Von Thomas Fritz
Bevölkerungsboom, sinkende Erwerbslosenzahlen und überregionale Ereignisse wie die Buchmesse bescheren Leipzig viele positive Schlagzeilen. Die sächsische Großstadt verpasst sich schon seit Jahren ein modernes Image. Hinzu kommt die breite Hochschullandschaft, eine beneidenswerte kulturelle Vielfalt und eine funktionierende Zivilgesellschaft, wie an den im Vergleich zu Dresden weitaus größeren Protesten gegen das rechte Legida-Bündnis zu sehen war.
Nur: Leipzig war und ist mehr als die mediale Verklärung als "neues Berlin" oder "Hypezig". Armenspeisung, Flaschensammler, Bettler, Gentrifizierung prägen die zweitgrößte Stadt Ostdeutschlands, die nach Prognosen in diesem Jahr die 600.000-Einwohner-Marke knacken wird. Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband lag die Armutsquote in der Region Westsachsen, zu der auch Leipzig gehört, 2015 bei 22 Prozent. Als einkommensarm gelten Haushalte, deren Nettoeinkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. In Sachsen betrug die Quote 18,6 Prozent, der Bundesdurchschnitt lag bei 15,7. Sogar 22,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren galten 2016 als arm. 2010 waren es 25,4 Prozent. Etwa 15.000 Leipziger nutzen im Monat die Lebensmittelausgabe bei der Tafel - Tendenz steigend. Das Paradox: Obwohl in den vergangenen Jahren Erwerbslosenzahlen sanken und Löhne stiegen, sind Teile der Bevölkerung, vor allem die Jungen und Alten, von der positiven Entwicklung abgekoppelt. Es ist nicht lange her, dass Leipzig den wenig schmeichelhaften Titel "Armutshauptstadt Deutschlands" trug.
Die Armut empfängt Besucher schon an den Ausgängen des 1915 erbauten Hauptbahnhofs, wo Obdachlose und Aussteiger um Almosen bitten. Sie setzt sich fort an den Haltestellen der Straßenbahnen, wo Rentner die Papierkörbe nach Pfandflaschen durchwühlen, bis in die Innenstadt: Hier harren Arme vor der berühmten Nikolaikirche aus. Nicht weit ist es von dort in den Leipziger Osten, wo sich Gabi Edler mit ihren Mitstreitern beim Straßenkinder e. V. um die Schwächsten der Schwachen kümmert.
Leipzig boomt - aber nicht alle haben etwas davon.