Svana Kühn

Redakteurin Politik und Gesellschaft / Content Managerin, Osnabrück

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So bestehlen uns Superreiche: eine Anleitung in 6 Schritten

Foto: dpa

Aktionäre haben sich jahrelang Steuern zurück erstatten lassen, die sie nie bezahlt haben. Wir erklären, wie der Trick mit „Cum-Ex" und „Cum-Cum" funktioniert.

Dieser Artikel ist am 18. Oktober 2018 bei Orange - dem jungen Portal des Handelsblatts - erschienen.

Es ist der wohl größte Steuerskandal der deutschen Geschichte: Jahrelang haben sich reiche Menschen ihre einmal gezahlte Steuer, gleich mehrfach zurück erstatten lassen. Und das auf Kosten der Steuerzahler - also zu unser aller Schaden.


Cum-Ex und Dividendenstripping einfach erklärt: Anleitung in 6 Schritten

Das ARD-Magazin „Panorama", die Wochenzeitung „Die Zeit" und „Zeit Online" hatten schon im vergangenen Jahr über den Steuerbetrug berichtet. Danach meldeten sich Journalisten aus ganz Europa und die Geschichte nahm neue Dimensionen an: Es zeigte sich, dass die sogenannten Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte nicht nur Deutschland selbst betreffen.


Der Betrug geht über die Landesgrenzen hinaus und der Schaden ist deutlich größer als bisher bekannt. Gestern veröffentlichte die europaweite Recherchekooperation unter der Leitung des Recherchezentrums „Correctiv" ihre Ergebnisse. Aber noch einmal von vorne...


Wer Aktien kauft, hofft nicht nur darauf, dass der Unternehmenswert, und damit auch der Wert der Unternehmensanteile, über die Jahre steigen - einmal im Jahr werden die Aktionäre auch direkt am Gewinn beteiligt. Für jede Aktie, die sie besitzen, bekommen sie eine bestimmte Summe ausgezahlt. Das ist ihr Anteil am Gewinn des Unternehmens, die sogenannte Dividende. 25 Prozent davon fließen als Kapitalertragsteuer an den Staat.


Hinter den sogenannten Cum-Ex-Geschäften, oder auch Dividendenstripping genannt, verbergen sich Aktiengeschäfte rund um jenen Tag im Jahr, an dem die Dividende fällig wird. Das ist der Dividendenstichtag.


Rund um diesen Stichtag, wird die Aktie schnell zwischen Banken, Investoren und Fonds hin und her geschoben. Das Ziel: Verwirrung schaffen. Durch den schnellen Handel mit den Aktien kann das Finanzamt nur schwer verfolgen, wer sie eigentlich wirklich besaß. Das Ergebnis: Das Finanzamt stellt gleich mehrere Steuerbescheide aus und die Investoren lassen sich die Steuern gleich mehrfach zurück erstatten, obwohl sie teils kein einziges Mal ein Anrecht darauf hatten.


An diesen Deals sollen auch eine Reihe prominenter Investoren beteiligt gewesen sein. Ganz vorne mit dabei: Carsten Maschmeyer. Laut Unterlagen, die dem Stern vorliegen, soll er einmalig fünf Millionen Euro investiert haben. Weitere 40 Millionen Euro seien von seinem „Familienkonto" abgegangen. Hier steckte wohl auch Geld seiner Verlobten, der Schauspielerin Veronica Ferres und von seinem Kumpel, dem Fußballtrainer Mirko Slomka mit drin.


Aber auch Schake-Boss Clemens Tönnies und der Hamburger Prominenten-Anwalt Matthias Prinz sollen in die Ex-Cum-Geschäfte verwickelt sein. Bis jetzt wurde aber keiner der mutmaßlichen Betrüger verurteilt.


Der ganze Trick beruht darauf, dass Dividenden für Fonds oder Banken mit Sitz in Deutschland von der Steuer ausgenommen sind. Diese Institutionen müssen die Kapitalertragsteuer von 25 Prozent zwar automatisch an den Staat überweisen, können sich das Geld jedoch zurück holen. Es geht also nicht allein darum, Steuern zu vermeiden - man holt sich auch noch zusätzliches Geld. Die folgende Anleitung erklärt dir ganz einfach, wie das funktioniert.


1. Aktienkauf vor der Zahlung der Dividende

Wir haben drei Investoren: Alex, Berta und Cäsar. Alex besitzt Aktien im Wert von zehn Millionen Euro von der Energie AG. Kurz vor dem Tag, an dem die Dividende fällig wird, kauft Berta ebenfalls Aktien von der Energie AG, ebenfalls im Wert von zehn Millionen. Diesen Deal nennt man „Cum Dividende": ein Aktienkauf vor der Dividendenzahlung.


2. Leerverkäufe

Allerdings kauft Berta dieses Aktienpaket nicht bei Alex, sondern bei Cäsar. Der besitzt zum jetzigen Zeitpunkt noch gar keine Aktien von der Energie AG. Das macht aber nichts, denn die beiden vereinbaren, dass Cäsar die Aktien erst zu einem späteren Termin an Berta liefern muss. Das nennt man einen Leerverkauf. Das Prinzip funktioniert so, wie wenn du Klamotten im Internet bestellst, sofort zahlst, die Ware aber erst ein paar Tage später ankommt.


3. Die Dividende kommt

Der Tag der Gewinnausschüttung ist gekommen: Dividendenstichtag. Die Energie AG beteiligt ihre Aktionäre an ihrem Gewinn mit einer Dividende von fünf Prozent. Das heißt für Investor Alex: Er hat Anspruch auf 500.000 Euro. Die Energie AG überweist ihm aber nur 375.000 Euro, denn 25 Prozent Kapitalertragsteuer gehen direkt an das Finanzamt. Für diese 125.000 Euro bekommt Alex von seiner Bank eine Bescheinigung, mit der er sich bei der nächsten Steuererklärung unter bestimmten Bedingungen das Geld vom Finanzamt zurück erstatten lassen kann.


4. Aktienkauf nach der Dividende

Jetzt verkauft Investor Alex seine Aktien an Investor Cäsar, der sie braucht, um Berta zu beliefern. Cäsar zahlt an Alex aber nicht zehn Millionen Euro, sondern nur 9,5 Millionen. Die Aktien sind nun weniger Wert, da die Dividende gerade ausgeschüttet wurde - und die hat Investor Alex ja schon kassiert. Diesen Deal nennt man „Ex Dividende".


5. Das Finanzamt stellt mehrere Steuerbescheinigungen aus

Cäsar wiederum liefert die Aktien an Berta. Da Berta die Aktien aber schon vor der Dividendenausschüttung gekauft und bezahlt hat - und damit auch ein Anrecht auf die Dividende hat - muss Cäsar noch einmal 375.000 Euro oben drauflegen. Über die noch fehlenden 125.000 Euro bekommt Berta eine Bescheinigung von ihrer Bank ausgestellt, mit der auch sie sich die Summe vom Finanzamt erstatten lassen kann.


6. Das Finanzamt erstattet die Steuern mehrmals

Zu guter Letzt verkauft Berta die Aktien wieder an Alex. Damit scheint alles wieder wie vor den Verkäufen - doch haben nun offiziell zwei Investoren Anspruch auf Steuererstattung: Alex und Berta. Der Staat dagegen hat nur einmal Steuern kassiert und verliert nicht nur diese 125.000 Euro, sondern zahlt zusätzlich noch weitere 125.000 Euro als Rückerstattung aus. Alex, Berta und Cäsar teilen sich die Beute von einer Viertelmillion Euro. Fertig.


Das Ganze funktioniert übrigens auch über Ländergrenzen hinweg. Auch ausländische Aktionäre müssen Kapitalertragsteuer zahlen. Hier wird der Trick „Cum-Cum" genannt - und funktioniert so: Ein Investor verkauft Aktien vor der Dividendenausschüttung zum Beispiel an eine Bank mit Sitz in Deutschland. Diese kassiert die Dividende, lässt sich die Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten und verkauft die Aktien wieder an den ursprünglichen Besitzer zurück. Für diese „Mühe" bekommt die Bank eine „Bearbeitungsgebühr" und der Investor spart jede Menge Steuern.


Wie hoch ist der Schaden von Cum-Ex und Dividendenstripping?

Mindestens zehn weitere europäische Länder sind betroffen. Die Schadenssumme, die durch das Dividendenstripping entstanden ist, beträgt laut dem Recherchezentrum „Correctiv" mindestens 55,2 Milliarden Euro.


Deutschland trifft es besonders hart: Laut einer Berechnung des Steuerexperten Christoph Spengel von der Universität Mannheim sind den deutschen Finanzämtern zwischen 2001 und 2016 so mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen. Mit dieser Summe könnte man jedem Einwohner in Deutschland fast 400 Euro schenken.


Banken, Finanzberater, Anwälte, Notare - sie alle verdienen an dem Geschäft. Es sind vor allem die Reichen und Superreichen, die so auf Kosten der Steuerzahlen noch reicher werden.

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