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torial Blog | Journalisten und Pegida: Phänomenal schwierig

Medien können an allerhand schuld sein. Im Fall der aktuellen Pegida-Hysterie sind sie es praktischerweise für beide Seiten.

Für Pegida-Anhäger agieren Journalisten ohnedies meistens nur als Mitglieder der verachtenswerten "Lügenpresse", mit denen man am besten erst gar nicht redet, weil am Ende ja doch nur Lügen herauskommen. Für die Anti-Pegidas sind Journalisten leider gerne nur diejenigen, die wahlweise viel zu sanft oder viel zu harsch, in jedem Fall aber falsch mit der neuen Bewegung umgehen.

Was generell die Frage aufwirft: Was macht man als Journalist mit solchen Phänomen?

Zur Beruhigung trägt es möglicherweise bei, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass es solche Aufwallungen immer wieder mal gegeben hat und vermutlich auch in Zukunft öfter geben wird. Der aus einem allgemeinen Unwohlsein resultierende Protest gegen ungefähr alles hat sich sogar schon in ganzen Statt-Parteien niedergeschlagen. Es hilft desweiteren, wenn man sich in aller Gelassenheit vor Augen führt, dass deren Gründer Ronald Schill sich in diesem Jahr erfolgreich bei "Big Brother" zum Deppen gemacht hat. Hamburg hingegen steht immer noch - und dass aus Hamburg plötzlich eine Nazi-Hochburg oder ein Hort der latent Radikalen geworden wäre, würde nicht mal der größte Hamburg-Gegner ernsthaft behaupten wollen.

Was hilft es also, sich in gut gemeintem Überschwang klar zu positionieren und die Pegidas wahlweise als Schande oder Gefahr für die Demokratie zu bezeichnen, sie irgendwo in die Nazi-Ecke zu stellen und ihnen und allen anderen im Impetus der moralischen und argumentativen Überlegenheit vor Augen zu führen, wie dumm sie eigentlich sind?

Natürlich sind die Ängste der Pegida-Leute irrational, durch Zahlen leicht zu widerlegen und damit als Unfug zu entlarven. Das Dumme an Ängsten ist nur, dass die meisten von ihnen irrational sind. Sagen Sie mal jemanden mit Flugangst, dass die Wahrscheinlichkeit eines Absturzes weitaus geringer ist als die eines schweren Autounfalls. Glauben Sie ernsthaft, damit wäre der Betroffene seine Angst los? Und auf dem Zahnarztstuhl ist bisher auch eher selten jemand gestorben. Für jemanden, der gerade Blut und Wasser schwitzt, ist das trotzdem in dem Moment ein wenig tröstliches Argument. Kurz gesagt: Es wäre schön, wenn man irrationalen Ängsten mit nüchternen Argumenten beikäme. Kommt man aber oft nicht.

Können wir uns also wenigstens darauf einigen, dass Pegida ein weitgehend ideologie- und auch argumentsbefreites Reservat von Menschen ist, die irrationale Ängste haben? Dass es dort zwar möglicherweise auch Menschen mit einem strammen Weltbild gibt, die diese Bewegung gerne unterwandern und sich zu eigen machen würden, ansonsten aber Pegida und seine Ableger ein Sammelbecken für Angst sind? In erster Linie wird dort Unbehagen gesammelt. Gegen alles, was anders ist als das Gewohnte.

Angst vor allem was andersartig sein könnte und Angst vor Veränderung sind im Übrigen die häufigsten Ängste überhaupt und kommen gelegentlich sogar bei Menschen vor, von denen man das nun so gar nicht erwartet hätte. Das muss man nicht mögen, nicht goutieren, nicht rechtfertigen. Aber das alles hat nichts mit den Lobo-Latenznazis zu tun. (Wobei grundsätzlich, das weiß man ja, jede Debatte an ihr Ende kommt, sobald der Begriff "Hitler" fällt. Nazi-Analogien sind dafür meistens die Vorstufe. Es empfiehlt sich daher generell, die Nazi-Keule nur noch dann zu schwingen, wenn es denn gar nicht mehr anders geht).

Ein herausragend kluges und fein beobachtetes Stück dazu hat übrigens am vergangenen Wochenende Cornelius Pollmer in der SZ geschrieben. Das Stück "Abend im Land" war deswegen so brillant, weil er auf Pauschalisierungen verzichtete und stattdessen die gesamte Widersprüchlichkeit und das Millieu beschrieb, in dem der rechts gerichtete Wutbürger entsteht. Das ist etwas, was nicht viele, aber dann eben doch einige Kollegen in jüngster Zeit ziemlich gut hinbekommen haben: auf Klischees zu verzichten, die Pegadisten präzise zu beschreiben, ohne sie wahlweise lächerlich zu machen oder zu dämonisieren.

Und, das als womöglich größte und wichtigste Leistung: komplett auf Nazi-Vokabeln zu verzichten.

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