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Künstliche Befruchtung: "Ende der Heuchelei"

Frankreich hat sich entschieden: Durch ein neues Gesetz erhalten homosexuelle und alleinstehende Frauen das Recht, mit Hilfe von künstlicher Befruchtung schwanger zu werden. Der Senat stimmte am Dienstagnachmittag, nach zehn Tagen intensiver Debatten, knapp einem Gesetzentwurf der Regierung zu.

"Ich freue mich, dass diese Versammlung die Familie in all ihrer Diversität, Pluralität und in all ihrem Reichtum anerkennt", sagte Gesundheitsministerin Agnès Buzyn nach der Abstimmung.

Die künstliche Befruchtung für alle Frauen zuzulassen, war eines der zentralen Wahlkampfversprechen von Staatspräsident Emmanuel Macron. Immer wieder betont er, dass er eine umfassende Gleichberechtigung der Geschlechter und Lebensentwürfe unterstützen will. Doch obwohl seine Partei La République en Marche die große Mehrheit in der Generalversammlung stellt und dort dem Gesetz bereits im Oktober zustimmte, wurde die Novelle erst jetzt beschlossen. Denn im Senat, dem Oberhaus des französischen Parlaments, in dem ländliche Regionen überrepräsentiert sind, haben die Konservativen das Sagen. Politikerinnen und Politiker der gemäßigt rechten Les Républicains führten 2013 den politischen Widerstand gegen die Einführung der Ehe für alle an, also gegen die vollständige eherechtliche Gleichstellung homosexueller Paare. Viele ihrer Abgeordneten unterstützen die Ansichten von katholisch geprägten Bürgervereinigungen. Eine Familie soll nur aus der Verbindung von Mann und Frau zustande kommen.

Umso überraschender erschien daher das jüngste Abstimmungsergebnis zur künstlichen Befruchtung: Mit 153 gegen 143 stimmte der Senat für die Reform. Auch 25 Konservative haben sich diesmal für die Neuregelung ausgesprochen. Politische Beobachter, etwa die der Tageszeitung Le Monde, erklären dies damit, dass viele Républicains nach zuletzt deutlichen Wahlniederlagen nun zweimal überlegen, ob sie traditionelle Familienkonzepte gegen einen immer breiter werdenden Konsens durchfechten wollen.

So spiegelt sich das gesellschaftliche Klima in Frankreich immer auch auf der Straße wider: Im politischen Kampf gegen die Ehe für alle liefen noch wochenlang Hunderttausende durch Paris. Zu den Protesten gegen das neue Gesetz kamen nur ein paar Zehntausende zusammen. Sie riefen: "Liberté, égalité, paternité!" - die heteronormative Abwandlung des Revolutionsschlachtrufs "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" in "Freiheit, Gleichheit, Vaterschaft!"

Das Verbot war vielen Frauen mit Kinderwunsch ohnehin egal

Audrey Page gehört zu denen, die sich über die Gesetzesänderung freuen. "Vielleicht gibt es kein Recht darauf, ein Kind zu haben, aber die Sehnsucht danach wird so groß, dass Frauen die In-vitro-Befruchtung machen, egal ob sie verboten ist oder nicht", sagt sie. Die 42-Jährige sitzt in einem Café, auf ihrer Brust schlummert die wenige Wochen alte Georgia in einer Bauchtrage. Georgias biologischer Vater ist ein anonymer Spender aus Dänemark. Gezeugt wurde das Baby letztes Jahr in einer spanischen Privatklinik, was Page rund 30.000 Euro kostete. "Ich wollte immer ein Kind," sagt sie. Das Verbot in Frankreich habe Frauen wie sie sowieso nicht von dem Vorhaben abgehalten. Sie sagt: "Wir müssen endlich aufhören mit der Heuchelei."

In den letzten zehn Jahren seien zwei ihrer Beziehungen mit Männern gescheitert, erzählt Page, die das Marketing einer Champagner-Marke leitet. Irgendwann habe sie verstanden, dass ihr biologisches Zeitfenster sich bald schließt. "Deshalb habe ich bei einer Geschäftsreise nach Barcelona ein paar Tage drangehängt und eine Fruchtbarkeitsklinik besucht, um meine Eizellen einzufrieren." Das bleibt allerdings auch in Frankreich weiterhin verboten.

Trotzdem glaubt sie, dass ihr Kind von der neuen Regelung profitieren wird: "Wenn künstliche Befruchtung ohne Vater in Frankreich erlaubt wird, werden die Kinder, die daraus hervorgehen, weniger stigmatisiert." Ihre Tochter wird sie in Paris alleine großziehen und Audrey ist stolz darauf. Mit lauter Stimme und strahlenden Augen erzählt sie von ihrem Weg, auch wenn ein älteres Ehepaar dann und wann misstrauisch vom Nachbartisch zu ihr herüberschaut.

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