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Reportage

MONGOLE MIT KOHLE

Dass es schwierig werden würde, das bekam Sven Zellner immer wieder zu hören, als sich seine Idee verfestigte: in die Mongolei zu reisen und dort die Reichen vor seine Kamera zu bringen. Von den reichen Mongolen gebe es zwar immer mehr – man sehe es an den Rolls-Royces auf der Strasse, das Abendessen liessen sie sich mit Helikoptern aus Korea einfliegen. Aber eher werde er ein lebenslanges Einreiseverbot erhalten, als dass er auch nur einen von ihnen fotografieren könne. Zu gross sei die Angst, dass hier einer auf der Jagd nach Korruptionsskandalen sein könnte. Darauf war der Fotograf aber gar nicht aus. Durch Beziehungen gelang es ihm dann doch, in die exklusivsten Clubs in der Hauptstadt Ulan Bator zu kommen. Irgendwann hatte auch niemand mehr etwas dagegen, dass er das verschwenderische Leben festhielt, das eine einzige grosse Party zu sein scheint.

Die Mongolei, ein Land viermal so gross wie Deutschland, aber mit weniger als drei Millionen Einwohnern und einer über 800 Jahre alten Nomadenkultur, hat sich innerhalb weniger Jahre stark gewandelt. Die Entwicklung vom Nomadentum zur urbanen Gesellschaft geschah mit ungeheurer Geschwindigkeit, manche verwenden dafür das Bild des Raumschiffs, in das die Mongolen 1921 einstiegen, durch den Sozialismus katapultiert, alphabetisiert, modernisiert und in eine Grossstadt gesetzt wurden. Bald lebt die Hälfte aller Einwohner in Ulan Bator: Die Einwohnerzahl der Hauptstadt stieg von 700 000 auf 1,2 Millionen, neue Hochhäuser wie der Blue Sky Tower spriessen aus dem Boden, die Zahl der Autos verdreifachte sich innerhalb der letzten zehn Jahre, und die Luftverschmutzung erreicht bedenkliche Werte. Heute gehört die Mongolei zu den Volkswirtschaften mit dem höchsten Wachstum, angefeuert durch einen Rohstoffboom. Das hat eine neue Klasse von Superreichen hervorgebracht – die sich aber gern im Hintergrund halten.

Seine politische Unabhängigkeit erhielt das Land erst nach dem Rückzug der Sowjets Anfang der 1990er-Jahre. Staatliches Eigentum wurde privatisiert, und ein kleiner Kreis Privilegierter teilte es unter sich auf. Die Russen wussten, wo die Bodenschätze liegen, die mongolische Oberklasse sicherte sich nach der Unabhängigkeit Bergbaulizenzen – lange bevor die Rohstoffpreise anstiegen. Mit dem friedlichen Wandel zur Demokratie verlor die Mongolei auch ihre finanzielle Unterstützung aus Moskau. Erst mit Einsetzen des Bergbaubooms stiegen die ausländischen Direktinvestitionen – innerhalb kürzester Zeit flossen durch den Handel mit Rohstoffen immense Mengen ausländischen Geldes ins Land. Die Inflationsrate ist hoch. Harte Winter und Wasserknappheit zwingen viele Nomaden, in die Stadt zu ziehen, wo das Leben immer teurer wird. Als Folge dehnen sich die Randbezirke aus, die sogenannten Jurtenviertel. Die Kohleöfen belasten die Umwelt, viele Zugewanderte finden keine Arbeit, manche bleiben obdachlos.

Auch diese Menschen am Rande zeigt Sven Zellner in seiner Fotoarbeit und stellt sie den Reichen gegenüber. 


DAS MAGAZIN 8.3.-14.3.2014 AUSGABE 10  - Wochenendbeilage von Tagesanzeiger, Baseler Zeitung, Berner Zeitung und Bund