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Flüchtlingsfrage im Bundestag: Weiterhin im Notfallmodus

Im Bundestag wird klar, dass die deutsche Politik für die Ukraine-Flüchtlinge nach wie vor improvisiert. Die Regierung verteidigt sich.


In der aktuellen Stunde am zur Lage der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland am Donnerstag haben sich die Abgeordneten der demokratischen Parteien überwiegend einig bei der Einschätzung der Situation gezeigt. Alle Sprecher:innen sehen in dem hohen Tempo und der hohen Zahl der Geflüchteten zwar eine Herausforderung, die mit vereinten Kräften aber zu meistern sei. Bei der Frage, was diese vereinten Kräfte genau tun sollen, gehen die Meinungen jedoch auseinander.

Vertreter:innen von Union, FDP und Grünen fordern eine Registrierung der Geflüchteten. Grünenpolitikerin Filiz Polat bezieht sich dabei auf den Paragrafen 24 des Aufenthaltsgesetzes und fordert die Registrierung bereits an den Kontenpunkten, bevor die fliehenden Menschen an den Erstaufnahmestellen ankommen, damit die Verteilung in die Länder und Kommunen koordinierter ablaufen kann. Stephan Thomae von der FDP sieht die Registrierung als Chance, die ankommenden Menschen zielgerichtet zu unterstützen. „Nur wenn wir wissen, wer hier ankommt, wer Männer, Frauen oder Kinder sind, können wir die Hilfen zielgerichtet an die Menschen bringen", so Thomae.

Die Unionspolitikerin Andrea Lindholz verweist bei der Registrierung vor allem auf den Schutz der einwandernden Frauen und Kinder. Die Beauftrage der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem Alabali-Radovan - hält dagegen. Über 200.000 Menschen sind inzwischen von der Ukraine nach Deutschland gekommen, nicht alle aber würden gezählt, weil sie weitestgehend ohne Visum einreisen konnten und "wir niemanden aufhalten, der vor Bomben und Granatsplittern flieht", so die Beauftragte der Bundesregierung. Obwohl die Herausforderung groß sei, laufe die Koordinierung auf Hochtouren. Deutschland sei 2022 besser vorbereitet als 2015.


Union: Frauen schützen, Linke und SPD: Und die Syrerinnen?

Jede:r der Sprecher:innen betont die Leistungen der ehrenamtlichen und freiwilligen Helfer:innen an den Bahnhöfen und in den Kommunen. Grünenpolitiker Leon Eckert fordert aber eine darüber hinausreichende Wertschätzung der Helfer:innen, auch jenen, die 2015 geholfen hätten. Man müsse aus der Vergangenheit lernen. „Wir haben zu wenig getan, um uns zu verbessern", so Eckert und verweist dabei vor allem auf die schlechte Vorbereitung auf Notsituationen, die trotz der großen Zahl an Geflüchteten 2015 und der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr immer noch vorherrsche. „Die Ahrtalkatastrophe hat gezeigt, es gibt Spontanhelfer und wir haben nicht die Struktur, um sie zu verknüpfen, zu verbinden, die Hilfe richtig einzusetzen. Es kann nicht sein, dass wir schlechter sind als die freiwillige Hilfe, wenn der Bund kommt", so Eckert.

Die Probleme der Koordination bemängeln auch Vertreter:innen der Union, die die aktuelle Stunde eingefordert hatte. Unionspolitikern Lindholz fordert „einen Krisenstab, in dem sich Bund, Länder und Kommunen dauerhaft über die Verteilung, Versorgung und alle weiteren Fragen austauschen." Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte in dieser Woche im Bundestag bereits einen Flüchtlingsgipfel in Aussicht gestellt.

Dass es sich bei den ankommenden Geflüchteten derzeit überwiegend um Frauen und Kinder, betonen vor allem Konservative und Liberale. Andrea Lindholz warnt wiederholt davor, dass Frauen und Kinder verschwänden. Es brauche Schutzzonen für sie an Bahnhöfen, um die Unterbringung der Geflüchteten besser zu kontrollieren. Gegenwind gibt Clara Bünger von der Linken. Sie wirft Lindholz vor, Ängste zu schüren und schreckliche Vorfälle für ihre politischen Zwecke zu nutzen. Derya Türk-Nachbaur von der SPD ergänzt: Tausende Frauen und Kinder seien auf der Flucht aus Syrien seit 2015 verschwunden, was den damaligen Innenminister Thomas de Maizière von der CDU nicht interessiert habe.

Sowohl Alabali-Radovan als auch Linke und Türk-Nachbaur betonen, dass allen Menschen, die in Deutschland Schutz suchen geholfen werden muss. „Es gibt keine Geflüchteten erster oder zweiter Klasse. Es darf niemals um Hautfarbe oder Herkunft gehen. wir lassen nicht zu, wenn Drittstaatangehörige aus der Ukraine an den Grenzen diskriminiert werden ", so Alabali-Radovan. Linken Politikerin Bünger verweist zudem auf die Wege, auf denen die Europäische Union Geflüchtete in Ungarn und im Mittelmeer aus rassistischen Gründen von der Einreise abhält und fordert, dass Studierende aus Drittstaaten die Möglichkeit bekommen sollten, ihr Studium in Deutschland fortzusetzen. Damit positioniert sie sich klar gegen Gottfried Curio von der AfD, der in seiner Rede vor allem auf das vermeintliche Gefahrenpotenzial Studierender aus Drittstaaten verwies.


Ausländer aus der Ukraine werden weiter einzeln geprüft

Die Kritik nicht nur der Opposition an angeblich fehlender Registrierung hatte die Bundesinnenministerium bereits Mitte der Woche im Bundestag zurückgewiesen. Faeser sagte auf eine Frage aus der Unionsfraktion, die polnischen Behörden registrierten bereits alle, die ankämen. Menschen, die litten, ein weiteres Mal, zudem in der Kälte, zu überprüfen, so Faeser: "Meine Auffassung ist das nicht." 10-12.000 Menschen, die nach Deutschland kommen, zählen die Behörden derzeit täglich - wer allerdings privat bei Freund:innen oder Verwandten unterkommt, ist in dieser Zahl nicht erfasst. Ob mit denen, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten, auch jene Menschen aus dem Irak und Syrien kommen, die vor Monaten in Belarus strandeten, oder auch Menschenhändler, dazu gibt es nach Informationen des Tagesspiegels im Innenministerium keine konkreten Erkenntnisse. Man verweist dort aber darauf, dass auch die Polizeien der Länder verstärkt an Bahnhöfen kontrollierten und per Schleierfahndung weiter überwacht werden könne, was an den Grenzen geschehe.

Freilich sind die Grenzen nach wie vor nicht so offen, wie jetzt oft behauptet, und auch die Freiheit von Flüchtlingen aus der Ukraine in Deutschland ist nicht unbegrenzt. So ist durch die mehr als 20 Jahre alte EU-"Massenzustromrichtlinie", die für den Ukraine-Krieg jetzt erstmals angewendet wird, zwar klargestellt, dass sie kein Asylverfahren brauchen und sofort arbeiten dürfen. Ob das vor Ort allerdings klappt, muss sich wohl noch zeigen. Das BMI hat seine Rechtsauffassung an die Länder kommuniziert, dass mit dem Aufenthalt auch die Arbeitserlaubnis verbunden ist. Entscheiden müssen darüber aber die Behörden vor Ort.

Und Menschen, die keinen ukrainischen Pass haben, aber dort lebten und fliehen mussten, sind noch etwas weniger geschützt. Nach der EU-Richtlinie haben sie nur dann ein Recht auf Aufenthalt wie Ukrainer:innen - zunächst 90 Tage - wenn sie mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine lebten. Weitere Bedingung: Es muss ihnen unmöglich sein, in ihre Heimatländer zurückzukehren. Deutschland hat das zwar auf Studierende aus der Ukraine ausgeweitet, die dort ja nur für die Zeit ihres Studiums leben sollten. Alle Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine werden aber wohl gesondert und in jedem Einzelfall geprüft werden, auch daraufhin, ob sie nicht doch in die Länder zurückkehren könnten, aus denen sie stammen. Vor einer Woche hatte bereits Pro Asyl entsprechende Kritik an der EU-Richtlinie formuliert. Es wurden zudem Fälle bekannt, in denen etwa afrikanische Studierende aus der Ukraine gezielt aus Zügen geholt und lange daraufhin überprüft wurden, ob sie einreisen dürften.


Bleibt es bei Bewegungsfreiheit für die Geflüchteten?

Aber auch für die Ukrainer:innen selbst könnte es Einschränkungen geben. Sie zieht es, wie die meisten, die sich in einem andern Land eine neue Existenz aufbauen müssen, in die Metropolen, wo sie mehr Infrastruktur haben oder auch nur vermuten, also Arbeit, Schulen, Gesundheitsversorgung. Nach Erkenntnissen des Innenministeriums sind Hamburg und Berlin derzeit besonders gefragt und beide Städte entsprechend belastet. Innenministerin Nancy Faeser machte Mitte der Woche im Bundestag deutlich, dass man da bereits steuere: Züge der DB, die Geflüchtete an der polnisch-deutschen Grenze abholen, würden bereits an Berlin vorbeigeleitet. Sp versucht die Politik ihr Interesse an einer flächendeckenden Verteilung zu wahren - sie setzt es aber aktuell nicht aktiv durch, indem sie etwa Wohnsitzauflagen macht. Wer sich anders entscheidet, wird nicht daran gehindert - vorerst. Sollten irgendwann bestimmte Regionen oder Städte irgendwann überbeansprucht sein, so heißt es aus Faesers Ministerium, könnte sich das allerdings ändern. Aber auch dort beruhigt man: Die jetzige Regelung werde wohl noch lange bleiben.


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