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Störung der Totenruhe

Eines dieser Gräber auf dem Dietzenbacher Friedhof wurde gewaltsam aufgebrochen und die Urne samt Asche mitgenommen. Foto: Sascha Dreger

Okkultismus nennt ein Dietzenbacher als möglichen Grund für die vor ein paar Tagen vom Friedhof verschwundene und wiedergefundene Urne seiner Mutter. Der Leiter der Ermittlungen vermutet hinter der „Störung der Totenruhe" ein ähnliches Motiv. 


Ein Fall sorgte dieser Tage in einer Dietzenbacher Facebook-Gruppe für Furore: „Wie krank muss die Welt sein, wenn man sich an Toten vergeht?", fragt die Angehörige eines geschädigten Urnengrabes auf dem Friedhof und bringt damit ihre Wut zum Ausdruck. Die Leser des Kommentars bringen ihr Mitgefühl, Anteilnahme und Betroffenheit entgegen: „unfassbar", „grauenvoll", „krass und unmenschlich".

Das ist passiert: In der Nacht vom vergangenen Sonntag auf Montag brachen Unbekannte das Urnengrab einer 2014 verstorbenen Dietzenbacherin auf dem Friedhof auf, wie die Polizei auf Nachfrage mitteilt. Die mutmaßlichen Täter entfernten gewaltsam die Abdeckplatte, nahmen die Außenurne heraus, um an die Innenurne, ein Blechbehältnis, zu gelangen. Die nahmen sie mit und ließen die Hülle zurück.

Ein Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung entdeckte das offen stehende Grab tags darauf und meldete den Vorfall dem Ehemann der Verstorbenen, der sich daraufhin am vergangenen Montagnachmittag gegen 16 Uhr an die Polizei wandte.

Dreieinhalb Stunden später, gegen 19.30 Uhr, entdeckte eine Anwohnerin der Friedensstraße beim Blick aus dem Fenster die Urne unter ihrem parkenden Auto. Die Friedensstraße liegt rund 800 Meter vom Friedhof an der Offenthaler Straße entfernt. Am nächsten Morgen gegen 9 Uhr meldete sie ihren ungewöhnlichen Fund der Polizei. Bei einer ersten Untersuchung stellten die Beamten fest: Die Urne ist unbeschädigt, die Asche darin noch vollständig enthalten.


Polizei wertet Fall nicht als Diebstahl

Erster Kriminalhauptkomissar Michael Berkefeld und seine Kollegen ermitteln nun wegen Störung der Totenruhe - ein Fall, der dem Leiter der Ermittlungsgruppe in seiner 41-jährigen Laufbahn noch nie untergekommen ist. Ein aufgebrochenes Grab und eine verschwundene Urne, die unter einem Auto wiedergefunden wurde. „Das ist schon komisch", findet er. Er wisse auch von keinem vergleichbaren Fall, in Dietzenbach oder anderswo. Bereits in der Vergangenheit trieben Unbekannte auf dem Friedhof ihr Unwesen. Anfang des Jahres wurde dort Grabschmuck gestohlen, wie unsere Zeitung am 5. Januar berichtete.

Die Urne zu Geld zu machen, schließt Berkefeld als Motiv aus. Der Fall wird nicht als Diebstahl gewertet. Er vermutet entweder eine „private Fehde" innerhalb des Familien- und Bekanntenkreises der Verstorbenen oder einen „saudummen Jungenstreich". Unter Verdacht hat er ihm noch unbekannte „Jugendliche, die nichts besseres zu tun haben" und möglicherweise unter Alkoholeinfluss standen.

Auch der Sohn der Verstorbenen kann sich das vorstellen. Er möchte den Nachnamen der Familie nicht in der Zeitung lesen. Dennoch lässt dieser erahnen, dass sich die Unbekannten nicht zufällig das Grab seiner Mutter herausgesucht haben. Seine Vermutung: Okkultismus. „Es gibt so viele Verrückte, die so 'nen Kult haben", sagt er. Ebenso wie der Familienangehörige sieht auch Kriminalhauptkommissar Michael Berkefeld einen Zusammenhang zwischen dem Namen und der Tat. Für Okkultismus hätten sich die Täter jedoch „nicht öffentlichkeitswirksam genug" verhalten. Bei okkulten Straftaten würden die Täter laut Berkefeld etwa Runen hinterlassen, um ihre Handlung zu dokumentierten.

Feinde hätten seine Eltern keine in Dietzenbach, versichert der im Ausland lebende Sohn der Geschädigten. Auch von einer „privaten Fehde", die Berkefeld nicht ausschließt, weiß er nichts. „Wer könnte auch so böse auf meine Alten sein?" Er erhielt die schreckliche Nachricht durch seinen Vater. „Ich war sprachlos", schildert der Betroffene seine erste Reaktion. „Wir sind sehr aufgewühlt." Inzwischen wurde die Verstorbene erneut beigesetzt. „Mein Vater ist froh, dass er wieder zum Grab gehen kann", sagt der Sohn. Der 87-jährige Mann der Verstorbenen wurde von der Polizei befragt. Die Auswertung der Videokameras, die Teile des Friedhofs filmen, brachte laut Berkefeld keine Erkenntnisse. „Wir haben keinen Ermittlungsansatz." Vonseiten der städtischen Betriebe, die den Friedhof unterhalten, gab es bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme. Die Polizei erhofft sich nun Hinweise aus der Bevölkerung. Wer Verdächtiges beobachtet hat, wendet sich an die Polizeistation in der Darmstädter Straße 33 oder meldet sich unter Tel.: 06074 837-114 oder -115. 

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