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torial Blog | Media-Leaks: Postfächer für Whisteblower sind noch lange nicht Mainstream

Postfächer für Whistleblower sollen Redaktionen mit brisanten Leaks versorgen. Das schon einige Jahre alte Konzept wird von einigen Verlagen begeistert genutzt. Trotzdem bieten bisher nur wenige Medien ein solches Onlinetool an. Ein Überblick.


Mit der Veröffentlichung ihres "Collateral Murder"-Videos sorgte die Plattform Wikileaks im Frühjahr 2010 weltweit für Schlagzeilen. Infolge des Wikileaks-Hypes begannen einige Verlage, selbst anonym nutzbare Postfächer ins Netz zu stellen.

Die simple Idee dahinter: Medien bieten potenziellen Whistleblowern eine bequeme und sichere Möglichkeit, um mit der der Redaktion anonym in Kontakt zu treten. Die Redaktion bekommt so unter Umständen Schlagzeilen-verdächtige Geschichten exklusiv frei Haus geliefert. (Ein kleiner Leitfaden für die Kontaktaufnahme mit Journalist*innen findet sich hier.)

Fünf digitale Postfächer größerer deutscher Medien Schon im Dezember 2010 führte die Regionalzeitung WAZ eine solche Postbox ein, im Juli 2012 Die Zeit, im Juli 2013 Die Welt, im August 2014 die taz und im März 2015 der Berliner Tagesspiegel. FAZ, SZ, Focus und Spiegel bieten nichts in der Richtung an, dafür aber die österreichische Tageszeitung Kurier.

An Erfahrungen von Medien mit ihren Whistleblower-Postfächern zu kommen, erweist sich als schwierig. Wir Journalist*innen erwarten von jeder kleinen Behörde und jedem Provinzunternehmen, dass die unsere Anfragen ausführlich beantworten. Geht es aber um die eigene Arbeit, werden wir schnell schweigsam. Drei Medien haben dann aber doch Einblicke gewährt.


Die Zeit: "inzwischen eine übliche Quelle für interessante Informationen"

Im Sommer 2012 stellte Die Zeit ihren anonymen digitalen Briefkasten vor: "ZEIT ONLINE hat ab sofort einen anonymen digitalen Briefkasten. Damit ist es Ihnen möglich, uns Dokumente zu schicken, wenn Sie der Meinung sind, dass Medien und Öffentlichkeit von ihrem Inhalt erfahren sollten."

Pro Woche werden durchschnittlich fünf Hinweise über das Postfach eingereicht, berichtet Martin Kotynek, stellvertretender Chefredakteur von Zeit online. Meist wird zumindest einer von denen nach einer ersten Prüfung näher recherchiert. Der Workflow sieht folgendermaßen aus: "Sobald ein Hinweis eingeht, prüft das Investigativ-Team, ob wir uns den Hinweis genauer ansehen wollen. Entweder recherchiert das Team dann zunächst selbst oder ein Kollege leitet den Hinweis an den zuständigen Redakteur in einem der Fachressorts weiter."

Prinzipiell ist Kotynek zufrieden mit dem Tool, das ein gemeinsames Projekt von Print- und Online-Redaktion ist: "Der Briefkasten ist in der Redaktion inzwischen eine übliche Quelle für interessante Informationen." Ständig erscheinen Texte, die auf solche Hinweise zurückgehen, etwa zu einer Lücke in einem Gesetzesentwurf für die Vorratsdatenspeicherung. Generell seien die Einreichungen von hoher Qualität. Die besten Erfahrungen habe man damit gemacht, direkt unterhalb eines Textes auf den Briefkasten zu verweisen. Dann gebe es oft konkrete Hinweise, aus denen Nachfolge-Geschichten gestrickt werden können.


Legal Tribune Online: " Bislang war nichts dabei ..."

Noch sehr jung ist das Postfach für Hinweisgeber auf der Webseite des Jura-Magazins Legal Tribune Online. Es handelt sich nicht um eine klassische Upload-Box. Statt dessen wird eine Emailadresse und ein kryptographischer Schlüssel genannt, um abhörsicher kommunizieren zu können. Gesucht werden "insbesondere systemische, sich regelmäßig wiederholende Missstände, beispielsweise an Gerichten oder in Kanzleien."

Das Projekt der LTO wurde im Juni 2015 gelauncht. Das geschah, erzählt LTO-Redakteur Constantin Baron van Lijnden, weil man erkannt hatte, dass investigativer Journalismus auf gute Quellen angewiesen ist und eine vertrauliche digitale Kontaktaufnahme möglich sein muss. Etwa drei Mails pro Monat gehen ein, so van Lijnden. Inhaltlich sei der Output aber ernüchternd: "Bislang war nichts dabei, was man ernstlich als Whistleblowing hätte bezeichnen können, sondern zu vermeintlichen Nachrichten aufgeblasene Zwistigkeiten unter Kollegen, Unzufriedenheiten mit Universitäten oder Behörden, Hinweise auf bereits Bekanntes oder wenig Interessantes."


Radio Schweden: "an empfindliche Informationen herankommen"

Schon seit März 2011 betreibt die öffentlich-rechtliche schwedische Radioanstalt Sveriges Radio ein Postfach für Whistleblower: Radioleaks. Jeden Tag erreichen ihn Uploads, erzählt Sveriges Radio-Redakteur Fredrik Laurin, der für Radioleaks zuständig ist. Das Projekt laufe gut. In puncto Brisanz seien die Hinweise allerdings durchwachsen. Manche besitzen kaum Relevanz für ein größeres Publikum. Und dann sind aber doch immer wieder gute Geschichten dabei.

Durch Hinweise via Radioleaks wurde unter anderem aufgedeckt, wie der Vorsitzende einer schwedischen Versicherungsgesellschaft in großem Stil Steuern hinterzogen hatte. Als die Geschichte veröffentlichte wurde, trat der zurück. Ins Leben gerufen wurde Radioleaks von der schwedischen Journalisten-Legende Rolf Stengård. Auch er fühlte sich von Wikileaks inspiriert. Sein Ziel war es, an "empfindliche Informationen" zu kommen, wie er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk schilderte: "Wir wollten, dass Menschen, die in der Regierung arbeiten, im Staatsdienst oder in Firmen, uns kontaktieren, wenn sie etwas wissen, zum Beispiel bei Fällen von Bestechung oder so." Viele gute Stories, glaubt Stengård, wären ohne das digitale Postfach nicht publik geworden.


Geheimnisverrat im Schutz des Darknets und tote Postfächer 

Das Projekt LeakDirectory listet weltweit elf "Mainstream Media Whistle blowing Sites" auf, die wie Die Zeit und Radio Schweden geschützte Tools für Geheimnisverräter anbieten. Hinzu kommen noch eine Reihe an Medien, die die Open-Source-Software SecureDrop nutzen. Viele von denen sitzen in englischsprachigen Ländern wie USA, Großbritannien oder Kanada. Die Software der US-amerikanischen Freedom of the Press Foundation will es Verlagen leicht machen, ein sicheres, digitales Postfach einzurichten, und zwar in der geschützten digitalen Unterwelt des Darknets. Deutsche Verlage scheinen sich der Technologie bisher nicht zu bedienen.

Nicht alle Postfächer, die einst hoffnungsvoll gestartet sind, sind aktuell noch in Betrieb. Beispielsweise ist das Postfach des US-Wirtschaftsmagazins Forbes nicht mehr verfügbar. Und auf der ursprünglichen Adresse des Wall Street Journals heißt es ohne weitere Erklärung nur: "Das Wall Street Journal SafeHouse wurde geschlossen." Man wird statt dessen gebeten, Hinweise wieder ganz klassisch per Email zu schicken.

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