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Nach einem Schlaganfall: "Mir ist Gesundheit wichtiger als der Job"

Meike hatte mit 24 einen Schlaganfall. Lange hat sie versucht, so weiterzumachen wie davor, auch im Job - bis sie gemerkt hat, dass sie das nicht schafft. Jetzt hat sie ihr Leben komplett umgekrempelt.


Um 17 Uhr, wenn ihre Freunde gerade erst aus der Arbeit kommen, ist Meike schon seit Stunden zu Hause. Oft war sie dann schon einkaufen, eine Runde joggen und hat mit der Nachbarin Kaffee getrunken. Meike ist 30 Jahre alt und arbeitet Teilzeit. Sie lebt wie eine Mama oder ein Papa mit 50-Prozent-Stelle - nur, dass sie keine Kinder hat.


Früher sah ihr Alltag anders aus. Da hat sie den ganzen Tag Leute interviewt, einen Text nach dem anderen runtergetippt und manchmal bis spät abends im Büro gesessen. Sie war Journalistin bei einer Zeitung und hatte noch einiges vor: "Ich hab' immer gesagt: Wenn ich 30 bin, dann bin ich beim Spiegel Redakteurin oder Ressortleiterin", sagt sie. "Ich hatte große Ziele und Karrierepläne."


Aber dann kam alles anders.


März 2012. Meike ist mit ihrem Freund draußen Tennis spielen, als sie sich plötzlich komisch fühlt. Sie spürt ein Stechen im Hals und leichte Kopfschmerzen. Als sie nach Hause radelt, kann sie nicht mehr richtig sprechen, als ob sie betrunken wäre, außerdem sieht sie alles verschwommen. Unter der Dusche verliert sie dann die Kontrolle über ihren Körper. "Ich wurde plötzlich immer schwächer und es fing an zu kribbeln auf meiner linken Körperseite", erzählt sie heute. Als ihr Freund sie auffängt, ist ihre linke Körperhälfte schon komplett gelähmt.


Ein Schlaganfall kann auch junge Menschen treffen
Meikes Freund hat in der Situation schnell reagiert und den Notarzt gerufen. Die Diagnose: Schlaganfall. Für Meike ein Schock, sie war da erst 24 und ein Schlaganfall für sie eine Krankheit, die nur alte Menschen trifft. Heute weiß sie es besser. Bei Meike hatte sich eine der Halsschlagadern aufgespalten und so den Schlaganfall ausgelöst, einfach so, Ärzte sprechen von einer spontanen Dissektion. Das ist selten und wenig erforscht, bei jungen Menschen ohne typische Risikofaktoren ist es aber eine der häufigsten Ursachen für Schlaganfälle.


Insgesamt hatte Meike Glück: Im Krankenhaus ist sie gleich in der Spezialstation für Schlaganfälle. Das Gefühl in der linken Körperhälfte ist schnell wieder da, bis heute hat sie keine bleibenden körperlichen Schäden.


Verdrängen funktioniert nicht
Meike will danach die Krankheit so schnell wie möglich vergessen. Nach ein paar Wochen Reha und etwas Urlaub startet sie wieder voll durch, auch beruflich. Aber der Schlaganfall holt sie wieder ein. Sie bekommt furchtbar Angst davor, noch einmal einen Schlaganfall zu bekommen. Medizinisch gesehen wäre das möglich. Damit kann sie nicht umgehen. Sie wird depressiv und muss aufhören zu arbeiten.


Meike kommt in eine psychosomatische Klinik. Dort lernt sie viele Gleichaltrige kennen, die auch eine Krankheit hatten und sich ähnliche Sorgen machen wie sie. Einige von ihnen haben darauf schon reagiert. Sie sind im Job kürzer getreten und haben gemerkt, dass ihnen das gut tut. Das macht Meike Mut und sie beschließt: Sie möchte auch nur noch in Teilzeit arbeiten.


Weniger Arbeit, mehr Freizeit
Heute sieht Meikes Woche so aus: Sie arbeitet von Montag bis Donnerstag von 7.30 bis 12.30 Uhr, freitags hat sie frei. Seit etwa einem halben Jahr hat sie eine 50-Prozent-Stelle als Pressesprecherin in ihrer Heimatgemeinde Münster bei Dieburg, einem 14.000-Einwohner-Städtchen in Hessen.


Aus ihrem früheren Plan, mit 30 Jahren Ressortleiterin beim Spiegel zu sein, ist nichts geworden. Aber Meike steht zu ihrer Entscheidung für das ruhigere Leben mit Teilzeit-Job:"Mir hat das Leben eine zweite Chance geschenkt und die will ich nutzen", sagt sie, "Für mich heißt leben: mehr Freizeit haben, weniger arbeiten, mehr Sachen machen, die einem Spaß machen. Mir ist Gesundheit wichtiger als der Job." Dass sie dadurch weniger Geld verdient, nimmt sie in Kauf. Sie verzichtet lieber auf manchen kleinen Luxus. Ihr Freund, den sie inzwischen geheiratet hat, arbeitet voll. Gemeinsam kommen die beiden gut über die Runden.


An ihren freien Nachmittagen macht Meike jetzt alles, was früher neben der Arbeit zu kurz gekommen ist: Spanischkurs, Keybord-Spielen, Laufen gehen, Schwimmen, Fahrradfahren. "Ich genieße das", sagt sie. Manchmal fühlt sie sich fast wie im Urlaub.

Ab und zu kommt sie noch ins Grübeln. Was wäre wohl ohne den Schlaganfall aus ihr geworden? Aber dann bremst sie sich selbst: "Hätte, wäre, wenn... So wie es läuft, muss man es nehmen und das Beste draus machen. Und das habe ich mit der Halbzeitstelle jetzt gemacht."


Meike ist jetzt gelassener
Der Schlaganfall liegt inzwischen mehr als fünf Jahre zurück. Als ihre Lieblingsband Green Day neulich in ihrer Nähe gespielt hat, ist sie hin - obwohl sie wusste, dass ein Konzert mit vielen Leuten für sie gefährlich sein kann. Wenn ihr aus Versehen jemand mit dem Arm gegen den Hals schlägt, könnte das bei ihr theoretisch wieder einen Schlaganfall auslösen. "Aber ich hab mir gedacht: Ich will leben", erzählt Meike. "Ich will jetzt in der zweiten Reihe meine Lieblingsband sehen. Und dann habe ich das einfach gemacht und es ist auch nichts passiert."


Seit sie weniger Stress und mehr freie Zeit hat, ist Meike aufgeblüht. "Ich fühle mich ein bisschen wie neu geboren", sagt sie. Vielleicht stockt sie im Job irgendwann etwas auf. Aber eins weiß sie sicher: Vollzeit arbeiten will sie nicht mehr.


Über ihren Schlaganfall und die Zeit danach hat Meike ein Buch geschrieben: "Der Spalt. Wie mich - 24, schlank, sportlich, Nichtraucherin - der Schlag traf.", erschienen im Eigenverlag epubli.

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