Susanne Pahler

Freie Journalistin und Autorin | Texthandlung, München

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Patchwork-Beziehung: Liebe mit kleinen Hindernissen

Mit einem Mann, der Kinder hat, glücklich zu werden, ist oft kompliziert, aber nicht unmöglich - wenn man ein paar Dinge beachtet und sich selbst nicht unter Druck setzt.


Teilen lernen

Eben noch waren sie sich ganz nah. Haben das Bettzeug durchwärmt, die Kissen zerwühlt. Da knarrt eine Tür, nackte Füße laufen über den Flur, sind auf dem Weg zu Papa, weil es dort so schön kuschelig ist. „Am Anfang unserer Beziehung kam Hannes' Sohn Max jede Nacht zu uns ins Bett", erzählt Rebecca Losig*, 34.

„Ich fand das schön, weil er so süß war. Aber ein bisschen komisch fühlte es sich schon an. Er war ja nicht mein Sohn, und gerade am Anfang will man den Liebsten doch eigentlich ganz für sich."


Fingerspitzengefühl erforderlich

Den neuen Lover von Beginn an teilen zu müssen: Das ist eine Situation, die viel Fingerspitzengefühl erfordert - und mit der immer mehr Frauen konfrontiert werden. Laut „Familienreport 2010" sind 13,6 Prozent der deutschen Haushalte mit Kindern unter 18 Stieffamilienhaushalte. In der Realität sind es sogar noch mehr, denn die Paare, die unverheiratet Nachwuchs haben, tauchen in den Statistiken gar nicht auf.

Bedenkt man den Trend zur immer kürzeren Halbwertszeit von Beziehungen, steigt die Wahrscheinlichkeit, sich in einen Single-Vater zu verlieben, also ständig. Dass mögliche Probleme, die solche neuen Konstellationen mit sich bringen, in der ersten Verliebtheit zunächst eher ausgeblendet werden, ist verständlich.


Verantwortung tragen

So freute sich auch Rebecca erst mal vorbehaltlos auf ihr Leben mit Hannes und seinem Zweijährigen: „Ein Mann, der sich um sein Kind kümmert, auch wenn es nur an ein paar Tagen pro Woche ist: Das spricht für einen verantwortungsvollen Partner, der sich eine Vaterschaft zugetraut hat und mitten im Leben steht, finde ich."


Alles easy?

Die bunte Armada der stets strahlenden Promi-Teilzeit-Mamas, die nach außen hin so mühelos den Spagat zwischen neuem Freund und dessen Kindern hinbekommen, vermittelt ebenfalls den Eindruck: alles easy. Lilly Becker etwa scheint keinerlei Probleme damit zu haben, dass ihr Mann Boris seine Energie auch den beiden Söhnen aus erster Ehe widmet.

Katie Holmes musste Tom Cruise schon immer mit seinen Adoptivkindern Isabella und Connor teilen. Und Gisele Bündchen nahm kommentarlos hin, dass der kleine John erst geboren wurde, als sie schon mit dessen Vater Tom Brady zusammen war. Zumindest öffentlich.


*alle Namen geändert

Konfrontation mit der Vergangenheit
Im wahren Leben ist die Sache oft ein bisschen komplizierter - umso wichtiger, dass man sich schon zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in der Beziehung auf die anstehenden Herausforderungen einstellt. „Viele Frauen unterschätzen eine Patchwork-Beziehung", sagt die Münchner Familien- und Paartherapeutin Susanne Veit (www.syscoaching.com):

„Dabei ist diese nie unbelastet - weil man täglich mit der Vergangenheit des Partners konfrontiert ist." Ehen können zwar geschieden werden, Beziehungen auseinandergehen. Doch ein gemeinsames Kind verbindet die Eltern für alle Zeiten.


Härteprobe für die Beziehung

Ist man dagegen innerlich nicht gewappnet, kann einer neuen Liebe, die mit Schmetterlingen im Bauch beginnt, schnell die Leichtigkeit abhandenkommen. Rebecca beispielsweise merkte bald: „So einen Mann hast du nie für dich allein, selbst wenn das Kind nicht da ist. Mal muss die Betreuung organisiert werden, mal gibt es Streit zwischen den Eltern. Das beeinflusst die Partnerschaft ständig." Dann kratzen an diesem unnachahmlichen Kokon, der Frischverliebte fast sichtbar umgibt, halbwüchsige Töchter, die mitten in der Nacht abgeholt werden wollen. Oder kleine Jungs, die Terror machen, weil die neue Frau in ihren Augen eine Gefahr für die sehnlichst gewünschte Wiedervereinigung der Eltern darstellt.


Es geht auch anders

Natürlich muss nicht alles schwierig sein. Die 42-jährige Johanna Maurer lernte vor sechs Jahren ihren jetzigen Mann Wolfgang kennen. Was die Situation von vornherein einfacher machte: Er lebte schon lang getrennt, Sohn Jan war bereits zwölf und wohnte vorwiegend bei der Mutter. „Ich musste kaum auf Wolfgang verzichten. Und die Phase, in der Jan wollte, dass seine Eltern wieder zusammenkommen, war überwunden", sagt Johanna.

Das Verhältnis zwischen Jan und ihr war deshalb von Beginn an entspannt. „Er hatte liebevolle Eltern, er brauchte keine Stiefmutter. Deshalb war ich nie mehr als eine gute Freundin. Das war und ist wunderbar so."


Hürdenlauf für die „Neue"

Doch egal, wie gut es läuft: Vor ein paar Hürden stehen die neuen Partnerinnen eigentlich immer. So war selbst Johanna anfangs eifersüchtig. „Ich wollte natürlich Wolfgangs bestes Stück sein. Aber: Es gab stets noch ein zweites bestes Stück, das in Wirklichkeit das Allerwichtigste war. Blut ist eben dicker als Wasser."


Anlaufschwierigkeiten

Auch sie musste das Teilen erst lernen, erzählt sie heute: „Wenn Jan über Nacht blieb, durfte er bei Wolfgang schlafen, ich sollte in ein anderes Zimmer ausweichen. Da habe ich zunächst geschluckt. Aber das kam vielleicht einmal im Monat vor. Die beiden genossen diese Nähe sehr, also habe ich mich immer schnell wieder beruhigt."

Auch Christina Herman kämpfte mit Anfangsschwierigkeiten - und überwand sie. Vor zwei Jahren verliebte sich die 31-Jährige in Michael, der gleich die Karten auf den Tisch legte: Er sei frisch getrennt, habe zwei Kinder und wohne noch mit seiner Frau zusammen, fände aber Christina unglaublich toll.


Vorsichtig herantasten

Deren Freundinnen rieten ihr davon ab, sich weiter mit ihm einzulassen. Christina hingegen war überzeugt: Wir schaffen das, wir werden ein Paar - mit Lucia, 11, und Oskar, 6. Was ihr bei diesem Vorhaben Sicherheit gab, war Michaels Entschiedenheit und Kompromisslosigkeit: „Er hat alles aus dem Weg geräumt, was nicht gepasst hat. Das hat mir sehr imponiert." Christina selbst tastete sich bewusst vorsichtig an die neue Situation heran. Eine gute Entscheidung, wenn man weder sich selbst noch den Nachwuchs überfordern will. „Körperlich haben Michael und ich uns damals immer sehr zurückgehalten, sind zum Beispiel nicht Hand in Hand gegangen. Zu viel Geturtel hätten die Kinder gar nicht ertragen. Nicht weil sie mich als Person nicht mochten, sondern aus Loyalität ihrer Mutter gegenüber."


Wunsch vieler Trennungskinder

Denn eigentlich wollten die beiden das, was fast alle Kinder in einer solchen Lage wünschen: dass Mama und Papa wieder zusammenkommen. Und - wie viele Trennungskinder - hatten auch sie Angst, die Liebe der Eltern zu verraten, sobald sie sich mit der neuen Partnerin von Papa zu gut verstünden. Lucia etwa wollte „die Neue" anfangs überhaupt nicht sehen.

Doch Christinas behutsames Annähern lohnte sich: „Ich weiß nicht warum, aber plötzlich war ich die gute Freundin, die mit ihr shoppen ging, ihr Schmink- und Klamottentipps gab. Das freute mich immens." Mittlerweile wohnen Christina und Michael sogar zusammen. Das macht vieles leichter. Selbst wenn es da ebenfalls anfängliche Hürden zu überwinden galt.


Angst vor Zurückweisung

„Als wir Oskar sagten, dass wir zusammenziehen werden, hat er dichtgemacht. Ich dachte, ich müsste mich zurückziehen, mich fernhalten. Aber dadurch wurde alles nur noch schlimmer." Schließlich führte Christina ein Ritual ein: „Inzwischen schaue ich, wenn Michael abends mit Vorlesen fertig ist, immer nach Oskar. Für das erste Mal brauchte ich vier Tage Anlauf, weil ich so große Angst vor seiner Reaktion hatte. Er hat sich dann natürlich weggedreht, die Decke über den Kopf gezogen. Aber: Er hat mir wenigstens zugehört. Jetzt, nach ein paar Wochen, wird er offener. Ich kann ihm schon die Haare aus dem Gesicht streichen, ihm über den Rücken streicheln. Das ist schön zu erleben."


Vom Flickwerk zur Patchwork-Decke

Christina ist glücklich mit Michael und mit ihrer Teilzeit-Familie. „Ich fühle mich richtig wohl, wenn wir alle gemeinsam essen oder am Wochenende im Bett sitzen, kuscheln und erzählen", sagt sie. Und es zeigt ihr: Michael und sie haben die gleiche Vorstellung vom Leben. Sie sind auf dem besten Weg, aus dem losen Flickwerk eine gemütliche Patchwork-Decke zu machen. Ob die komplett rosarot ist? Natürlich nicht.

Wie die meisten Frauen in ihrer Situation knabbert Christina daran, dass sie so wenig Kontrolle über ihr Leben hat und immer an Michaels Ex-Frau gebunden sein wird: „Ich muss jetzt nicht nur mein Leben und meine Partnerschaft unter einen Hut bekommen, sondern auch die Wünsche und Planungen seiner Ex."


Ade Zweisamkeit

Spontane Kurztrips ans Meer? Kaum möglich. „Ich bekam Anfang des Jahres einen Plan mit den Betreuungszeiten der Kinder vorgelegt. Da Michael beruflich viel reist, ist die Zweisamkeit dadurch doppelt knapp bemessen. Unser Sommerurlaub findet deshalb dieses Jahr eben erst im November statt." Die freien Wochenenden werden dafür ganz bewusst mit schönen Dingen gefüllt. „Diese Zeit zu zweit genieße ich sehr", sagt Christina. „An ein eigenes Baby denke ich allerdings momentan nicht. Müsste ich mich zusätzlich darum kümmern, wäre mir das viel zu anstrengend." Genau das erwies sich für Rebecca, deren Leben mit Hannes und Max so vielversprechend angefangen hatte, schließlich als Knackpunkt: der Wunsch nach einem eigenen Kind. Grundsätzlich fand sie es großartig, dass ihr neuer Freund schon eines hatte und von einer großen Familie träumte.


Plötzlich Ersatz-Mama

Sie passte oft allein auf Max auf, wenn der Vater arbeitete oder abends ausging. Und sie wollte Max möglichst viel Geborgenheit geben: „Er mochte eigentlich nie weg von seiner Mama, die aber sehr auf ihren Freiraum gepocht hat. Deshalb sollte der Kleine es wenigstens bei mir so gut haben, wie es ging." Plötzlich die Ersatz-Mama zu spielen ist eine Falle, in die viele Frauen tappen: „Männer sind es oft immer noch nicht gewohnt, eigenverantwortlich für ihr Kind da zu sein", sagt Expertin Susanne Veit. „Dann ist die neue Partnerin erst mal die totale Entlastung, die ganz automatisch alle weiblichen Aufgaben übernimmt."


Wunsch nach einem eigenen Kind

Bei Rebecca blieb die Ernüchterung nicht aus: „Ich richtete mein ganzes Leben nach einem Kind, das nicht meines war. Doch das dankte mir Hannes überhaupt nicht. Stattdessen bekam ich immer häufiger zu hören: ‚Du bist nicht seine Mutter, halt dich da raus'." Auch vor der Herausforderung eines zweiten Babys scheute er sich plötzlich.

„Das hat mich total frustriert", sagt Rebecca. Trotzdem blieb sie, weil sie hoffte, dass Hannes seine Meinung ändern würde. „Ich brauchte drei Jahre, bis ich kapierte: Dieser Mann wird meinen Traum nie mit mir leben. Am schwersten fiel mir gar nicht, den Schlussstrich unter die Beziehung zu ziehen, sondern dem kleinen Max eine erneute Trennung zumuten zu müssen. Aber der Wunsch nach einem eigenen Kind war mir schließlich wichtiger."


Schwieriger Balanceakt

Nicht nur Frauen, auch Männer empfinden die Patchwork-Liebe oft als Balanceakt: „Meistens haben sie ein schlechtes Gewissen, weil sie der neuen Partnerin, und gleichzeitig den Kindern und der Ex-Frau gerecht werden wollen", sagt Familientherapeutin Susanne Veit. „Das Hin- und Herschalten ist sehr anstrengend."

Manche behandeln in ihrer Unsicherheit bei Anwesenheit der Kids die neue Liebe wie Luft und lesen den Kleinen jeden Wunsch von den Lippen ab, damit die Stimmung bloß nicht kippt. „Als Vater in so einer Situation zu sagen: ‚Du musst meine Vergangenheit eben akzeptieren', ist unfair", erklärt die Expertin.


Immer ein bisschen mehr ...

„Auch die neue Beziehung braucht ihren Raum, um lebbar zu sein. Man sollte sich deshalb schon bald klar werden, wie ein gemeinsames Leben aussehen könnte, in dem niemand zu kurz kommt." Man kann es so ausdrücken: Eine Patchwork-Liebe braucht immer ein bisschen mehr - ein bisschen mehr Einfühlungsvermögen, ein bisschen mehr Geduld. „Das ist wie ein Puzzle, dessen Teile neu zugeschnitten wurden. Da muss man sich erst mal zurechtfinden", erklärt Susanne Veit. Vor allem müssen die Partner viel und offen miteinander reden. Das ist nicht unbedingt einfach. Aber: Welche Beziehung ist schon wirklich unkompliziert?


Dos and Don'ts

Patentrezepte für Patchwork-Familien gibt es nicht. Aber es tut gut, zu wissen, was Experten empfehlen - und was nicht.


Dos:
Positiv sein

Machen Sie den Kindern Ihres Partners klar: Sie wollen niemanden verdrängen, sondern sind zusätzlich zu den liebenden Eltern da. Als Bonus sozusagen.


Geduld haben

Kinder brauchen Zeit, um sich an Neues zu gewöhnen. Gehen Sie es bei gemeinsamen Unternehmungen deshalb langsam an. Beispiel: sich samstags nur auf eine Pizza treffen und danach wieder getrennter Wege gehen.


Verständnis zeigen

Dass ein Kind skeptisch reagiert, hat nichts mit Ihnen als Person zu tun, sondern mit der Angst, den Vater an eine fremde Frau zu verlieren. Mit der Zeit lässt diese Angst nach. Warten Sie also ab.


Gemeinsame Zeitinseln schaffen

Nutzen Sie kinderfreie Phasen für schöne Unternehmungen zu zweit, etwa für Ausflüge oder romantische Dinner. Das stärkt die Liebe in der schwierigen Anfangsphase.


Cool kontern

Irgendwann fällt er womöglich, der Satz: „Du hast mir nichts zu sagen, du bist nicht meine Mutter!" Die einzig sinnvolle Antwort: „Stimmt, aber bei mir gibt es auch bestimmte Regeln."


Don`ts:
Die Beziehung geheim halten

Kinder spüren schnell, wenn etwas im Busch ist. Wer sie erst nach Monaten in die neue Liebe einweiht, riskiert, dass sie sich hintergangen fühlen.


Liebe erkaufen

Statt auf Geschenke und Verwöhntaktik lieber auf ehrliches Interesse setzen. Das wird viel eher honoriert.


Mit der fiesen Ex verhandeln

So sehr Sie auch genervt sind: Es ist die Vergangenheit Ihres Partners, er sollte für Frieden sorgen. Absolut tabu: vor den Kindern schlecht über die Mutter zu reden.


Sich unter Druck setzen

Bloß kein schlechtes Gewissen, wenn Sie mal genervt sind. Niemand erwartet, dass Sie den Nachwuchs Ihres Partners so lieben, als sei es Ihr eigener.


Susanne Pahler
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