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Fehlende Frauen auf den Bühnen sind nur ein Symptom. Wir brauchen Lösungen!

Paneldiskussion der DMW und HH@work im betahaus

Wer in Hamburg beim DMW-Themenabend “Frauen auf die Bühne” eine kontroverse und angeheizte Diskussion erwartet hatte, wurde sicherlich enttäuscht. Wer auf eine lösungsorientierte Diskussion hoffte, die das Thema von vielen Seiten betrachtete inkl. konkreter Tips, der ging zufrieden nach Hause!

Der Themenabend kam nicht aus dem Nichts – von vielen vielleicht erwartet -, ist es doch auch eines der zentralen Anliegen der Digital Media Women: Frauen in der Digitalbranche sichtbarer zu machen. Wer neu in der Thematik ist, kann sich ein bisschen Einlesen: Ein offener Brief von Agnieszka Krzeminska trat eine Diskussion im Netz bzw. auf Google+ los, die meines Erachtens vor allem eins zeigt: Das Thema erhitzt die Gemüter. Vor zwei Wochen verfasste ich meinen Blogartikel “Liebe Speakerinnen: ‘Call for papers’ ist ein ‘call for action’”, der auch einiges an Resonanz hervorrief. (Kleine Aufgabe für interessierte Leser: Einer der Kommentare wurde auch Thema der Podiumsdiskussion – ihr dürft raten welcher…)

Teilnehmer der Podiumsdiskussion

Moderiert wurde die spannende Diskussion sehr sympathisch von Katrin Klemm. Kurzer Überblick der Teilnehmer:

Regina Mehler hat als Agentin für Rednerinnen nicht nur einen guten Überblick über den Markt, sondern auch viele konkrete Tips für (zukünftige) Speakerinnen parat. Wolfgang Lünenburger-Reidenbach hat sich einer Referenten Selbstverpflichtung unterworfen und ist selbst bereit, zurückzustecken, auch wenn er gern auf der Bühne steht. Nina Galla ist Qualität von Speakern am wichtigsten, sie ist eigentlich kein Fan von Quoten, aber der Meinung, dass sich etwas ändern muss. Phillip Westermeyer veranstaltet die Online Marketing Rockstars Konferenz, wo dieses Jahr nicht eine einzige Frau sprach. Das beschreibt er selbst als fahrlässig, aber nicht vorsätzlich – und will es für 2014 definitiv ändern. Verena Gründel befasst sich mit dem Thema als Redakteurin bei “ibusiness” und untersuchte 500 Vorträge der Interaktiv-Wirtschaft mit einem ernüchterndem Ergebnis von 15 Prozent Frauen unter Rednern. Kommentiert ist dies in ihrem Artikel “Warum die Internetindustrie die frauenfeindlichste Branche Deutschlands ist” (angemeldet ohne Premium-Account zu lesen). “Ibusiness” initiierte eine Referenten-Selbstverpflichtung mit – Stand heute – gerade mal zehn (!) Unterzeichnern.

Full house beim #dmwHH-Themenabend gemeinsam mit Hamburg@work (Foto: Sandra Shink @_shamani)

Genug der Vorgeschichte – zur Diskussion

Der Abend brachte viele Erkenntnisse – eine gleich zum Start: Noch in der Intro-Runde wurden die Teilnehmer der Podiumsdiskussion gefragt, ob sie sich noch daran erinnerten, wann sie das erste Mal auf der Bühne standen. Die weiblichen Gäste konnten sich noch ziemlich gut daran erinnern, von “ins kalte Wasser”, über Mut beim Barcamp bis zu Blackout, den keiner mitbekam. Bei den Herren sah das anders aus “Hm, weiß ich gar nicht mehr so genau – seit Schulzeiten eigentlich immer und ständig”. In die gleiche Richtung ging ein Beispiel von Regina – eine Speakerin, die sie gecoacht hat und bei einer größeren Veranstaltung platzierte. Als diese erfuhr, dass sie nach von Weizsäcker und jemandem von Apple sprechen sollte, wollte sie (und hat auch kurzzeitig) alles absagen. Frage, was die Männer gemacht hätten, wurde aus dem Publikum von einem männlichen Teilnehmer beantwortet, was er denken würde “Na, dann erst recht”. Diese Beispiele zeigen – und das wurde den Abend über auch immer klarer: Es geht gar nicht nur “um mehr Frauen auf den Bühnen”.

Regina Mehler von der Women Speaker Foundation (Foto: Sandra Schink @_shamani)

Zunächst aber doch. Sanja Stankovic berichtete von Last-Minute-Anfragen bei den DMW eine Woche vor Events. “Ah, wir brauchen da noch mal ‘ne Frau zum Thema x. Haben Sie da wen?”. Oder den beliebtesten Ausreden von Eventveranstaltern: “Wir haben Frauen gefragt, aber Katharina Borchert konnte nicht.” In der Organisation des Konferenzteils des Reeperbahn Festivals berichtet sie von Sekretärinnen, die Chefs wie Sauerbier anbieten und auch von der Problematik, dass ihr Speakerinnen (gerade in höheren Funktionen) auch häufiger mal abgesprungen sind.

Warum ist sinnvoll, den weiblichen Anteil der Speaker zu erhöhen?

Wolfgang ist gelangweilt von alten, weißhaarigen Männer mit Powerpoint-Chart, er wünscht sich mehr Diversität. Frauen haben noch einmal einen anderen Blick auf Thematiken. Nina ergänzt das auch mit jüngeren und älteren Menschen. Aktuell haben wir meistens eine Altersklasse. Auch mal ältere Menschen sprechen zu sehen, wäre etwas anderes. Beide kritisieren einseitige Sichtweisen und wünschen sich mehr Kontroverses, Neues – heute leider häufig Fehlanzeige.

Die Realität – Stichwort Monokultur

Verschiedenste Bereiche sind geprägt von einer männlichen Monokultur. Katrin führte hier das Beispiel Hollywood auf: Neun von zehn Personen, die in der Filmbranche tätig sind (von Cutter, über Regie etc.) sind Männer. Wie sähe wohl unsere Filmwelt aus mit ein bisschen mehr weiblicher Beteiligung? Es geht hier (und überall anders) übrigens nicht um besser oder schlechter – aber eben anders.

Wie lang der Weg noch ist, bestehende Standards und Gelerntes zu durchbrechen, ergänzt Regina mit dem Beispiel eines Unternehmens (Inhaber & Vorstand Maschinenbauunternehmen), der für eine jährlich stattfindende große Veranstaltungen einen (technischen) Redner benötigte. Kurz vor der Verpflichtung einer Rednerin sagte er ab mit den Worten (oder so ähnlich) “Wissen Sie, ich gehe nächstes Jahr in Rente, das [nicht wie gewohnt für die Führungsriege einen Mann sprechen zu lassen] tue ich mir nicht mehr an”.

Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach und Nina Galla auf dem DMW-Panel (Foto: Sandra Schink @_shamani)

Und schon sind wir bei der Ursache der Problematik, wie ich zumindest die Diskussion und Beiträge interpretiere. Nennen wir es Geschlechterrolle. In unserer Gesellschaft gibt es ein Frauenbild, das sowohl bei Frauen als auch Männern tief verwurzelt und schwer zu ändern ist. In diesem Bild ist eine Frau nicht Expertin in einem technischen Thema und hält einen Vortrag vor einer männlichen Führungsriege. [Exkurs: "Die Frau" ist nämlich damit beschäftigt, ihre Karriere aufgrund einer Teilzeitstelle vom Abstellgleis zu bewegen.]

Das mit der Frauenrolle in den technischen Berufen ist ja ein alter Hut. Aber was geht da bitte mit der Interaktiv-Wirtschaft? Auf jeden Fall wurde hier ein  Thema “angepiekt” und in der anschließenden Diskussion schätzte DMW-Mitglied Ines Schaffranek das so ein “wenn das reine Ansprechen der Thematik bei einigen Männern so starke Reaktion hervorruft und sie sich augenscheinlich bedroht fühlen, zeigt es, dass man nur noch nicht tief genug gepiekt hat”.

Lösungsansätze – wie machen wir weiter?

Konkrete Tips und aufgeworfene Punkte zusammengefasst:

Wenn man gefragt wird? Nicht zögern, einfach machen. Erst ja sagen und dann schauen wie. Es gibt schon einen Grund, warum man gefragt wurde. Stichwort Expertenstatus. Strategie erarbeiten, wenn man sich als SpeakerIn etablieren möchte Sich helfen lassen/Netzwerk aufbauen Kritik konstruktiv annehmen zur Weiterentwicklung Viel früher ansetzen. Übungsprogramm in Schulen/Unis für Mädchen Im geschlossenen Kreis üben Nicht Everybody’s Darling sein – Meinung wird belohnt Spezifisches Experten-Thema/USP für sich beanspruchen Ein bisschen mehr “Lobo” sein – rotzig, aber Gehör finden Erstmal erobern, dann aber eigener Stil “nicht wie die Jungs” Anmerkung der DMW: …und nicht zuletzt natürlich Teil der Speakerinnen-Datenbank der Digital Media Women werden

Einordnung der Thematik in den Gesamtzusammenhang

Privat und beruflich wurde ich auf meinen Blogartikel angesprochen und habe mich hinsichtlich des Events ausgetauscht und da fand ich mich inmitten dieser Beispiele…

Kollege schreibt Mails “Hey Ihr Süßen…” Anzügliche Bemerkungen zu Kabelbindern auf dem Schreibtisch Führungskreis 3 Männer, 1 Frau. Entscheidung getroffen “das haben wir 3 Männer doch super hinbekommen” Ich kenne so viele Frauen, die Stellen unter ihrem Potenzial haben (Teilzeit) – Deutschland ist da noch soweit zurück Männer gehen mit 80 Prozent auf die Bühne – Frauen erst bei 120 Prozent. Frau: “Ich spreche Englisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch” – anerkennende Reaktion – Frau: “Na ja, nicht perfekt.”

…die mich z.T. schnell an die #Aufschrei-Debatte erinnern. Dabei ging es mir doch im ersten Moment nur um mehr Frauen auf den Bühnen, also das Symptom. Aber in einer Krankheit hilft es ja auch, wenn die Symptome gelindert werden, oder?

Die Frage, mit der ich hier rausgehe: “In welcher Business-Welt leben wir eigentlich?” Ich freue mich auf eine Diskussion und vor allem auch Ergänzungen anderer Teilnehmer. Der Abend steckte voller interessanter Beiträge und das hier ist nur n=1.

Fotos: Sandra Schink. Mehr Bilder findet ihr auf unserer Facebook-Seite und bei unseren Partnern von Hamburg@work.

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