Mongolei Stadt
Sven Zellner ist Dokumentarfilmer, Fotograf und Journalist. Er hat an der Hochschule für Film und Fernsehen in München studiert. Mit seinem Kinodebut Preis des Goldes gewann er 2012 den ARTE Dokumentarfilmpreis. Bei BBC wildflife fotographer of the year wurde er bereits zweimal mit dem zweiten Preis ausgezeichnet. Publikationen in GEO, Terra Mater, DAS MAGAZIN, LFI magazine, ZEIT Leo, FAS, SZ, VIEW, BBC Wildlife Magazine u.v.m.
Ein Gespräch über die Entstehung des Dokumentarfilms Preis des Goldes und seine neue Reportage Mongolendisko zur neuen mongolischen Oberschicht und der extremen Kluft zwischen Arm und Reich in Ulaanbaatar.
I. Die Idee zum FilmS.: Preis des Goldes gewann den ARTE Dokumentarfilmpreis 2012 und lief auch international sehr erfolgreich auf Festivals. Im Februar dieses Jahres folgte die Fernsehpremiere beim BR. In dem Film begleitest du eine Gruppe von fünf ehemaligen Nomaden auf ihrer Suche nach Gold. In einer Zeit, in der internationale Bergbaukonzerne die Ausbeutung der Bodenschätze der Mongolei vorantreiben, wollen sie ihr Stück vom Kuchen abhaben. Dabei stehen die fünf Protagonisten des Films stellvertretend für - so die offizielle Zahl, die du im Film anführst - 100.000 Mongolen, die ihr Glück im illegalen Kleinbergbau versuchen. Der Film schafft es, einen unsentimentalen Blick auf deren Leben zu werfen, ohne anzuklagen oder bloßzustellen, und erschließt damit einen Aspekt der heutigen Mongolei, der in den allermeisten deutschen Mongolei-Dokus keine Beachtung findet. Insgesamt hast du über vier Jahre an dem Film gearbeitet. Fangen wir vorne an. Wie kam dir die Idee zum Film?
Z.: 2006 habe ich als Kameramann einen Film in der Mongolei gemacht, mit dem mongolischem Regisseur Batmunkh Sukhbaatar. Gleichzeitig war ich als Fotograf unterwegs und wollte die Mongolei entdecken. Und bei einer Reise bin ich in der Südgobi auf ein Camp mit Goldgräbern gestoßen.
S.: Zufällig?
Z.: Zufällig. Das lag einfach auf unserem Weg. Die wollte ich dann fotografieren, aber das war unmöglich, denn gleich als wir ankamen, wurden wir mit Steinen beschmissen. Wir mussten weiterfahren. Dann bin ich jedoch nachts zurückgekehrt, weil ich den Fahrer überzeugen konnte, dass ich da hin will. Es war aber sehr schwierig, da ich damals noch auf Diafilm fotografiert habe, und es war einfach zu dunkel.
S.: Hast du heimlich fotografiert?
Z.: Ja, ich hab heimlich fotografiert. Das war in dem Moment der einzige Weg. Und das ist für mich natürlich kein Weg, auf dem ich arbeiten kann. Es funktioniert einfach nicht, und ist beim Fotografieren ja auch moralisch nicht richtig. Das Problem in dieser Situation war: Die Leute waren anders nicht zu fotografieren. Zum einen, weil es illegal ist, was sie da machen. Zum anderen, weil sie nicht gerade stolz drauf sind. Die sind arm und haben selber das Gefühl, dass sie im Dreck wühlen, dass es einfach eine schlechte Arbeit ist und sie die Natur kaputt machen.
Das hat mit ihrer nomadischen Tradition zu tun. Wenn dort Kinder Steine sammeln und damit ankommen, sagen die Eltern: „Die Steine bringt ihr zurück, die gehören nicht euch, das ist die Natur!" Und viele Berge werden traditionell als heilig angesehen. Auch solche, von denen bekannt ist, dass dort Bodenschätze sind, wurden nie angerührt. Entsprechend haben die Leute Hemmungen, es zu tun. Und diejenigen, die so weit gehen, dass sie nach Gold graben, schämen sich dafür. Sie wollen nicht fotografiert werden, weil sie denken: „Ja, jetzt zeigst du uns, wenn wir gerade Mist machen. Du kannst uns gerne fotografieren, aber doch nicht dabei! Komm lieber zu uns und besuch unsere Familie!"
II. „Ninjas" im „Irak"S.: Unter diesen Voraussetzungen - wie bist du zu den Protagonisten deines Films gekommen?
Z.: Also immerhin hatte ich ein paar Fotos. Und da hats mich gepackt und ich wollte den Film einfach machen. Das Thema hat mich gepackt. Ich fand, das es wichtig ist, und ich wollte mehr darüber erfahren: Warum kamen die Leute, um zu graben? Nur aus Armut? Oder lohnt sich das? Es gab ja schon öfter mal einen Goldrausch, und das ist einfach spannend.
Dann bin ich ein Jahr später, 2007, wieder in die Mongolei gereist und habe jemanden kennengelernt, Tsogzol Akh, der selber gesagt hat, er ist Goldgräber. Er hatte schon ein bisschen gegraben, und er wollte wieder in die Gobi, um weiter zu arbeiten. Die Gobi ist auch seine Heimat, er ist dort aufgewachsen. Ich hatte damals kein Geld, und er hatte auch nicht wirklich Geld. Wir sind dann mit dem Bus in die Gobi gefahren, und er hat dort ein Auto abgeholt. Dann hat sich herausgestellt, dass er einer der Bosse ist, und dass Leute, die er kennt, dort involviert waren. Er selber war auch schon mal eine Weile im Knast. Alle Leute aus diesem Umfeld.
Die haben damals in der Nähe von Oyu Tolgoi, in der Nähe von Khanbogd gegraben. Dieses Gebiet nannten sie damals „Irak", weil es viel Ärger gab mit der Polizei und auch zwischen den Ninjas, also den Goldgräbern. Ich hab das lange gar nicht verstanden. Ich dachte, „Irak" könnte vielleicht auch ein mongolisches Wort sein. Später hab ich erfahren, dass die Nachbarhügel „Kuwait" und „Bagdad" hießen.
S.: „Ninjas" ist in der Mongolei eine gängige Bezeichnung für Leute, die illegal nach Gold graben. Der Name stammt von den Ninja Turtles der gleichnamigen amerikanischen Comicserie. Die Goldsucher sehen ihnen angeblich ähnlich, weil sie die Schalen, in denen sie das Gestein auswaschen, auf dem Rücken tragen... Und dass sie das Gebiet „Irak" nannten, war als Metapher auf ihre eigene Situation gemeint?
Z.: In der Gobi war es damals einfach krass. 2005, 2006 ging es da richtig los. Es wurde viel viel Gold gefunden. Aber es war wohl auch so, dass da richtig ernsthaft gegraben wurde, mit tiefen Minen und Dynamit und krassesten Mitteln. Und es gab dort auch einige Tote. Daher kam das. Weil es da so krisengebietmäßig war. Und diese Leute sind auch ein bestimmter Typ von Goldgräbern gewesen, die schon ziemlich krass und skrupellos waren. Die hatten immer noch diesen mongolischen Hintergrund, sind aber viel weiter gegangen als andere.
S.: Präsent war das Thema ja wahrscheinlich schon dadurch, dass sich die Mongolei an der Seite der USA am Irakkrieg beteiligt hat. [Mit dem drittgrößten Truppenkontingent in Relation zur Gesamtbevölkerung.]
Z.: Das stimmt. Aber ich glaube nicht, dass irgendwelche Ex-Soldaten dort direkt beteiligt waren...
Jedenfalls kamen wir jetzt in dieses Gebiet. Tsogzol Akh hatte von Anfang an gesagt, er zeigt mir das, aber fotografieren geht nicht. Das war ein größeres Camp, wo sogar LKWs standen. Ein Tanklastwagen mit Wasser, ein zweiter großer Lastwagen für den Transport von Gestein. Dann hatten sie dort große Jurten, und in diesen Jurten stand irgendwo auch ein riesiger Tresor. Es gab ein Dynamit-Depot. Das war richtig wie ein kleiner Minenkonzern. Und es gab zwei Bosse. Den einen hab ich gar nicht kennengelernt, aber einer war da und der andere war, glaube ich, auch ein Verwandter von Tsogzol.
S.: Konntest du fotografieren?
Z.: Von den Bossen hieß es zunächst leider wirklich: „Hey, du darfst keine Fotos machen! Und von uns schon gar nicht!" Auch der Tresor und so weiter, das ging alles nicht. Ich hab dann im Camp ein paar Fotos gemacht. Ein bisschen von außerhalb, ohne dass Leute drauf waren. Oder einer, der sich in den Schatten gelegt hatte, der hat es akzeptiert. Vielleicht ein, zwei Kilometer entfernt wurde gegraben. Dort waren die Schächte und dort wurde gesprengt. Da war ich dann auch dabei und war auch einmal kurz in einem Schacht mit drin. Und dann gab es ein riesiges Gelände, wo sie Gold gewaschen haben. Das war auch etwas, was es ein Jahr später schon nicht mehr gab, weil es zu leicht zu finden ist für die Polizei. Und beim Essen und beim Zerteilen einer Ziege konnte ich sie fotografieren. Also das ging dann doch irgendwie, aber alles nur mit dem Boss neben mir. Ich hatte halt keine Freiheit. Einmal kam ein Polizist an auf einem Motorrad. Der war schon etwas älter und betrunken, und der hat dann Geld gekriegt von denen. Das war richtig eine mafiamäßige Struktur. Also was dort eigentlich vor sich ging, durfte ich nicht dokumentieren.
S.: Einige der Fotoarbeiten aus dieser Zeit waren später im Rahmen deiner Ausstellung Ninjas - Goldrausch in der Mongolei zunächst in München, im Herbst 2013 dann auch in Ulan Bator zu sehen. Im Katalog zur Ausstellung ist zu lesen, dass du beim Versuch zu fotografieren physisch angegriffen worden bist.
Z.: Das Problem war, dass ich dort, im großen Camp, sehr schnell an die Grenzen gestoßen bin. Eigentlich wäre es dort perfekt gewesen. Aber die haben gesagt: „So, du hast jetzt deine Fotos gemacht, jetzt ist auch gut." Das war quasi schon am ersten Tag.
Nach zwei, drei Tagen sind wir dann von dort wieder weg. Tsogzol konnte mich nicht alleine losschicken, also hat er mich weggebracht. Dann waren wir noch bei verschiedenen Goldcamps, wo einfache Nomaden gegraben haben. Die haben so Trockenrüttler und graben sechs Meter tiefe Löcher. Dort durfte ich erst auch nicht fotografieren, die wurden richtig aggressiv. Aber dann bin ich mit in die Minen und dort unten habe ich die ersten Fotos gemacht. Und die fanden das so cool, dass ich da unten bin, dass sie mir danach erlaubt haben, Fotos zu machen, auch an der Oberfläche. Die Minen sind dort richtig gefährlich, weil sie nicht in massiven Fels gegraben sind, sondern in loses Gestein, und entsprechend können sie sehr leicht einstürzen.
Dann waren da auch relativ viele Kinder, die rumgeklettert sind und mitgearbeitet haben. Also nicht die schwere Arbeit, aber die waren halt dort. Und dann gab es da so einen Vater, der das Gefühl hatte, ich hätte sein Kind fotografiert. Was möglich ist, ich weiß es nicht genau. Der ist dann ausgerastet und hat mich mit einem Messer angegriffen. Tsogzol hat ihn gestoppt. Da hab ich dann auch gemerkt: Die kannten Tsogzol und wussten, dass sie sich mit ihm nicht anlegen sollten. Der Mann ist dann mit dem Motorrad abgehauen, und hat dabei noch geschimpft und geschrien. Das war natürlich ein Schreck, und ich hatte das Gefühl, jetzt kann ich Garnichts mehr machen ohne Tsogzol, weil ich, glaube ich, Angst hatte.
Ich bin dann mit den Bildern, die ich hatte, zurück nach Deutschland. Dort habe ich die Geschichte aufgeschrieben von Tsogzol, den Arbeitern und den Bossen, und mich damit um die Finanzierung des Films gekümmert. Das hat bis 2010 gedauert. Und man kann sich vorstellen, dass ich große Sorgen hatte, ob ich von Seiten der Bosse überhaupt die Erlaubnis bekomme, einen Film zu drehen. Auf der anderen Seite hatte ich die Fernsehredakteure, denen ich garantieren musste, dass es klappt. Weil für eine Recherche hätte ich kein Geld gekriegt.
III. Eisentrümmer, BabykameleS.: Wie lief das mit der Finanzierung? Und wie ging es weiter, ohne die Sicherheit, überhaupt filmen zu dürfen?
Z.: Ich hab dann über ein Stipendium der Kirch-Stiftung, die Absolventen der HFF fördert, einen Betrag bekommen, der gereicht hat für eine weitere Reise. Dann bin ich 2010, als ich praktisch schon den BR von dem Projekt überzeugt hatte, wieder dorthin. Noch hätte ich sagen könne: „Leute, es klappt nicht!" Und tatsächlich gab es dann die ernste Situation, dass Tsogzol mir gesagt hat: es ist nicht möglich. Weil die Leute, die ich dort kennen gelernt hatte, alle nicht mehr gruben und zum Teil im Knast saßen. Nicht wegen Goldgräberei, sondern wegen anderen Sachen. Und Khanbogd, den „Irak", gab es nicht mehr. Die Polizei hatte dort alles beendet.
Dann hab ich ihn überredet, nochmal mit mir in die Gobi zu fahren und mir zu helfen, Goldgräber zu finden. Und ich hab mich darauf eingestellt, einen Film über Nomaden zu machen, die an der Oberfläche graben, auch wenn das nicht die Geschichte war, die ich für das Treatment und die Finanzierung verwendet hatte. Dann sind wir an einen Ort gefahren, wo wir damals schon mal gewesen waren, in der Nähe von Zogt Owoo. Dort haben wir mit einem Nomaden gesprochen, der damals auch in Khanbogd gegraben hatte, und von dem wir wussten, dass er wieder nach Gold gräbt.
Der lebte in einer Jurte, die umgeben war von Eisentrümmern, Schrott und alten Autoteilen, dazwischen Babykamele. Bjamba hieß er, und sah ziemlich wild aus, ein vernarbtes Gesicht und Locken. Also ein lockiger Mongole! Nur konnte man den auch nicht fotografieren. Wenn man die Kamera nur angefasst hat, hat der einen angeschrien. Eine ganz sonderbare Persönlichkeit. Als ich den gesehen habe, dachte ich: Es ist eigentlich schon perfekt! Wenn der nach Gold gräbt...
Dann hat er gesagt, er zeigt uns die Stelle, wo er gräbt. Wir sind da hin gegangen, und es war mehr so eine Mulde, nicht besonders aufregend. Aber vielleicht einen Kilometer entfernt, da haben noch andere Leute gegraben. Da bin ich hin, zu Fuß, und Tsogzol gleich hinter mir her, weil er sich wahrscheinlich Sorgen gemacht hat, dass schon wieder Gefahr droht. [lacht] Aber dann waren es Freunde von ihm, mit denen Tsogzol damals auch schon zu tun hatte, Ochiroo Akh und Usukhuu Akh.
S.: Zwei der Protagonisten deines Films - die beiden Bosse. Wie hast du sie überzeugen können, mitzumachen, nach so vielen Absagen?
Z.: Also das war im Frühjahr 2010. Damals hatten die 13 Arbeiter und es ging ziemlich krass ab. Die haben die Arbeiter so richtig hart rangenommen, vielleicht auch demonstrativ, um ein bisschen vor uns anzugeben.
Dann haben wir mit denen in der Jurte gesessen und darüber geredet, was wir vorhaben. Und da war zum ersten Mal auch Chingun [Chingujav Borkhuu] dabei, der dann mein Co-Regisseur geworden ist. Zu Chingun habe ich gesagt: „Die brauchen wir jetzt aber fest!" Dann hat Chinguu denen gesagt, dass wir gemeinsam eine Diplomarbeit darüber machen wollen, und dass die Art, wie sie arbeiten, dafür interessant wäre. Da haben die gesagt: „Da helfen wir dir schon dabei! Das verstehen wir!" Das war quasi alles, was wir hatten, dass die gesagt haben: „Wir helfen euch bei der Diplomarbeit!" [lacht]
Tatsächlich sollte es ja auch mal mein Abschlussfilm an der HFF werden. Da ich Kamera studiert habe, war das dann aber nicht möglich. Und mit dem Studium war ich inzwischen auch schon fertig, weil es eben so lange gedauert hat. Daher diese Diplomarbeitsgeschichte. Und ich glaube, es war gut, dass wir „Diplomarbeit" gesagt haben. Denn die verstehen ihre Situation sehr gut, und wissen was Bildung wert ist. Die wollen so frei leben und lieben diese Wüste, aber sie finden ihre Arbeit eigentlich auch scheiße und würden lieber einfach nur Nomaden sein, brauchen aber das nötige Geld. Also sie wollen sich auch nicht abrackern als Nomaden, aber sie haben auch keine Lust in einem Büro zu sitzen. Sie wollen halt Bosse sein, und das funktioniert als Goldgräber.
S.: Inwieweit entstammen Ochiroo Akh und Usukhuu Akh eigentlich noch einem nomadischen Hintergrund?
Z.: Die beiden waren selber keine Nomaden mehr. Die Mutter von Usukhuu, die alte Frau, die ja auch im Film vorkommt, ist noch Nomadin. Aber Usukhuu packt schon lange nicht mehr wirklich an als Nomade, das macht alles die Oma beziehungsweise die Mutter. Usukhuu, der mit der Narbe, war eine Zeitlang im Knast, wegen Mord. Und von Ochiroo gibt es auch Geschichten, dass er in China jemanden umgebracht haben soll, auf irgend einem Markt, wo sie Sachen verticken. Aber die sind schon noch beide auf dem Land aufgewachsen, direkt in Tsogt Ovoo. Das ist ihre Heimat, wo die graben. Man kennt sie dort, und alle wissen, dass man sich mit ihnen besser nicht anlegt...
S.: Fehlen noch die drei Arbeiter: Khuyagaa, Khishge und Eegii.
Z.: Als ich dort hinkam, haben Oiroo Akh und Usukhuu Akh mir erzählt, wir holen dort 40.000 Dollar raus. Oder 20.000, irgendwie sowas. Und die haben mir das richtig als ihre Firma vorgestellt. Dann, während des Filmens, nur wenige Monate später, war schon klar, dass es ein Misserfolg wird. Die Arbeiter waren total demotiviert und sind ihnen alle abgehauen, weil sie nicht bezahlt wurden. Das gab natürlich Konflikte, aber die haben denen einfach gesagt: „Ey, hau ab, sonst bringen wir dich um!", so in der Art. Dann war irgendwann nur noch einer übrig, das war Khuyagaa. Und weil sie weiter graben wollten, haben sie sich noch zwei neue gesucht, das waren dann Khishgee und Eegii.
Mehr konnten sie nicht mehr überzeugen, weil ihr Misserfolg sich natürlich rumgesprochen hatte. Der Familienbetrieb von Bjamba, dem Lockigen, ist übrigens total erfolgreich gewesen! Es hieß, dass er viel gefunden hat, und er war natürlich auch so schlau, gleich zu sagen: „Kein Film über mich!"
IV. Reaktionen / Legalize it!S.: Die Hauptfiguren deines Filmes haben wir damit zusammen. Belassen wir es mal hierbei, was das „Making of" angeht, um noch zu den Reaktionen zu kommen, die du zu dem Film in der Mongolei bekommen hast. Nachdem der Film international sehr erfolgreich auf Festivals gelaufen ist, konntest du ihn im November 2013 auch in Ulaanbaatar zeigen.
Z.: Der Film ist zweimal in Ulanbaatar gelaufen. Einmal in der Deutschen Botschaft, und dann im Rahmen einer Filmreihe, wo sie Filme zeigen, die wenig oder gar nicht in den Kinos laufen. Bei der Botschaft war das natürlich ein sehr ausgewählter Kreis. Und da es schon sehr spät war, war nachher leider nur wenig Zeit für Reaktionen. Die Reaktionen, die ich bekommen habe, waren durchweg sehr positiv.
Bei der Filmreihe war es in gewisser Weise ähnlich. Denn dort gehen natürlich auch nur Leute hin, die solche Filme mögen und wissen, was sie erwartet. Daher waren die Reaktionen dort auch größtenteils sehr positiv. Manche haben mir gesagt, dass sie gar nicht gewusst hätten, dass es so etwas gibt - was mich ein bisschen verwundert hat. Aber vor allem, dass sie sich nicht vorstellen konnten, wie diese Menschen leben. Das war für mich natürlich schon eine Bestätigung, denn es waren Mongolen, die das gesagt haben. Also inhaltlich gab es viel Lob und Anerkennung.
Kritik gab es dann eher in der Richtung „der Film hat sich zu sehr wiederholt" oder „zu lang". Das gab es schon. Ein durchschnittliches mongolisches Publikum würde, glaube ich, völlig aussteigen. Denen wäre der Film zu langweilig. Die sind viel schnellere Schnittsequenzen gewöhnt. Und in Deutschland ginge das in eine ähnliche Richtung. Das hat natürlich mit den Sehgewohnheiten zu tun. Man muss Geduld mitbringen für so einen Film. Und gerade in Deutschland finde ich es schlimm, wie wenig sich die Fernsehersender trauen. Für eine 86-Minuten-Doku gibt es kaum Sendeplätze. Preis des Goldes lief jetzt im Februar beim BR um 22:45 - das ist schon ein paradiesischer Platz! Stattdessen läuft jeder mögliche Schrott. Und in der Mongolei ist es, glaube ich, noch schlimmer. Von daher war ich erstaunt, wie positiv die Reaktionen doch waren.
S.: Das heißt, es gab auch keine gekränkten Reaktionen von der Art, wie du sie im Zusammenhang der ersten Kontaktaufnahme mit den Goldgräbern geschildert hast?
Z.: Diese Seite gab es überhaupt nicht. Das hat mich auch überrascht. Es wurde nicht gefragt: „Warum zeigst du etwas Schlechtes?" Das gab es gar nicht.
Allerdings weiß ich von der Botschaft, dass sie, als sie die Veranstaltung angekündigt und die Einladungen verschickt haben, Kritik von offizieller Seite bekommen haben, d.h. von verschiedenen mongolischen Ministerien. Wie eine Botschaft so was machen kann, so kritische Sachen zu bringen. Da fand ich es sehr toll vom Botschafter - der damals auch noch ganz neu war -, dass er gesagt hat, das nehme ich jetzt nicht ernst und mache es trotzdem. Letztlich ist der Film ja auch kein politischer Film. Klar, ich gebe den Leuten eine Stimme - und die meckern...
S.: Hast du eigentlich noch Kontakt zu den Protagonisten? Konnten sie den Film schon sehen?
Z.: Ich habe derzeit leider keinen Kontakt. Das ist sehr blöd gelaufen. Es dauert ja immer eine Weile, bis ein Film wirklich fertig ist. Er wurde dann ganz knapp fertig für das hotdocs 2012 in Toronto. Durch Toronto war dann ein Trailer online, und diesen Trailer hat eine Tochter von Ochiroo Akh gesehen und ihrem Vater erzählt, dass es total peinlich ist, was er da gemacht hat. Das Beste wäre natürlich gewesen, ich hätte ihnen sofort den ganzen Film geschickt, als er fertig war. Nur war das schwierig, denn wo sind die überhaupt gerade, haben sie dort einen DVD-Player, und wie beliefere ich die überhaupt? Da hatte ich das Material einfach schneller in Toronto, wo ich unter Zeitdruck liefern musste.
Im Nachhinein weiß ich, dass das schlecht gelaufen ist. Aber natürlich ist das noch ein Projekt: Die müssen den Film kriegen und sehen. Das ist mir einfach persönlich wichtig, weil ich möchte, dass sie damit leben können. Ich erwarte kein Lob von denen, aber ich möchte, dass sie mir eine Bestätigung geben, dass es ok ist. Ich habe natürlich eine schriftliche Bestätigung von denen, dass sie einverstanden sind, dass ich den Film mache. Aber moralisch gesehen ist es im Moment noch ein schlechtes Gefühl, und ich möchte nicht, dass sie sich ungerecht behandelt fühlen.
S.: Diesen Eindruck hatte ich auch nicht, im Gegenteil.
Z.: Die verstehen ihre Situation sehr gut, und das, was sie sagen, ist für mich eigentlich der größte Gewinn des Films.
S.: Wie sieht die Situation der illegalen Goldgräber denn heute eigentlich insgesamt aus? Stimmt die Zahl von den 100.000 noch?
Z.: Die Zahl stammt aus dem Jahr 2007. Bei Vorführung des Films bei der Botschaft wurde gesagt, das kann nicht sein. Aber es war eine offizielle Zahl von einem mongolischen Amt. 2012 war ich dann nochmal für Terra Mater zum Fotografieren in der Mongolei und habe nochmal recherchiert, und da lautete die offizielle Zahl dann 60.000. Was insofern zu der ersten Zahl passt, als der Goldrausch 2005, 2006, 2007 sicher am größten war. Inzwischen hat das etwas nachgelassen. Weil der Goldpreis gesunken ist, und weil die meisten Leute nicht erfolgreich genug sind und sich das herum spricht.
S.: Aus deiner Perspektive: Wie ließe sich die Situation derer, die immer noch illegal nach Gold graben, verbessern?
Z.: Ich denke, man müsste es legalisieren. Es gibt da auch schon so eine Schweizer Organisation (Swiss Agency for Development and Cooperation), die sich dafür einsetzt. Im Moment ist so, dass durch illegale Minen wirklich viel zerstört wird. Zwar gibt es inzwischen sehr viele Mongolen, die kein Quecksilber mehr verwenden, weil gezielt informiert wurde, wie gefährlich das ist. Aber bei den Protagonisten meines Films zum Beispiel ist das immer noch nicht angekommen. Sie sagen: „Es ist gefährlich, aber wir arbeiten ja jetzt schon Jahre damit..." Solange es illegal ist, lässt sich das nicht kontrollieren.
Und so bringt es dem Land auch nichts, weil die wenigen, die Geld damit verdienen, zahlen natürlich keine Steuern. Da bringt es dem Land mehr, wenn große Konzerne graben. Wobei ich nicht finde, dass das immer das beste Modell sein muss.
V. MongolendiskoS.: Kommen wir zu deinem neuen Mongolei-Projekt Mongolendisko. Eine Reportage mit diesem Titel, in der du die mongolische Hauptstadt Ulaanbaatar mit ihrer extremen Kluft zwischen Arm und Reich zeigst, erschien im Februar dieses Jahres im LFI Magazin.
Z.: Es hat mich eigentlich schon lange interessiert, was in der Stadt passiert. Auf meinen vielen Reisen in die Mongolei habe ich jedes Mal gemerkt, wie schnell sich die Stadt verändert, und auch die Menschen in der Stadt. Man sieht jedes Mal irgendwas Neues. 2004 war ich zum ersten Mal dort. 2006 gab es bereits diese neue Fassade des Parlamentsgebäudes. Plötzlich war der Verkehr ein Problem. Ständig irgendwelche neuen Hochhäuser. Plötzlich gibt es einen Louis Vuitton Shop, usw. Und das ist auch ein Thema, die Leute reden davon. Man merkt, dass die Mongolen Wert darauf legen, dass Ulaanbaatar eine Metropole ist, und sie wollen dazu gehören.
Dann gibt es so viele Einflüsse: aus dem Westen, aus Korea, aus China. Der Grund, dass so viel passiert, ist natürlich, dass wahnsinnig viel Geld da ist. Durch den Bergbau und durch den Bauboom, der damit zusammenhängt. Das sind so die wichtigsten Wachstumsfaktoren. So kommt viel Geld in das Land, aber darum sind nicht unbedingt viele Arbeitsplätze entstanden, da eine verarbeitende Industrie fehlt. Trotzdem zieht es immer mehr Leute vom Land in die Stadt. Und so sind auch die Jurtenviertel immer weiter gewachsen...
S.: ...in denen du für deine Reportage unterwegs warst. Die Einwohnerzahl Ulaanbaatars wird zwischen 1,2 und 1,7 Millionen geschätzt. Zwei Drittel davon leben in sogenannten Jurten-Vierteln, wo es häufig weder fließend Wasser, noch Kanalisation gibt. Der Fokus liegt in Mongolendisko jedoch auf der neuen mongolischen Oberschicht: Ein mongolischer Sumo-Ringer, der nach 17 Jahren in der japanischen Profiliga als reicher Mann in die Mongolei zurückkehrt und heute im Parlament sitzt; eine junge Mongolin, die es ablehnt 20.000 Dollar für einen Posten im Außenministerium zu zahlen und sich stattdessen mit einer Personalagentur und einer eigenen Schmuckmarke selbstständig macht; ein erfolgreicher Bauunternehmer, der versucht, auf dem Teppich zu bleiben, und seine unglückliche Liebe zu einem Model... Du schreibst, dass es anfangs extrem schwierig war, Menschen aus diesem Umfeld zu finden, die bereit waren, sich von dir begleiten zu lassen.
Z.: Die Leute, die da in der Stadt irgendwelche Lexus fahren, die kannte ich ja alle gar nicht. Ich kannte persönlich keine reichen Mongolen, und es fühlte sich auch oft so an, als wäre es unmöglich, an die näher heran zu kommen. Ich hab Leute angesprochen, und die fanden das dann echt komisch. Teilweise hab ich echt gedacht, es geht nur als Paparazzi! Was aber auch nicht funktioniert, weil man fliegt raus und hat nicht lange die Chance, Leute zu fotografieren...
Sobald es einem gelingt, jemanden kennen zu lernen, wird es wesentlicher einfacher. Das Problem war dann eher, einen Termin zu kriegen. Die Spontanität, für die Mongolen ja eigentlich bekannt sind, ist bei diesen Leuten dann auch nicht mehr unbedingt vorhanden. Die haben dann halt keine Zeit oder sind gar nicht in der Stadt. Oder dass man ihnen vielleicht etwas zu nah auf die Pelle rückt, wie das vielleicht meine Art ist. Bei den Goldgräbern habe ich mir viel Gedanken darüber gemacht, weil es ja schon so ist: Ich gehe dahin und klaue von denen gewissermaßen, indem ich Bilder mache und die verkaufe. Und nach außen hin ist ja auch nicht unbedingt klar, dass ich fast Garnichts damit verdiene. Bei Mongolendisko hatte ich kein schlechtes Gewissen, weil ich wusste, denen geht es allen besser als mir.
S.: Im Mai wird ein weiterer Beitrag von dir zu diesem Thema in der GEO International erscheinen. Ist Mongolendisko damit für dich abgeschlossen, oder geht es noch weiter? Woran arbeitest du derzeit?
Z.: Also Mongolendisko geht vielleicht sogar noch ein bisschen weiter. Weil sich da noch Sachen ergeben haben, und ich hab das Gefühl, ich kann noch tiefer dringen. Das wird vielleicht auch ein Film. Das hängt natürlich davon ab, ob ich einen Sender finde, aber ich finde es total spannend und werde es mal versuchen. Das wird dann vielleicht nicht so lang, aber es könnte auch lang werden. So, dass man viele Protagonisten hat, die alle irgendwie miteinander zu tun haben, episodisch erzählt. Kennst du LA Crash? So in der Richtung.
Dann hab ich ein Projekt in Grönland. Das geht auch in die Richtung, dass ich Grönland ganz von der jungen, modernen Seite zeige, wie junge Grönländer so leben und was die machen. Man kennt das ja: höchste Selbstmordrate der Welt, vor allem in abgelegenen Orten. Das ist natürlich ein Problem, aber es ist nur ein kleiner Teil der Gesellschaft. Und dort gibt es auch einen Bergbauboom, darüber mache ich auch was. In Grönland leben nur 56.000 Menschen, und das Land ist noch größer als die Mongolei...
Dann mache ich ein Projekt in Rumänien. Ich habe was gemacht über Leute, die in der Kanalisation leben. Seit Rumänien zur EU gehört, hat der Global Fund die Mittel zum Kampf gegen AIDS in Rumänien gestrichen, und die Rate unter Drogenabhängigen liegt bei 60%. Das ist ein ziemlich hartes Projekt. Aber ich mache auch so ein Langzeitprojekt über eine rumänische Familie mit sechs Kindern, die sich in sehr unterschiedliche Richtungen entwickeln. Der älteste ist jetzt elf, geht aber auch nicht mehr in die Schule. Und es geht darum, was aus denen wird. Dazu mache ich auch ein Buch, für das ich auch bereits einen Verlag habe. Das wird noch mindestens fünf Jahre laufen. Wann ich das abschließe, hängt von den Kindern ab. Es geht dort auch viel um Armut, und um die Frage, welche Chancen diese Leute haben - jetzt, wo Rumänien zur EU gehört -, wenn sie vom Land sind und nicht aus der Stadt und sie auch nicht irgendwie privilegiert sind. Das ist sehr intensiv. Das geht einem ziemlich nahe, was man dort so mitkriegt.
Also mir ist es wichtig, das ich nicht nur zur Mongolei arbeite. Aber auf die Mongolei werde ich sicher immer wieder zurückkommen. Das ist klar, und ich hab auch noch viele Ideen. Und die Veränderungen gehen ja auch immer weiter. Die Leute, die ich jetzt für Mongolendisko porträtiert habe, sind in einem Jahr vielleicht schon keine Politiker mehr, sie sind plötzlich arm oder keine Ahnung. Es ändert sich alles - außer daß die Armen nicht reich werden! Und auch der Film: In zehn Jahren ist Goldrausch echt vorbei. Aber dann ist der Film auch irgendwo eine Quelle, und deswegen ist es wichtig.
Von Sven Zellner erscheinen als nächstes die Fotostrecken „Knallharte Träumer" in VIEW 04/2014 zum illegalen Kleinbergbau in der Mongolei sowie „Ulan-Bator - Das steinerne Herz der Mongolei" in GEO international 05/2014.