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torial Blog | Hörgame „Blowback": Mit Audio-Apps Fakten erzählen?

Deutschlandradio Kultur experimentiert mit einem neuen Format: dem „Hörgame". Eignen sich interaktive Audio-Apps auch, um Fakten zu erzählen?


Wer „Blowback" spielt, erlebt Unglaubliches: Er robbt durch Luftschächte, fällt in den Pool eines Unterwasserhotels, wird festgenommen - findet sich in einer unglaublichen Klangwelt wieder. Auf dem Kopf ein Headset, beginnt das virtuelle Abenteuer im „Versuchszimmer": Hier lernen die User_innen die Umgebung kennen, üben, sich im Raum zu Recht zu finden. Die eigene Erfahrung zeigt: Anfangs fällt es schwer, aufgrund der Klänge in eine bestimmte Richtung zu steuern. Wo ist überhaupt hinten und wo vorne? Die Steuerung erfolgt mittels zweier Schuhabdrücke auf dem Display, um die sich eine Kompass-Rose kreiselt. Hat man die Basics erstmal intus, gilt es, einen Vogel zu suchen (sein Zwitschern gibt Orientierung) - und ihn mit einer Wischbewegung aufzuheben. Wenn das gelingt, lobt die Erzählerin: „gut" und wünscht Glück für die erste Runde.


Das erste seiner Art

Blowback ist das erste interaktive Hörgame im deutschsprachigen Raum und wurde als Fortsetzung des linearen Hörspiels „Blowback - Der Auftrag" vom Deutschlandradio Kultur entwickelt. „Der Auftrag" ist eine Art Science-Fiction Krimi, der am 19. Januar zum ersten Mal auf Deutschlandradio Kultur gesendet wurde und nun online nachzuhören ist. „Blowback - Die Suche" ist die dazugehörige Smartphone-App für Apple und Android - hier spielen die Zuhörer_innen die Geschichte des Hörspiels weiter. Das Game besteht aus zehn Levels - aus zehn Stockwerken - durch die man sich in der Rolle einer Journalistin bewegt. Geräusche - da ein Türknirschen, dort ein Plätschern oder ein Surren - geben Hinweise darauf, welche Richtung eingeschlagen werden soll und welche keinesfalls. Der Glockenklang des Aufzugs markiert das Ziel. Empfehlenswert ist es also, Blowback mit geeigneten Kopfhörern zu spielen. Während man sich durch die virtuellen Räume bewegt, tauchen immer wieder bekannte Stimmen aus dem Hörspiel auf. „Die Suche" erweist sich dabei oft als anspruchsvoller als erwartet: Klänge überschlagen sich, werden zur nervlichen Zerreißprobe. Nur sporadisch gibt der Erzähler Anweisungen. Es gilt, weder in der falschen Ecke zu landen, noch sich von den patrouillierenden Wachen erwischen zu lassen - und vor allem: genau hinzuhören.


Ein paar Macken und viel potential

Zugegeben, „Blowback" hat einige Macken: Die Aktionsmöglichkeiten des Nutzers sind begrenzt, Zeitlimits gibt es nicht, regelmäßig blockiert die Navigation - und auf Android-Geräten lässt sich das Spiel meist gar nicht erst starten. Trotzdem ist die Kombination aus Hörspiel und Game genial, weil sie uns in einem Zeitalter der massenmedialen Beliebigkeit dazu auffordert, zuzuhören - und uns einbindet. Das Großartige dabei: die Geschichte kommt nicht zu kurz. Warum also nicht auch Fakten als Hörgame erzählen? Zunächst versteht es sich von selbst, dass nicht alle Inhalte für eine derartige Aufbereitung geeignet sind. Würde man Terror-Anschläge, wie den auf Charlie Hebdo, als interaktive Klangwelt darstellen, könnte es schnell makaber werden. Sehr wohl denkbar wären hingegen großangelegte Berichte im dokumentarischen Bereich: Hörgames zu Korruptionsgeschichten oder interaktive Reportagen zur Waffenindustrie.


Die Lage ist günstig

In einer Zeit, wo „Second Screens" den Fernsehalltag dominieren und die Termini „Multi-" „Bi-" und „Trimedialität" - aus gutem Grund - fest in den Zielvereinbarungen jedes Medienunternehmens verankert sind, reicht es nicht mehr aus, sich als Redaktion auf einen Kanal zu konzentrieren. Es sind genau jene crossmedialen, interaktiven Projekte, die die Wünsche der Rezipient_Innen treffen. Ihnen geht es darum, permanent unterhalten - und vor allem selbst aktiv zu werden. Das zeigt unter anderem der Erfolg der s.g. Newsgames („ Darfur is Dying" und „ Steuerflucht für Anfänger " sind Beispiele) eindrucksvoll auf. Wie bei „Blowback - Die Suche" liegt auch die Stärke dieser Spiele ganz klar im Erleben: Die Rezipient_innen freuen sich, der Dschandschawid-Miliz entkommen zu sein oder virtuelle Steuergelder erfolgreich vor dem Finanzamt versteckt zu haben. Jugendliche verbringen heute täglich rund drei Stunden mit ihren Smartphones. Rund sieben von zehn Deutschen nutzen sie bereits täglich zur Nachrichtenbeschaffung und es werden stetig mehr. Über den Ausspielweg Smartphone könnte vor allem der Radio-Journalismus also auch die Herzen dieser Menschen (zurück)gewinnen.

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