Svana Kühn

Redakteurin Politik und Gesellschaft / Content Managerin, Osnabrück

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Hochschule: Was bringt es, am Tag vor der Klausur zu lernen?

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Lieber schon lange vorher lernen oder intensiv bis zum Abend davor? Hirnforscher und Studien zeigen dir die besten Lerntipps für die Prüfung und gegen Stress.


Dieser Artikel ist am 18. Dezember 2017 bei Orange - dem jungen Portal des Handelsblatts - erschienen.

Der Hörsaal ist schon gut gefüllt. Noch eine halbe Stunde bis zur Klausur und die Anspannung steigt mit jeder Minute. Ich schaue mich um und mir fallen zwei Typen von Studenten ins Auge.


Auf der einen Seite die Organisierten: Sie haben schon vor Wochen angefangen zu lernen, legen ihre Werkzeuge zurecht wie ein Arzt vor einer Operation - Ausweis, Taschenrechner, Wasserflasche, Stifte - und unterhalten sich mit ihren Kommilitonen über das kommende Wochenende. Bloß nicht mehr an die Klausur denken, bevor es los geht. Ganz locker, nicht nervös werden.


Kurz vor der Klausur lernen oder lieber locker machen?

Auf der anderen Seite gibt es die Nachteulen: Noch 30 Minuten vor Klausurbeginn hocken sie mit verquollenen Augen über ihren Notizen und machen sich gegenseitig mit Fragen verrückt, die ihnen keiner beantworten kann. Neben dem Wirrwarr an Notizzetteln steht ein extra großer Kaffeebecher, um die Müdigkeit zu vertreiben. Viel geschlafen haben sie nicht, ihre Augen zeigen die Spuren der durchgelernten Nacht.


Frei nach dem Motto „schlafen kann ich, wenn ich tot bin" - oder in diesem Fall: wenn die Prüfungszeit vorbei ist. In den vergangenen 24 Stunden gab es kaum eine einzige Minute, in der sie nicht an die kommende Klausur gedacht haben.


Ich drehe mich um, schaue auf meinen Tisch und ärgere mich über mich selbst - ich gehöre zum Typ zwei. Doch was bringt es mir eigentlich, noch am Abend oder in der Nacht vor der Klausur zu lernen?


Schluss mit Mythen und Halbwissen, fragen wir einen Hirnforscher: Professor Martin Korte, Neurobiologe an der Technischen Universität Braunschweig und Lernexperte.


Und? „Das kommt ganz darauf an, wie viel man schon im Voraus gelernt hat", sagt er. Es könne durchaus etwas bringen, den Stoff noch einmal zu wiederholen.


Abends vor dem Schlafen lernen ist gut fürs Gedächtnis

Tatsächlich lerne man kurz vor dem Schlafengehen sogar effektiver: „Während wir schlafen, wiederholt das Hirn den Lernstoff und verinnerlicht", sagt Korte. Wird die Zeit dann doch mal knapp, könne man den Schlafmangel kurzzeitig durch Adrenalin und Stress wieder wettmachen. Was aber nicht heißen soll, dass man jede Nacht zum Tag machen sollte.


Auch eine Studie der University of California in Los Angeles sieht im Schlaf einen wichtigen Lernfaktor. Laut Professor Andrew J. Fuligni liegt der Schlüssel zum Erfolg darin, einen ordentlichen Kompromiss zwischen Lernen und Schlafen zu finden.


Er und sein Team machten den Test, sie baten 535 Schüler der 9. bis 12. Klasse an drei Schulen in Los Angeles zwei Wochen lang aufzuzeichnen, wie lange sie lernen und schlafen, wie viel sie im Unterricht verstehen und welche Noten sie bekommen.


Die Forscher stellten fest, dass langes Lernen in Kombination mit wenig Schlaf zu schlechteren Leistungen führte.


Schlechte Aussichten für mich. Schon zu Schulzeiten habe ich immer erst auf den letzten Drücker gelernt und unzählige Nachtschichten eingelegt. Warum? Unter Druck entstehen Diamanten! Zeitdruck ist meine Motivation. Das ging soweit, dass meine Mutter mir nachts die Bücher unter der Nase wegziehen musste.


Bringt Zeitdruck beim Lernen bessere Noten?

Im Studium hat sich das etwas gebessert. Es gab sogar Zeiten, in denen ich schon während des Semesters Vorlesungen nachbereitet und wichtige Inhalte zusammengefasst habe. Doch dann kam der Nebenjob, der zweite Nebenjob - und damit auch der Zeitdruck zurück.


Eine Woche vor der Klausur fahre ich mit meiner Kommilitonin und guten Freundin Mona gemeinsam zur Uni. Mona hat schon vor Wochen angefangen für die Klausur in Sozialpolitik zu lernen - erzählt was von „intertemporalen Budgetbeschränkungen" und „lohnbezogenen Beiträgen".


Keine Ahnung, wovon sie da redet, obwohl wir beide das Gleiche studieren: Sozialökonomie, die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft. Noch habe ich ja ein paar Tage Zeit, kann mich aber einfach nicht motivieren.


Dabei können schon wenige Stunden am Tag Lernen ausreichen, sagt Lernexperte Professor Korte. Solange man dabei ein paar Dinge beachtet:


1. Lerntipp: Das Lernen und die Pausen planen, um die Zeit sinnvoll einzuteilen

„Etwa zehn Prozent der Lernzeit sollte man dafür nutzen, zu überlegen, was wie gelernt werden soll. Ein Überblick über den Stoff kann helfen, die Lernzeit sinnvoller einzuteilen. Dabei sollte man am besten in kürzeren Einheiten von etwa 30 Minuten lernen und nach jeder Einheit eine Pause machen. Das setzt natürlich voraus, dass man sich schon ein paar Wochen vor der Klausur mit dem Stoff beschäftigt."


2. Das Ziel beim Lernen im Auge behalten

„Zu dem Wie und Was gehört außerdem das Warum. Man sollte sich immer fragen: Warum mache ich das eigentlich? Das Lernen fällt leichter, wenn man einen Sinn darin erkennen kann."


3. Beim Lernen das Smartphone weglegen und offline bleiben

„Während der Lernphasen sollte das Handy ausgeschaltet bleiben oder zumindest nicht in Reichweite sein. Jedes Mal, wenn wir eine Nachricht lesen oder auf einen Kommentar antworten, muss sich unser Gehirn erst einmal wieder in den Stoff einarbeiten. Das frisst Zeit. In den Pausen kann man auch soziale Medien nutzen. Besser ist es aber, sich zu bewegen."


Klingt einfach. Was sind schon 30 Minuten? Ich sitze am Schreibtisch und sortiere meine Notizen, da fällt mir auf, wie unordentlich das Wohnzimmer ist - und eigentlich muss ich auch noch meine Rechnungen bezahlen, einen Artikel schreiben und die Wäsche waschen.


In dem Moment ruft Mona an und fragt, ob wir uns auf einen Kaffee treffen. Ich lege den Ordner wieder weg und packe meine Tasche. Was soll's? Der Tag ist noch lang...

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