Stella Kennedy

Crossmediale Journalistin und Kolumnistin, Kiel

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Ostern auf der Vogelinsel

Sendedatum: 06.04.2022 14:46 Uhr

Sieben Monate lang soll Till Holsten alle Brut- und Rastvögel systematisch erfassen: Der Alltag des Vogelwarts auf Trischen ist einsam - und bildet für den neuen Wart einen Kontrast zu seinem alten Leben.

von Stella Kennedy

Auf einer kleinen Insel mitten im Wattenmeer sitzt ein Mann in einer Hütte auf Stelzen und telefoniert. Die Insel heißt Trischen (Kreis Dithmarschen) und ist einer der letzten wilden Orte Mitteleuropas. Der Mann heißt Till Holsten und ist eigentlich Kinderarzt. Für die nächsten sieben Monate allerdings wird er der einzige Mensch sein, der auf der Insel lebt: Holsten ist der neue Naturschutzwart, der im Auftrag des Naturschutzbund Deutschland (NABU) alles Leben dort dokumentiert.

Ostern auf der Insel: Genug Eier, bloß keine Hasen

"Bis Oktober werde ich die Insel nicht verlassen", erzählt der 34-Jährige am Telefon. Selbst über das Osterfest wird er seine Familie und Freunde nicht sehen. Besuch bekommt er keinen, Trischen befindet sich im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Hier herrscht absolutes Betretungsverbot. Aber das macht ihm nichts: "Eier finde ich schon genug", sagt Holsten und lacht. "Nur Hasen gibt es hier nicht."

Die Nordseeinsel Trischen erstreckt sich 15 Kilometer vor der Küste auf 180 Hektar. Mal sind es mehr, mal weniger, das entscheiden Ebbe und Flut. Südlich von Sankt Peter-Ording in der Meldorfer Bucht ist das einsame Fleckchen aus Sand und Salzwiese den Gezeiten ausgeliefert. Mitten im Watt, dem Weltnaturerbe der Unesco, liegt das Eiland auf der Route des ostatlantischen Vogelzugs und ist Rückzugsraum für bis zu 5.000 Vogelbrutpaare.

Naturschutzwarte müssen nicht vom Fach sein

Um dabei alle Brut- und Rastvögel systematisch zu erfassen, schickt der NABU jedes Jahr von März bis Oktober einen Vogelwart nach Trischen. NABU-Geschäftsführer Ingo Ludwichowski erklärt, dass die Warte keine professionellen Ornithologen sein müssten. Till Holstens Vorgänger hätten die unterschiedlichsten Biografien gehabt, Holsten allerdings sei der erste Arzt auf der Insel.

In seinem Leben vor Trischen ist Till Holsten Arzt in der Universitätsklinik Hamburg Eppendorf. Er arbeitet auch in Forschung und Lehre - sein Fachgebiet ist Krebs bei Kindern. Holstens Leben wird vom Klinikalltag bestimmt. "Ich habe immer sehr viel gearbeitet, am Tag die klinische Tätigkeit und nach Feierabend noch Forschung", sagt er. "Irgendwann kam der Moment, an dem ich merkte, dass ich nicht mehr so bin, wie ich mir selbst gefalle, gegenüber meinen Freunden, meiner Familie, die ich immer weniger gesehen habe, aber auch gegenüber meinen Patienten."

Als Kinderarzt wollte er seinen kleinen Patienten das Gefühl vermitteln, zu beruhigen und zu trösten, erzählt Holsten. "Aber wenn man immer nur noch gestresst ist und von einem Notfall zum nächsten hetzt, lässt sich das nicht mehr zur eigenen Zufriedenheit und vielleicht irgendwann zur Patientenzufriedenheit erledigen", sagt er. "Als dann die ersten gesundheitlichen Zeichen kamen, hab' ich gemerkt, ich muss was tun, so geht das nicht weiter", erzählt der Wahl-Hamburger, der aus einem kleinen Ort zwischen Bremen und Hamburg kommt.

AUDIO: Neuer Vogelwart auf Trischen (3 Min)

Umgeben von Naturgewalten

Jetzt auf der Insel bestimmt der Rhythmus der Gezeiten Holstens Alltag. Jeden Morgen steht er mit dem Sonnenaufgang auf. "Ich versuche das immer so zu machen", sagt er und erzählt, wie er es genießt, morgens die Tür der Holzhütte zu öffnen: "Da bin ich sofort angeschlossen an den Raum der Insel, spüre den Wind, der in die Hütte geht und kann beobachten, wie das Leben hier erwacht." Die Stimmung sei jeden Morgen komplett verschieden, das Meer sehe nie gleich aus.

Während des Telefonats unterbricht Holsten plötzlich das Gespräch: "Oh, jetzt muss ich kurz rausschauen", sagt er. "Hier sitzen ja rund tausend Ringelgänse und die gehen gerade alle hoch, irgendwo muss ein Greifvogel unterwegs sein". Einen Moment später die Auflösung: "Ah ja, eine Rohrweihe, guck an." Die Rohrweihe ist ein Zugvogel, der wie viele Vögel im warmen Afrika überwintert, erklärt er. Jetzt kommen die Vögel alle wieder und auf ihrem Weg in den Norden verschnaufen sie auf Trischen.

Ein Nest mitten im Schilf

Der Kinderarzt, der seiner zweiten Berufung, der Vogelkunde folgt, ist beglückt: "Das Leben tobt hier, jeden Moment kann etwas passieren. Ein Greifvogel sorgt für Aufruhr, bei den Ringelgänsen, aber auch bei mir."

Es ist das Leben, was Till Holsten fasziniert - in all seinen Formen und Farben. Vor ein paar Tagen fand er in der Salzwiese ein Nest. Darin: drei große Grauganseier. Der Frühling ist da und verheißt Fruchtbarkeit und neues Leben: Es ist Ostern auf der Vogelinsel.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Der Tag in Schleswig-Holstein | 06.04.2022 | 14:46 Uhr Schlagwörter zu diesem Artikel
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