Tamara Marszalkowski

Freie Journalistin, Frankfurt am Main

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Album der Woche: Der Crooner auf Speed

Die Songs auf dem Album „The Far Field" sind wie alte Bekannte: vertraut und fremd zugleich. Als hätte man das Lied schon irgendwo einmal gehört, aber man kommt nicht drauf, welches es ist. Das könnte ärgerlich sein, schließlich sollte ein neues Album anders klingen als seine Vorgänger. Doch dass sich Future Islands gerade jetzt nicht neu erfinden wollen, überrascht nicht. Das Trio macht bereits seit 14 Jahren gemeinsam Musik und wurde doch erst vor drei Jahren bekannt. Dafür reichte ein Auftritt bei David Letterman.

Wie ein Crooner auf Speed tanzte der Sänger Samuel T. Herring auf der Bühne. Raumgreifende Ausfallschritte, eine taubenhafte Bewegung im Nacken, den Groove irgendwo tief in den Knien suchend: Mit dramatischen, sehnsuchtsgeladenen Gesten, die im nächsten Moment ins Martialische kippen, mit der Hand auf den Brustkorb schlagend, während der Blick manisch das Publikum abtastet, die Stimme dabei oszillierend zwischen soulig warm und grobschlächtig. Dabei verfällt sie immer wieder an den aberwitzigsten Stellen in einen knurrenden Kehlgesang - fast wie im Metal. Letterman gratulierte der Band begeistert zu ihrem Auftritt, manch ein Zuschauer blieb vielleicht verstört, bestimmt belustigt, aber eben auch neugierig zurück.

Die Performance wurde zum viralen Hit und über 1,5 Millionen Mal geklickt. Vier Platten brauchte die Band um erfolgreich zu werden. Und nun präsentiert sie den Nachfolger. Auffällig ist, dass „The Far Field" poppiger und gefälliger ist als seine Vorgänger. Der Bass treibt mit einer neuen Dringlichkeit durch die weiten Synthesizer-Landschaften. Sie sind durchsetzt mit kleinen Sound-Sprengseln, die wie am Zugfenster vorbeiziehen, angetrieben von der pumpenden Drum Machine.

Die Entstehung von Stücken wie „Ran", „Beauty of the Road" oder „North Star" mag auch beeinflusst vom vielen Touren sein, schließlich hat die Band mittlerweile über tausend Konzerte gegeben. Und dass sich Sänger Herring bei den Performances völlig auf links dreht - was nicht immer schön anzusehen ist, aber man kann den Blick einfach nicht abwenden - zeigt, dass die Band malochen kann. Für die Produktion des vierten Albums kratzten sie ihr Geld zusammen, um mit dem Produzenten John Congleton zu arbeiten, der auch schon mit Sleater-Kinney, David Byrne und St. Vincent produzierte. Er überredete sie, im Sunset Sound Studio in Los Angeles aufzunehmen, wo schon die Beach Boys, Prince und Michael Jackson Hits schmiedeten.

Beginnt das Album mit dem Opener „Aladdin" etwas sehr süßlich, („The wind will know your name/ And you don't have to change/ You don't have to change/ Love is real"), ist man schnell versöhnt, sobald Herring wieder seine Zweifel kehlig in die Dunkelheit bellt. Doch düster ist an „The Far Field" nicht mehr viel. Hatten die Lieder früher noch eine unverblümte Rohheit, so scheint jetzt jemand den Sound gebügelt zu haben. Herrings Stimme ist einschmeichelnder, er knurrt weniger. Es geht viel um Sehnsucht. Das kann etwas kitschig klingen wie in „North Star": „I'm gonna catch you/ Blinding snow can't keep me away/ From your door, from your door". Doch Herring, diesem Typen mit Erscheinungsbild irgendwo zwischen Hafenarbeiter und alleinerziehendem Vater, kauft man seine Verletzlichkeit ab.

Schneestürme scheinen öfter eine Rolle auf „The Far Field" zu spielen. Man muss über das grandiose Video zu „Cave" reden. Es besteht allein daraus, dass ein Mann den Songtext in Gebärdensprache übersetzt. Jonathan Lamberton potenziert den Song durch seine Mimik und Gestik um ein Vielfaches seiner Intensität. Dabei klimpern seine Finger mal zärtlich durch die Luft, wirbeln wie eine Windhose, sind kleine zitternde Fäuste, formen ein Herz, das zerspringt und dessen Teile getrennter Wege gehen.

Selbst wenn man keine Gebärdensprache versteht, weiß man, was Lamberton da sagt. Als der Bürgermeister von New York City, Bill de Blasio, der Bevölkerung Anweisungen zu einem Blizzard gab, dolmetschte Lamberton. Das tat er so mit solch engagierter Mimik und Gestik, dass manch einer schon glaubte, es handele sich um einen Betrüger. So wurde auch Lambertons Auftritt vor zwei Jahren zu einem viralen Hit. Er muss mit hörenden Partnern zusammen arbeiten, denn er ist ein tauber Dolmetscher und übersetzt das Gesprochene in eine native Gebärdensprache, die sehr zugänglich ist für die unterschiedlichsten Sprachniveaus.

Ein Song überrascht dann doch auf „The Far Field". Für „Shadows" ist Debbie Harry zu Gast, die Sängerin von Blondie. Herring und Harry umkreisen sich, ein Spiel von Nähe und Distanz entspinnt sich. Dabei legt sich die Stimme von Harry perfekt ins dahingegossene, etwas altbackene Synthesizerbett und veredelt den Song mit der rauchigen Distanz ihrer Stimme.

Schwebt man in einem Zwischenraum, ist die Musik von Future Islands der passende Soundtrack dazu. Das haben sie nun konsequenterweise zum Thema gemacht. Und obwohl das Album vom Unterwegssein handelt, sind Future Islands längst angekommen.

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