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Bluat vo da Gams!

Die Geschichte des Tegernseer Wilderers Hans Burger, besser bekannt als "Lampl".


Ja varreck! Sie haben ihn gefunden. Hans Burger, besser bekannt als „Lampl", bricht der kalte Schweiß aus. Er steht auf dem Gipfel des Leonhardsteins bei Kreuth, 1449 Meter hoch, den Rucksack parat, um die geschossene Gams einzupacken. Gewilderte Gams, müsste man eigentlich sagen. Dass die Jäger hinter ihm her sind, weiß Lampl - seitdem er einen Zwölfender-Hirsch erlegt hat, sind sie gar nicht mehr gut auf ihn zu sprechen. Aber dass sie ihn tatsächlich observiert haben? Ihm bis hier oben gefolgt sind? Damit hat er nicht gerechnet. Er ist schließlich nicht der Einzige hier, der wildert.

Eine Lösung muss her, schnell. Aber die Jäger haben den ganzen Berg mit Großaufgebot umstellt, es geht nicht vor und erst recht nicht zurück. Nur die blanke Felswand auf der Südseite bewachen sie nicht. Da geht es 200 Meter steil hinunter, quasi ins Nichts - keiner kommt da lebend durch. Andererseits, rechnet der Lampl sich aus: Wer weiß, wie und ob es mit seinem Leben überhaupt weitergeht, wenn ihn erst die Jäger erwischen.

Als Erstes wirft er sein Gewehr hinunter, danach den Rucksack. Er holt tief Luft, nimmt Anlauf - und springt die Südwand hinab. Einige der Jäger sehen es und können es nicht fassen. Jetzt ist der Lampl hin, tot, da gibt es nichts zu deuten. Sie bekreuzigen sich und sprechen ein kurzes Gebet. Den Lampl pieksen unterdessen Nadeln ins Gesicht. Er hat es geschafft, in den Zweigen einer Fichte hängen zu bleiben, ohne sich groß zu verletzen.

Im Eiltempo kraxelt er den Baum hinab und gibt unten Fersengeld. Durch die Kreuther Wälder schlägt er sich in nur eineinhalb Stunden bis in seinen Heimatort Reichersbeuern durch. Dort führt ihn sein erster Weg in die Wirtschaft, wo er nach der Uhrzeit fragt. Nur eineinhalb Stunden für mehr als 20 Kilometer Strecke! Da war er wirklich sakrisch schnell. Der Lampl atmet auf: noch einmal heil davongekommen.

Lang dauert es natürlich nicht, bis die Jäger aus dem Tal merken, dass der Lampl tatsächlich noch lebt. Er kommt vor Gericht, es gibt Dutzende Zeugen, die ihn am Berg mit der geschossenen Gams gesehen haben. Aber es gibt eben auch die Wirtin, die ihm schon eineinhalb Stunden nach der Tat in Reichersbeuern ein Bier eingeschenkt hat. Die Richter rechnen, überlegen hin und her - und sprechen ihr Urteil: Der Lampl kommt frei. Eine so weite Strecke in so kurzer Zeit zurückzulegen erscheint ihnen schlicht „nicht menschenmöglich". Ganz zu schweigen vom Sprung vom Leonhardstein, den der Lampl gar nicht hätte überleben dürfen.

Seine letzten Lebensjahre verbringt der Lampl als freier Mann bei seinen Verwandten auf dem Mühltaler Hof bei Louisenthal. Er macht sich einen Spaß daraus, mit seinen Händen in die Luft zu zielen und das Erschießen von Wild zu imitieren. Doch einmal nimmt er wirklich das Gewehr in die Hand. Manche sagen: im Alkoholrausch, der Lampl war nicht immer der Nüchternste. Er erschießt sich damit im Hausgang des Mühltaler Hofs, seinen Lieblingsspruch auf den Lippen: „Bluat vo da Gams!"

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