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torial Blog | cahoots, Atlantikbrücke und Gesinnungsschnüffelei

ZDF - Die Anstalt 2014

Das Browser-Addon cahoots versucht, Verbindungen von Journalisten in Politik und Wirtschaft offenzulegen - reizvoll, aber nicht unkritisch.

Stefan Kornelius ist sauer. Der Außenpolitik-Chef der Süddeutschen spricht sehr schell und eindringlich, es ist ihm wichtig, dass er jetzt nicht falsch verstanden wird. Ihm fehle die "Grenze zwischen ehrlicher Transparenz und Gesinnungsschnüffelei".

Der Grund für Kornelius Aufregung ist ein neues Addon, das zwei Interaction Design-Studenten entwickelt haben: cahoots. Einmal installiert, zeigt einem das Addon Verbindungen von Journalisten in Politik und Wirtschaft an. Scrollt man auf sueddeutsche.de mit der Maus über Stefan Kornelius' Namen, erscheinen in einem Kasten: Die Atlantik-Brücke, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik, das Deutsch-russische Forum und noch einige andere.

Seit sich die ZDF-Sendung "Die Anstalt" Ende April den Verbindungen von Journalisten zu transatlantischen Vereinen wie der "Atlantik-Brücke" widmete, steht Stefan Kornelius unter Beschuss. Und nicht nur er: Auch FAZ-Herausgeber Günther Nonnenmacher, FAZ-Journalist Klaus-Dieter Frankenberger, Zeit-Herausgeber Josef Joffe und Zeit-Journalist Jochen Bittner stehen in der Kritik. Ihnen wird fehlende Objektivität vorgeworfen. Sie würden sich mit den Eliten gemeinmachen, über die sie doch eigentlich kritisch berichterstatten sollten, heißt es.

Die Zeit-Journalisten Josef Joffe und Jochen Bittner haben im Juli eine einstweilige Verfügung gegen "Die Anstalt" erwirkt. Die Sendung wurde daraufhin aus der Mediathek entfernt. Jochen Bittner wird in der Sendung unter anderem vorgeworfen, er habe eine Rede für Bundespräsident Gauck mitgeschrieben - und ebendiese Rede im Anschluss in der Zeit wohlwollend kommentiert. Bittner bestreitet das.

Durch "Die Anstalt" kamen auch die beiden Entwickler von cahoots, Alexander Barnickel und Jonas Bergmeier, auf die Idee zu ihrem Addon. "Wir hatten die Aufgabe von der Uni bekommen, ein Projekt zum Thema 'Protest'zu entwerfen. Ich habe dann zufällig eine Folge von "Die Anstalt" geguckt, in der es um die Verbindungen von Journalisten in Politik und Wirtschaft ging, und dachte mir, wow, das ist ja schon ganz schön protestwürdig", erzählt Barnickel. Gedacht, getan: Keine drei Monate später ging cahoots online.

Das Konzept des Addons ist einfach: Liest man online einen Artikel, wird neben dem Namen des Autors ein kleiner roter Punkt angezeigt. Das bedeutet: Der Journalist wurde von cahoots "erkannt", er befindet sich in der Datenbank. Geht man dann mit dem Mauszeiger auf den Autorennamen, wird in einem Kasten angezeigt, zu welchen Organisationen der Journalist Verbindungen pflegt. Gemeinsam mit einem Link zu der Quelle, die die Verbindung belegen soll, und einem Link zu einer Erklärung, was genau die jeweilige Organisation so macht. Aktuell sind rund 50 Journalisten in der Datenbank eingetragen.

"Transparenz ist zunächst immer eine gute Sache. Deswegen finde ich das Addon grundsätzlich gut", sagt SZ-Außenpolitik-Chef Stefan Kornelius. "Allerdings stellt sich die Frage, was man alles offen legen sollte. Und wer entscheidet darüber? Mir fehlen die Kriterien, nach denen das Addon betrieben wird." Die Grenze zwischen Gesinnungsschnüffelei und Transparenz sei nicht klar genug definiert. "Sollte ein Kirchenberichterstatter seine Religionszugehörigkeit offen legen? Muss ich sagen, dass ich den Verein pro Quote unterstütze wenn ich über Gleichstellungsfragen schreibe?", fragt er. Und das ist nicht seine einzige Sorge: Er befürchtet, dass "unwahre Dinge" ihren Weg in cahoots finden könnten. "Vieles, was Uwe Krüger in seinem Buch behauptet, ist falsch. Das richtet einen Schaden an", sagt Kornelius.

Uwe Krüger ist Diplom-Journalist und Medienforscher. Sein Buch "Meinungsmacht" lieferte die inhaltliche Vorlage für die umstrittene Folge der "Anstalt" - und damit auch für "cahoots". In "Meinungsmacht" stellt er die Beziehungen zwischen verschiedenen führenden deutschen Journalisten und politischen Organisationen dar - und versucht, damit zu belegen, dass diese eine direkte Auswirkung auf die Berichterstattung haben. "Ich wollte mit meinem Buch in erster Linie eine Debatte anstoßen", sagt er. "Ich glaube, ich habe in ein bisher noch dunkles Feld mit einem Scheinwerfer hineingeleuchtet. Und ich hoffe, dass sich daran jetzt eine Diskussion entzündet."

An "cahoots" würde "Meinungsmacht"-Autor Krüger sich nicht beteiligen. "Ich finde es gut, wenn sich auch andere mit der Thematik beschäftigen. Aber ich glaube, dass das Thema zu komplex ist, um es in einem einfachen Addon ausreichend darzustellen." Zu groß sei die Gefahr, den betroffenen Journalisten Unrecht zu tun. "Man muss immer darauf achten, dass man zur Aufklärung beiträgt, ohne übers Ziel hinauszuschießen."

SZ-Außenpolitik-Chef Stefan Kornelius findet nicht, dass Uwe Krüger zur Aufklärung beiträgt, ohne übers Ziel hinauszuschießen. "Krügers Arbeit ist voller Fehler und wissenschaftlich zweifelhaft", sagt er. "Und dann qualifiziert er nicht, sondern unterstellt in allen Verbindungen eine Unlauterkeit." In der Atlantik-Brücke beispielsweise sei er Mitglied, weil das für seine Arbeit notwendig sei. Die Mitgliedschaft werde von der Süddeutschen Zeitung getragen und finanziert. "Das ist mein Job. Ich gehe da wahrlich nicht hin, weil mir langweilig wäre."

Andere Funktionen, wie seinen Posten als Beirat in der "Bundesakademie für Sicherheitspolitik", sehe er als eine gesellschaftliche Verpflichtung. "Der komme ich als Bürger und Steuerzahler nach." Auf seine Berichterstattung habe diese Funktion keinen Einfluss. "Mit Frau von der Leyen kann ich doch immer noch kritisch umgehen. Ich bin immer noch und vor allem Redakteur der größten deutschen Qualitätszeitung - da muss ich mir um meine Unabhängigkeit wenig Sorgen machen."

Uwe Krüger kann Stefan Kornelius' Vorwürfe gegen sich nicht nachvollziehen. Er habe für sein Buch absolut sauber gearbeitet, alle Fakten seien mit Quellen belegt. "Trotzdem kann ich verstehen, wenn Herr Kornelius so ein Addon problematisch findet", sagt er. "Wenn ich eine Studie mache, dann steht da genau, warum ich welche Verbindung ausgewählt habe und nach welcher Methodik ich vorgegangen bin." In einem kurzen Addon sei das nur sehr schwierig darzustellen.

Das Problem, das im Raum steht, ist die Frage nach der Grenze: Muss auch Lieschen Müller, die sich daheim in ihrer lokalen Antifa engagiert und sonst nur für den Lokalteil über Sport schreibt, ihre Mitgliedschaft offenlegen? Oder sollte es nicht nur um Organisationen gehen, deren Arbeitsfeld auch mit der Berichterstattung zu tun hat?

Die cahoots-Entwickler Barnickel und Bergmeier sind von der Debatte über ihr Addon erstmal ziemlich überrascht. "Wir hatten überhaupt nicht damit gerechnet, dass das Addon so einen Anklang findet. Eigentlich haben wir es nur aus persönlichem Interesse entwickelt." Die "verkürzte Darstellung", die Krüger kritisiert, wollen sie versuchen, in den nächsten Monaten zu bereinigen. "Wir sehen das Addon noch lange nicht als fertig an."

Grundsätzlich, da sind sich Barnickel und Krüger einig, wäre eine freiwillige Selbstverpflichtung für Journalisten, ihre Kontakte in Politik und Wirtschaft offenzulegen, schon mal ein guter Schritt in die richtige Richtung. "Eine Lösung könnte sein", sagt Barnickel, "dass die Informationen im Addon nur von den betreffenden Journalisten selber eingestellt werden können, oder zumindest von ihnen autorisiert werden."

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