Tamara Marszalkowski

Freie Journalistin, Frankfurt am Main

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Artikel

Frankfurt: Gude!

Gut gelandet 1958: Die Sekt-Trinkerin

Ilse Schreiber hat ein besonderes Entspannungsritual nach langen Tagen am Wurststand

"Ich bin 1945 im kältesten Winter aus Oberschlesien geflohen, aus Beuthen, wo ich geboren bin. Mit 18 Jahren habe ich im Römer geheiratet. Mein Mann war Metzgermeister, und so bin ich in die Firma Schreiber eingetreten. Ich habe zwei Kinder bekommen und teilweise 13 Stunden am Tag geschafft. Langweilig war mir nie. Seit 1979 bin ich in der Kleinmarkthalle. Meine Kundschaft ist wirklich lieb. Wenn hier 40 Leute Schlange stehen, meckert keiner. Stattdessen freuen sich alle auf ihre Wurst. Ich weiß nicht, woran das liegt, aber es herrscht wirklich eine Ruhe und ein Frieden unter den Kunden, das glaubt man gar nicht.

Ilse Schreiber

78, ist in Oberschlesien geboren. Sie hat einen Wurststand in der Kleinmarkthalle

Wenn ich über den Eisernen Steg laufe, geht mir mein Herz auf. Das ist ein Ort der Ruhe für mich. Genauso wie der Palmengarten. Wenn ich um drei viertel sieben auf dem Nachhauseweg nach Bockenheim bin, gehe ich gerne dorthin. Ich nehme mir einen Piccolo-Sekt, ein Brötchen und ein Buch mit und gehe in den Rosengarten.

Entweder schlafe ich auf der Bank ein oder lese mein Buch, esse mein Brötchen und trinke meinen Sekt. Das ist für mich Erholung. Gell?"

Gut gelandet 2012: Der Pilzesammler

Matthias Wagner K hatte beim Ankommen Helfer: Apfelwein und die frischen Fische Frankfurts

"Ich trinke meinen Kaffee aus dem Gerippten, ein Überbleibsel unserer Eröffnungsparty. Überhaupt bin ich ein Mensch, der, um anzukommen, sich eine Stadt über ihre lokalen Spezialitäten erschließt. Da ist der Frankfurter Apfelwein eine gute Wahl. Am Anfang bin ich nahezu jeden Tag die gleiche Strecke am Mainufer entlanggegangen. Heute zieht es mich eher in den Taunus, um Pilze zu sammeln. Auf dem Feldberg finde ich nahezu das ganze Jahr welche. Und was meine Restaurantbesuche anbelangt: Ich gehe sehr gern ins Muku, ein japanisches Ramen-Restaurant mit den für mich besten Nudelsuppen der Stadt.

Matthias Wagner K

56, ist in Jena geboren. Er ist Direktor des Museums Angewandte Kunst

Überhaupt macht sich die Internationalität Frankfurts auch in der Gastronomieszene bemerkbar. Was nicht zuletzt am Flughafen liegt. Die Produkte kommen hier frisch und in bester Qualität an.

So erhält man bereits mittags Fisch, der erst nachts vor der isländischen Küste gefangen wurde. Das dürfte in Städten wie Berlin schwierig werden.

Was ich außerdem empfehlen kann? Das Restaurant Emma Metzler mit seiner raffinierten Bistroküche und ja, das "Dönerboot" am Mainufer, mit Sardellen oder Dorade im . "

Gut gelandet 2017: Der Berliner

Kevin-Prince Boateng genießt die Aufmerksamkeit auf den Straßen und Nachmittage mit seinem Sohn

"Ich wusste vor meinem Wechsel hierher nicht viel über Frankfurt, meistens habe ich nur den Flughafen gesehen. Ich muss ehrlich sagen, dass die Stadt mich positiv überrascht hat. Als Berliner denkt man ja immer: 'Berlin ist die beste Stadt der Welt', aber mittlerweile weiß ich, was für eine schöne Stadt Frankfurt ist und wie positiv gestimmt die Leute sind.

Ich finde es natürlich toll, dass ich von den Fans so gut angenommen wurde und dass sie sich immer freuen, wenn sie mich auf der Straße sehen. Das ist aber in keiner Stadt anders, denn wenn du gute Ergebnisse lieferst, dann ist klar, dass dich die Leute feiern und Fotos mit dir machen wollen.

Kevin-Prince Boateng

31, ist in Berlin geboren. Er ist Mittelfeldspieler bei Eintracht Frankfurt

Die ersten Tage in Frankfurt waren wie immer bei einem Vereinswechsel: Alles ist erst mal ein bisschen ungewohnt, man kennt nicht viele Leute. Aber es war nicht so schwer für mich, da die Stadt multikulti ist und ich auch das Glück hatte, dass mehrere neue Spieler gleichzeitig mit mir gekommen sind. Wir haben uns gegenseitig geholfen, uns schnell zu Hause zu fühlen.

Was mich dann noch mal positiv überrascht hat, war, dass sich unser Präsident Peter Fischer so klar gegen die AfD und gegen jeglichen Rassismus positioniert hat. Das ist es, wofür wir als Mannschaft stehen und wofür auch die Stadt Frankfurt steht. Ich finde: Genau so, nämlich gemeinsam, muss man gegen Rassismus angehen.

Ein perfekter Tag in Frankfurt ist für mich, wenn ich nach dem Training nach Hause komme, im Garten mit meinem Sohn spielen und einfach den Abend ausklingen lassen kann."

Gut gelandet 1980: Der Furchtlose

Zu Nazim Alemdar kommen Menschen, die Bier wollen - oder Nothilfe beim Renovieren brauchen

"Einmal hat ein Junge versucht, mich in meinem Kiosk zu überfallen. Er hat mich mit einem winzig kleinen Messer bedroht. Ich habe seine Hand festgehalten und gesagt: Junge, du hast bestimmt Eintragungen bei der Polizei. Wenn ich jetzt die Polizei rufe, hast du noch eine. Hier, nimm den Zehner hier, setz dich schön hin und iss was.

Nazim Alemdar

60, ist der Betreiber des Kiosks Yok Yok in der Münchener Straße 32

Seit 37 Jahren wohne und arbeite ich im Bahnhofsviertel und habe gute, aber auch schlechte Zeiten miterlebt. Angst hatte ich nie. Ich glaube, man hat nur Angst vor dem, was man nicht kennt. Im Bahnhofsviertel kenne ich alle Straßen. Ich weiß, wo auf der Münchener Straße Pflastersteine kaputt sind, ich kenne die Fenster, die Hotels, ich weiß sogar, wie hoch deren Auslastung ist.

Das Viertel ist sehr lebendig: Es gibt hier betreutes Wohnen, Bars und Kneipen, Moscheen, das Rotlichtviertel. Yok Yok, wie mein Kiosk heißt, ist Türkisch und bedeutet übersetzt: 'Gibt's nicht gibt's nicht.' Habe ich etwas nicht da, hole ich es aus meinem eigenen Keller, der gleich um die Ecke liegt. Nachts um zwei kamen mal zwei Mädels. Die waren offenbar gerade dabei, ihre Wohnung zu renovieren, und mussten dringend bis zum Morgen fertig sein. Ihre Baulampe war aber kaputt, also hatte sie jemand zu mir geschickt. Um halb drei habe ich also jemanden angerufen. Der hat uns sofort eine Stehlampe gebracht. Am nächsten Tag sind die beiden mit einem Blumenstrauß vorbeigekommen.

Ich bin in Ankara geboren und habe eine Zeit lang in Zürich gelebt. Dann wollte ich in die Türkei zurückkehren. Am Bahnhof in Mailand, mit dem Türkeiticket in der Tasche, rief ich meinen Cousin an. Der hatte gerade in Niedersachsen eine Assistenzarztstelle angetreten. Er überredete mich, es mit Deutschland zu probieren.

In Osnabrück lernte ich dann meine Frau kennen. 1980 habe ich mit Freunden aus Frankfurt eine Videoproduktionsfirma in Frankfurt gegründet. Wir haben türkische Filme importiert, vervielfältigt und in die ganze Welt exportiert. Wir hatten die Videorechte an 680 türkischen Filmen. 1985 habe ich damit aufgehört.

Bei einem Besuch in Gießen kam ich an einem Getränkemarkt vorbei. Der hatte Biersorten, die ich noch nie gesehen hatte. Und da dachte ich mir: Das mache ich auch. Im Yok Yok gibt es 250 Sorten. Wir haben sogar unser eigenes Yok-Yok-Bier. Dabei trinke ich nicht mal Bier."

Gut gelandet 1987: Der Skifahrer

Tobias Rehbergers Weg nach Frankfurt führte über eine verschneite Piste

"Ich bin quasi durch das Skifahren nach Frankfurt gekommen. In Frankreich habe ich eine Frankfurterin kennengelernt. Als ich sie das erste Mal besuchte, sah ich am Eschenheimer Tor das große Werbeschild der Detektei Tudor. Das fand ich gut. Hier schrieb man im Grunde riesengroß an eine Hauswand: ›Kommen Sie zu uns, wir klären die Scheiße!‹ Da ist was los, dachte ich.

Was mir auch sofort gefiel und noch immer gefällt, ist die direkte, unverstellte Null-Bullshit-Mentalität der Frankfurter. Hier wird nicht groß herumschwadroniert, sondern gemacht. In den achtziger Jahren war die Stimmung in Frankfurt generell rau, aber ehrlich.

Die linke Szene war irgendwie anders als in anderen deutschen Städten. Als ich das erste Mal bei der Eintracht im Stadion war, war ich begeistert, zu sehen, dass dort Fans Che-Guevara-Fahnen schwenkten.

Ich ließ also meine Bewerbungen an den Kunsthochschulen in Düsseldorf und Berlin sausen und ging an die Städelschule, die damals noch etwas von einem Elfenbeinturm hatte. Alle blieben unter sich. Heute mischt sich das mehr, auch weil achtzig Prozent der Studenten aus dem Ausland kommen.

Tobias Rehberger

52, geboren in Esslingen, ist Bildhauer und Professor an der Städelschule

Frankfurt hat die Verbindung nach außen in den Genen: Wir haben den Flughafen, in vier Stunden ist man in Paris, München, Brüssel, Berlin. Manchmal würde ich mir aber wünschen, dass die Grenzen von Frankfurt erweitert und Städte wie Offenbach und Eschborn eingemeindet würden. In Offenbach bin ich in zehn Minuten mit dem Taxi, aber im Kopf ist da noch eine psychologische Grenze bei vielen. In Berlin fährt man ewig vom Stadtteil Friedrichshain nach Charlottenburg für ein Abendessen - das ist hier anders.

Wäre Frankfurt größer, wäre das noch besser für die Region, glaube ich. Und für die Kultur. Frankfurt bezahlt die , die Eschborner gehen hin. Bestimmte Nischen können nicht bedient werden, weil die kritische Masse fehlt. Auf der anderen Seite ist die Kleinheit auch das Interessante. Ich kenne hier Fußballspieler, Steuerberater, Anwälte, Banker.

Die Frankfurter Kunstszene war schon immer klein, obwohl wir so tolle Institutionen wie das Städel, die Schirn oder das Portikus haben. Aber wenn man die Wahl hat zwischen einem 10 Quadratmeter großen Atelier in Frankfurt oder einem 50 Quadratmeter großen in Berlin für das gleiche Geld, dann geht man wohl oft lieber nach Berlin."

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