Stella Kennedy

Crossmediale Journalistin und Kolumnistin, Kiel

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Letzte Hoffnung Lagerraum

Platzmangel und teure Mieten treiben den Trend voran, das eigene Hab und Gut professionell einzulagern. Für einige Menschen sind diese neuen Lagerräume allerdings die letzte Hoffnung.

Kiel | Für Annika Deist ist eine fünf Quadratmeter große Box alles, was ihr von ihrem Zuhause geblieben ist. Ohne viel Vorlaufzeit musste die frischgebackene Politikwissenschaftlerin aus ihrer Wohnung. „Mein Vermieter hatte Eigenbedarf angemeldet und gleichzeitig Sanierungen der Wohnung angekündigt", sagt die 31-Jährige. „Als dann das Badezimmer neu gemacht werden sollte, bin ich freiwillig raus". Sie hatte die Hoffnung, relativ schnell eine neue Wohnung zu finden - das war Ende vergangenen Oktober. Alles, was sie momentan hat, ist ihr großer Koffer, mit dem sie umherzieht und aus dem sie lebt. In ihrer Box lagert dann der Rest ihrer Habseligkeiten, unter anderem vierzig Kisten mit Büchern. Große Frage nach Stauraum Nie war Lagerraum beliebter. In Zeiten, in denen Mietpreise in die Höhe schießen, Wohnraum immer beengter wird und sich die Zahl der Gegenstände, die ein jeder besitzt, stetig erhöht, steigt die Frage nach dem wohin. Bei all der Nachfrage nach Stauraum wächst aber auch das Angebot und so schießen seit einigen Jahren Unternehmen, die flexibel nutzbare Lagerflächen für Privatpersonen anbieten, wie Pilze aus dem Boden. Sie nennen das Konzept „Self Storage" und sind „Wie ein Hotel, aber für Sachen!", wie ein Unternehmen wirbt. Klaus Müller ist der Präsident des „Verband deutscher Self Storage Unternehmen" und erzählt, dass das Konzept der Lagerboxvermarktung aus USA stammt. Angeblich ging die erste Lagerraumvermietung in den Vereinigten Staaten schon vor rund 60 Jahren los. In Europa kam das Konzept erst viel später an. „In Deutschland war es Ende der 1990er-Jahre die Firma „LAGERBOX", die in Düsseldorf den ersten Self Storage anbot", erinnert Müller. Mittlerweile gibt es deutschlandweit weit über zweihundert Anlagen, in denen all das verstaut werden kann, was keinen Platz mehr in den eigenen vier Wänden findet - sofern man diese überhaupt hat. 25 Euro pro Woche Für Annika Deist ist der Lagerraum beim Kieler Selfstorageunternehmen „Lagerlöwe" eine große Hilfe. Ganz günstig ist das nicht, rund 25 Euro zahlt sie pro Woche dafür. „Trotzdem bin ich einfach froh, meine Sachen sicher zu wissen", sagt Deist. Durch den Studienanfang und Corona habe sich die ohnehin knappe Lage am Kieler Wohnungsmarkt noch weiter verschärft. „Momentan schlafe ich bei Freunden auf der Couch, in Hotels oder halt bei meinen Eltern im 450 Kilometer entfernten Rotenburg in Hessen". Am liebsten würde sie wieder am Schreventeich wohnen - ihre alte Wohnung bekam sie vor ein paar Jahren zum Studienanfang sofort. Deist hat ihren Humor dennoch nicht verloren: Damals hatte ich riesen Glück mit der Wohnung. Das ich jetzt nichts finde, ist wohl ausgleichende Gerechtigkeit. Die Reste einer Bar - auf 20 Quadratmetern Ganz andere Gründe fürs Lagern hat der Kieler Phillip Briceño Labrador (36). Er ist der ehemalige Geschäftsführer der Kieler Astor Bar, einst eine der besten Nightlife-Adressen Deutschlands laut der Zeitschrift „Feinschmecker". Alles, was von der hochkarätigen Bar übrig geblieben ist, steht nun auf den vielen Regalen seines zwanzig Quadratmeter großen Lagerraums. „Ich bin heilfroh, mein Barequipment und meine teuren Spirituosen endlich anständig zu lagern", betont der 36-Jährige. Bis er im März 2021 seine Sachen in dem Self Storage deponierte, lagerte all sein Besitz in einer Garage. Seitdem die Astor Bar schon im Sommer 2020 aufgrund von finanziellen Engpässen schließen musste, ist der gelernte Barmeister ohne festes Lokal. „Sorgen wegsaufen" - aber nicht mehr in Bars „Natürlich hätte ich mir gerne einen neuen Laden gesucht", sagt Briceño Labrador. „Aber weil es für Corona ja kein finales Ende gibt, ist mir die Lage momentan einfach zu unsicher." Bis es wieder so weit ist und er mit seinem ganzen Fachwissen eine Spitzenlocation aufbauen kann, ist der Kieler mobil unterwegs. „Dafür miete ich mich bei befreundeten Locations ein und mache Caterings, Tastings oder gebe Coctailkurse". Trotzdem sei die Lage für ihn frustrierend, Aufträge würden immer seltener. „Wer will denn noch sein hart Erspartes für hochwertige Drinks und Barkultur ausgeben?", fragt er rhetorisch. „Alles, was die Leute doch wollen, ist sich mit Hochprozentigem die Sorgen wegsaufen. Verübeln kann man es ihnen nicht." Was ihm dabei Sorgen bereitet, dass gleichzeitig kaum noch Alkoholpräventionskurse durchgeführt würden - die bietet er zusammen mit einem Kollegen nämlich auch an. Das kennt nur, wer es nutzt Selfstorage-Präsident Müller weiß um die Nöte der Menschen, für die Lagerräume mittlerweile unabdingbar geworden sind. „Dabei wissen rund fünfzig Prozent aller Deutschen überhaupt nicht, dass es so etwas wie Self Storages gibt", sagt er. Die meisten kommen damit erst in Kontakt, wenn ein Ereignis sie zwingt, schnellstmöglich ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Ein Wasserschaden in der Wohnung, eine Trennung, ein Umzug - die Gründe sind so vielfältig wie die Lebensläufe der Lagernden. Die Vorteile gegenüber den Klassikern Keller oder Garage wären aber eindeutig, betont er: „Jede Box muss sauber, trocken, nicht einsehbar und per Video überwacht werden, sonst erfüllt sie nicht die europäischen Qualitätsstandards". Eine Lagerbox als Fotostudio Bei Ernst-Uwe Martens-Noack (66) hängt das Rolltor schon auf halbmast - genau wie das Fotostudio, das er gemeinsam mit seiner Frau, Fotografin Imke Noack, jahrelang betrieb. „Wegen Corona mussten wir unser Atelier leider schließen, dabei war das Jahr 2019 richtig gut gelaufen", erzählt der Kieler. Trotzdem sieht er den neuen Standort des Fotoateliers, die zehn Quadratmeter große Box als „Chance, um kreativer und flexibler zu sein". Er spricht von der Möglichkeit, einfach mit dem Auto vor die Lagerhallen zu fahren und das Foto-Equipment einzuladen. Von dort fährt er seine Frau und ihre zwei Assistentinnen dann oft in die Natur, wo sie sich mit den Kunden treffen: „Die Landschaft als Fotokulisse zu benutzen ist gerade ein großer Trend", sagt er. Die Situation, die sie zwang, vom Studio zur Lagerbox zu wechseln, hat Martens-Noack noch enger mit seiner Frau zusammengeschweißt: „Ihre Fotoarbeit legt den Fokus auf die Menschen, das ist ihre Kunst. Dass die Technik dann hintenraus stimmt, das ist meine Kunst", sagt er augenzwinkernd. Mittlerweile sind sich beide gar nicht mehr so sicher, ob sie nach der Krise wieder zurück in ein festes Atelier umziehen würden. Ihr coronabedingter Umzug ist für die beiden ein Glück im Unglück. Drei große Player In Deutschland stechen „drei große Player", wie Selfstorage-Präsident Müller sagt hervor. Da ist einmal das Unternehmen Lagerbox, das 1997 als erstes das Lagerkonzept nach Deutschland brachte. Dann der US-amerikanische Konzern „Shurgard", der allein in Europa über 250 Anlagen betreibt und dann noch „MyPlace", eine österreichische Firma. Europaweit sei London der LagerHotspot, erzählt Müller. Generell finden sich in Großbritannien über 1400 Anlagen, auf die Größe der Insel und seiner Bewohner gesehen, sei das beeindruckend. „Für Deutschland ergibt sich daraus ein enormes Wachstumspotenzial", so Müller. Der Selfstoragemarkt boomt. Für Annika Deist, Phillip Briceño Labrador und Ernst-Uwe Martens-Noack jedenfalls ist es ein Segen die Boxen zu haben. Ein paar Quadratmeter für das, was vom alten Leben geblieben ist. ...

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