Besitz niederlegen. (Alles Lieblingsgegenstände, alles wichtige Dinge von Wert für mich.) Wie schön das klang, der Plan war gut: Ich musste nur jene liebsten Dinge ausmachen. Unter all denen, die sich in den vergangenen Jahren zu meinem Besitz entwickelt hatten, mussten sie nur der einen Frage standhalten, um zu bleiben: Machten sie mich glücklich?
Wer sein Leben ordnen will, kam damals schon nicht um Aufräumkönigin Marie Kondō herum. In ihrem Bestseller The Life-Changing Magic of Tidying (2011) und danach ihrer Netflix-Serie versprach sie eine lebensverändernde Methode, Freude am Aufräumen und einen simplen, effektiven Weg, Unordnung aus dem Leben zu verbannen, für immer. Ihr Kredo lautete: Gib deinen Dingen einen festen Platz, ein Zuhause. Besitze nur die Dinge, die dich glücklich machen, und verabschiede die Teile, die du weggibst. Dazu leitet Kondō ein raffiniertes Faltsystem an. Von der Konmari-Methode mag man halten, was man will: Ob sich Socken praktischer lagern lassen und in der Kommode wohler fühlen, wenn man sie kunst- und liebevoll zu freistehenden Päckchen faltet- ich bin mir da nicht ganz sicher. Doch ihre Idee, nur die Dinge zu besitzen, die einem guttun, die schien mir damals sehr einleuchtend. Und wenig später befreiend.
Mistet man aus, so setzt das eine schonungslose Ehrlichkeit voraus. Eine, die dich dazu zwingt, deinen Besitz auf die Kompatibilität mit der aktuellen Lebenssituation zu überprüfen. Gehören diese Dinge noch in das Leben des Menschen, der ich heute bin? Werde ich den Backpack jemals benutzen, den ich nach dem Abi für die Weltreise gekauft habe? Brauche ich das Geschirr für 24 Personen, wenn sich doch die Anzahl der üblichen Gäste an einer Hand abzählen lässt - oder ich Gäste generell vielleicht gar nicht mag?
Und überhaupt: Will ich so eigentlich leben? Muss ich so leben?
Ich ordnete meinen Besitz, baute Stapel, teilte ein, verkaufte, warf weg, spendete, verschenkte. Und ich behielt. Wichtige, mir wertvolle Dinge, die in das Leben passten, das ich gerade führte und einen Platz bekamen, an dem sie nun wohnten. Sie möblierten ein Zuhause, das sich sicher und richtig anfühlte. Zwischen den wichtigen, mir wertvollen Dingen bewegte sich die klare Luft nun raumgreifend.
Wer sich so dermaßen radikal verkleinert, ist häufig folgendem Paradoxon ausgesetzt: Den fehlenden Dingen wird oftmals mehr Aufmerksamkeit zuteil als den Dingen, die geblieben sind, für die man sich bewusst entschieden hatte. (Das Internet ist voll davon: Menschen, die zeigen, was sie alles loswerden und wie viel sie loswerden.) Mir ging es nicht ums Loswerden. Mir ging es ums Behalten. Es sollten eben nur die richtigen Dinge sein.
Ein Spiegel unseres SeinsDinge, die wir in unser Leben lassen, dienen in gewisser Weise als Spiegel unseres Seins, als Kulisse für unser Ich im Kontakt zu der Welt. Zu Besuch bei Fremden muss man nur einen flüchtigen Blick auf das Bücherregal des Gastgebers werfen und kann sich daraus schnell ein simples Bild seines mutmaßlichen Charakters basteln (oder den, den man sich wünscht, von dem man sich abgestoßen fühlt, vor dem man sich ängstigen möchte). Das lässt sich ausweiten: auf Kleidung, die Bilder an der Wand, die Balkonbepflanzung.
Besitz formt in gewisser Hinsicht unsere Identität, er weist uns eine Rolle zu, die uns in der Welt hält. Ob die Rolle Anker oder Gefängnis ist, ist augenscheinlich sehr individuell und gleichermaßen stetigem Wandel unterworfen. So oder so: Fühlt man sich in der Metapher, die man den Dingen gegeben hat, nicht mehr wohl oder möchte sich von ihr lösen, ist es ratsam, seinen Besitz zu überdenken, um sich selbst die Chance zu geben, sich neu zu positionieren. Ab einem bestimmten Punkt öffnete mir der Prozess einen weiten Raum für Fragen, die sich vor allem um das Konstrukt von Haben und Sein drehten. Dem guten Zuhause, dem sicheren Leben - mit Dingen, die ich mag.
Einige Jahre später hat sich die Frage verschoben. Was bleibt, wenn alles zerbricht? Wenn die Dinge, die glücklich machen, einfach so verschwinden? Was, wenn die Dinge zwar der Frage nach dem Glück, aber nicht der einer Umweltkatastrophe standhalten können?
Als der Wasserpegel in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli stieg, hat es in unserem Wohnhaus binnen Minuten das gesamte Kellergeschoss geflutet. Am Donnerstagmorgen stand das Wasser bis wenige Zentimeter vor Treppenabsatz des Erdgeschosses. Öffnete ich meine Wohnungstür, blickte ich auf einen grauen schlammigen See, der in seiner Tiefe den Besitz mehrerer Existenzen verbarg. Auch meinem. Ein paar Quadratmeter Leben, in Kisten verstaut und vom Hochwasser umschlossen.