Aus ELTERN 11/22. Immer wieder die Frage: Was schenken wir dem Kind? Der Spielzeugforscher Volker Mehringer verrät, was kleine Menschen wirklich glücklich macht und warum Kinder Spielzeug grundsätzlich anders bewerten, als Eltern es durch ihre Erwachsenenbrille tun
Am besten passt ein Spielzeug zum Interesse des
Kindes und seiner Spielentwicklung. Die durch-
läuft jedes Kind recht einheitlich: Bereits im ersten Lebensjahr wollen Kinder etwas in die Hand
nehmen, es spielerisch erkunden, stapeln, draufbeißen. Im zweiten Lebensjahr geht es immer
mehr in Richtung abstraktes Denken und Fantasiespiel. Die Kinder tut dann so, als ob. Sie
denken sich langsam in Spielfiguren hinein, auch
Verkleidung wird interessant. Später kommen in
der Entwicklung noch weitere Spielformen dazu.
Und wenn ein wohlüberlegtes Spielzeug
doch nicht so gut ankommt?
Dann hat das Kind die gefragten Fähigkeiten vielleicht noch nicht. Oder es erkennt den Reiz noch nicht, weil es nicht weiß, was es damit anfangen soll. Am besten spielt man dann mit dem Kind gemeinsam und zeigt ihm, was es mit dem neuen Geschenk auf sich hat.
Lohnt es sich – wie bei der erwähnten
Lego-Schranke –, immer wieder neu in
eine Spielzeugwelt zu investieren?
Gut möglich, denn diese Welten sind meist für
lange Zeit interessant. Und selbst wenn damit in
einer Phase mal nicht so oft gespielt wird,
bekommt es durch ein neues Element oft wieder
einen Push. Meine Tochter zum Beispiel hat ein
Holzpuppenhaus. Mit ihren neun Jahren ist sie
dafür eigentlich schon etwas zu alt, aber sie hat
es kürzlich wieder rausgeholt und mit dem vorhandenen Playmobil-Spielzeug bestückt. Jetzt
wird wieder groß aufgespielt.
Was mich nervt, sind die Geschlechtszuweisungen – auch auf dem Spielzeugmarkt. Autos und Dinos für Jungs,
Prinzessinnen und Pferde für Mädchen. Wurde das in den vergangenen Jahren
immer schlimmer?
Es gibt keine eindeutigen Studien dazu, aber es betrifft inzwischen auf jeden Fall auch Bereiche, die bisher neutral waren. Plötzlich gibt es Rutschautos auch in Rosa, was eventuell einen Jungen daran hindert, damit zu spielen. Ich finde, das ist eine bedauernswerte Einschränkung der Industrie. Aber ich sehe auch Veränderungen. Einige große Hersteller versuchen bewusst, Stereotype zu durchbrechen. Die Vielfalt, auch was Hautfarben, Berufe oder Körperformen betrifft, wird immer breiter. Durch die Diskussion geraten die Hersteller tatsächlich unter Druck und stellen sich nach und nach anders auf.
Meine Mutter wollte mir lange keine
Barbie kaufen, ich meinen Söhnen keine
Waffen. Aber natürlich basteln sich die Jungs welche aus Stöcken und das
schon, seit sie zwei, drei Jahrealt sind. Was mache ich als Eltern mit
diesen ungeliebten Schieß-Spielen?
Betrachten Sie beide Seiten: Was stört Sie konkret, welche Angst steckt dahinter? Und: Was möchten die Jungs mit den Waffen machen, welche Spieltätigkeit wird daraus – gerade mit anderen Kindern? Was Sie ethisch daran stört, kann man Kindern schon früh vermitteln. Womöglich können sie das beim ersten Mal noch nicht nachvollziehen, vielleicht aber beim zweiten oder dritten Mal. Das ist auch eine Chance, ihnen etwas Wichtiges mit auf den Weg zu geben. Fragen Sie außerdem den Dreijährigen ruhig, was ihm daran so viel Spaß macht. Oft können schon kleine Kinder klar unterscheiden, ob es echte Gewalt ist oder nur ein Spiel mit Wasserpistole. Und schauen Sie genau hin: Oft handeln die Kinder im scheinbar gewalttätigen Kampf Regeln aus, entwickeln Grenzen und schaffen einen sicheren Spielrahmen, in dem sich niemand verletzt. Man kann dem Spiel also guten Gewissens erst mal eine Chance geben.
Welches Spielzeug sollte man tatsächlich lieber nicht kaufen?
Dinge, die schön aussehen, aber keinen bis wenig
Spielzeugwert haben. Fahrzeuge, die man fast
nicht lenken kann, die unhandlich und schwer sind
und mit denen man fast nichts machen kann zum
Beispiel. Wir hatten auch mal eine Murmelbahn,
die so schlecht konstruiert war, dass in jeder ers-
ten Kurve die Kugel rausgehüpft ist. Oder eine
Spritzpistole, die fünf Zentimeter weit schießt
und sofort wieder leer ist. Solche Spielsachen
wecken eine gewisse Erwartungshaltung, die am
Ende aber nicht eingelöst wird. Das ist für alle
höchst frustrierend.
Wie viele Geschenke pro Anlass sind denn okay?
Es sind jedenfalls nicht zu viele, nur weil das Kind alle direkt hintereinander aufreißt und nichts davon richtig wahrnimmt. Das ist nur der Bescherungseffekt! Selbstbeherrschung wäre von einem kleinen Kind in diesem Fall wirklich zu viel verlangt, denn natürlich will es wissen, was in all den bunten Geschenken ist. Trotzdem empfehle ich, die großen Ereignisse zu entlasten. Was spricht denn dagegen, an Weihnachten weniger zu schenken und dafür auch mal unter dem Jahr was Großes zu kaufen? Die Kinder fallen dann vor Begeisterung oft fast um! Und man spielt ja das ganze Jahr über, nicht nur zwischen den Jahren und nach dem Geburtstag. Das entlastet auch die Eltern vom Gefühl, das Kind mit Geschenken zu überschütten.
Obwohl wir genug spannende Spielsachen haben, wollen meine Kinder
immer was Neues. Wie oft sollten wir dem
denn nachkommen?
Kindern schon früh ein verantwortungsvolles
Konsumverhalten beizubringen, ist wichtig. Man
sollte ihnen klarmachen, dass es nicht immer
etwas gibt – und es vor allem nicht das tausendste
Auto, wenn man schon 999 ganz ähnliche zu
Hause hat. Was uns Eltern bei der Entscheidung hilft, ist der
Gedanke: Wie viel neuen Spielwert hole ich mir
damit wirklich nach Hause?
Wir sind kürzlich umgezogen, das neue Zimmer ist größer – und trotzdem komplett voll. Können Kinder zu viel Zeug haben?
Das ist genau mein neues Forschungsthema! Eine meiner ersten Annahmen: Das Gefühl von „zu viel“ hat oft auch damit zu tun, dass viele Familien auf relativ wenig Raum wohnen. Was dann hilft, ist, zu überlegen: Was passt noch zum Kind – und wie ist das restliche Spielzeug verräumt? Man sollte also regelmäßig Inventur machen und Dinge, für die die Kinder schon zu groß sind, kon- sequent verkaufen, spenden oder an Freunde ver- schenken. Selbst wenn etwas aus dem Nichts heraus noch mal für zwei, drei Wochen heiß geliebt werden würde, liegt man damit in den meisten Fällen richtig. Dazu kann ein gewisses Maß an Ordnung das Problem abmildern, auch wenn Kinder und Ordnung meist ein Widerspruch in sich sind. Bei uns etwa hat ein Schubladensystem fürs Lego Wunder bewirkt, es wurde plötzlich wieder begeistert gespielt und teils sogar zurücksortiert.
Aber kann ein Zuviel an Spielzeug Kinder
nicht auch überfordern?
Dafür gibt es bislang keine eindeutigen Anhaltspunkte in der Forschung. Dagegen spricht: Es kommt ja nicht alles auf einmal nach Hause, sondern immer mal wieder was dazu. Es ist vermutlich eher so, dass die Kinder sich an die Spielsachen gewöhnen und bestimmte Dinge nicht mehr wahrnehmen, weil sie schon so lange herumstehen. So geht es uns Erwachsenen auch oft. Auch hier können die Eltern Impulse geben und Spielzeug wieder interessant machen. Dabei geht es vor allem um den Einstieg. Oft springt dann schon der Funke über. Interessant ist auch, dass Spielzeug nicht nur ein großartiger Zeitvertreib ist, sondern auch ein Bildungsgegenstand, mit dem die Kinder ihre eigene Entwicklung voranbringen können. Sie erschließen sich damit die Welt, in der sie leben. Ähnlich wie beispielsweise mit Büchern. Betrachtet man Spielzeug entsprechend, bekommt es einen ganz anderen Wert. Dann kann ein Kind kaum zu viel davon haben