Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Neue Landmarks für die Seestadt

Siegerentwurf Lili am See, Baufeld H1 F+P Architekten und querkraft architekten © Patricia Bagienski

Trotz einschlägiger Empfehlungen werden in Österreich weiterhin täglich 18 Fußballfelder Boden versiegelt, auch sensible Bereiche wie Seeufer, Wälder, Wiesen und Felder. Dazu kommt ein dichtes Straßennetz und hohe Dichte an Verkaufsfläche. In der Seestadt setzt man hingegen auf Verdichtung durch Hochhäuser, kurze Wege, begrünte Dachflächen sowie erneuerbare Energiequellen.

Gerade im urbanen Planungsbereich rückt das Thema Hochhaus immer wieder ins Zentrum – Freiflächengewinn, geringere Bodennutzung und bessere Energiebilanz sind nur ein paar der Gründe, die für mehr Einsatz von hohen Geschoßbauten ins Feld geführt werden. Nimmt man die nachhaltige Realisierung hinzu, scheint es wenig Gegenargumente zu geben. Empfehlungen, nicht zu hoch zu bauen, werden mit der notwendigen Tiefenverankerung begründet, außerdem sollten nicht zu viele Einheiten pro Haus geplant werden, um soziale Überschaubarkeit, Kennen der Nachbarschaft und Zusammenhalt zu gewährleisten.


Neue Seestadt-Hochhäuser

Die Seestadt Aspern als eines der größten Stadterweiterungsgebiete Europas gibt sich in vielen dieser Aspekte ambitioniert. In drei Architekturwettbewerben wurden Siegerentwürfe für drei neue Hochhaus­ Ensembles ermittelt, die bereits im Masterplan vorgesehen waren.

„Im Masterplan von 2007 für Aspern Seestadt wurden einige wenige Zonen definiert, an denen Hochhäuser errichtet werden dürfen und sollen. Sie sind Land- marks, die dem neuen Stadtteil ein Relief verleihen“, erläutert Ingrid Spörk von der Wien 3420 aspern development AG. „Das sind im Norden der Vorplatz des Bahnhofs Aspern Nord, der Schnittpunkt der Achsen am Nordufer des Sees und im Süden der Bereich der U2­Station Seestadt. Höhe bringt aber nicht nur Sichtbarkeit. Die Hochhäuser in der Seestadt sind immer Teil eines größeren Baufelds oder Ensembles und in eine Sockelbebauung eingebettet. So entstehen halböffentliche Freiräume und Platz für Grünflächen am Dach.“Bezüglich Nachhaltigkeit übernehmen die Hochhäuser laut Masterplan folgende Funktionen: „Weil sie an infrastrukturellen oder städtebaulichen Knotenpunkten positioniert sind, zahlt der Nutzungsmix der Seestadt­Hochpunkte zusätzlich in das Prinzip der ,Stadt der kurzen Wege' ein. Und das wiederum ist ein Nachhaltigkeitsbaustein - denn je eher wir zu Fuß, mit dem Rad oder eben öffentlich unsere Alltags­wege zurücklegen können, umso weniger motorisierter Verkehr fällt an."


Die Wettbewerbe zur Bebauung der Areale J6 im östlichen Teil des Seeparkquartiers sowie H5 und H1 an den Seeterrassen hatten den neuen Gebäudestandard „aspern klimafit" an der Hand. Somit sollten den Bauträgern bestmögliche Grundlagen zur Verfügung stehen, heißt es seitens des Wien­3420­Vorstands Robert Grüneis. Er sieht sich durch das Ergebnis der Wettbewerbe bestätigt. Eine Lenkungsgruppe mit Personen aus Stadtplanung, Bezirk und Vertretern des aspern Beirats begleitete die Wettbewerbe, wie im Fachkonzept Hochhäuser STEP 2025 vorgesehen. Der Beiratsvorsitzende Andreas Kleboth war Mitglied aller drei Jurys.


„Mit ihrem verpflichtenden TQB­Nachhaltigkeitsmonitoring der ÖGNB und dem umfassenden Gebäudestandard aspern klimafit sowie der laufenden Projektbegleitung durch den aspern Beirat hat die Wien 3420 mit ihren hohen Qualitätsansprüchen klare Strukturen für alle Planungen und Realisierungen in der Seestadt geschaffen", sagt Kleboth und betont die gute Umsetzung durch Stadtplanung und Auslober.


Seestadtkrokodil

Bauträger auf Baufeld J6 ist ARE. Aus den insgesamt 20 Einreichungen des EU­weiten, zweistufigen Realisierungswettbewerbs wurde das Projekt von Klammer * Zeleny Architekten mit Lindle Bukor, Ingenieurbüro für Landschaftsarchitektur gekürt. Es trägt den poetischen Namen „Seestadtkrokodil", weil die Fassade schuppenartig strukturiert ist und einen grünlichen Schimmer aufweist. Zudem soll das Krokodil begrünt werden, ein weiterer Pluspunkt für Mikroklima und Optik. Bauweise, Begrünung, Regenwassermanagement und annähernd klimaneutrale Energieversorgung mit Photovoltaikanlagen sowie Erdwärmenutzung sind vom Nachhaltigkeitskonzept geleitet.


„Nachhaltigkeit ist für Hochhäuser ein ganz wesentliches Thema. Wir haben über 3000 Quadratmeter Photovoltaikflächen alleine am Hochhaus vorgesehen! Die schuppenartige Form unserer Fassade hat den Vorteil, die PV­Module ideal nach der Sonne auszurichten. Diese PV­Elemente werden Richtung Sonne geneigt, die Glas­ elemente sind tendenziell der Sonne abgewandt", kommentiert das Architektenteam.


Der Gebäudeentwurf mit insgesamt ca. 42.000 Quadratmetern Bruttogeschoßfläche sieht einen Büroturm in Holz­Hybrid­ Bauweise vor, zudem einen Wohnblock und eine Hochgarage. Das Projekt verbindet 1000 Arbeitsplätze, Büroflächen auf ca. 30.000 Quadratmeter, also Raum für ca. 1000 Arbeitsplätze, ca. 100 Wohnungen und besagte Garage. Im Erdgeschoß sollen Impulszonen für Lebendigkeit sorgen und im begrünten Innenhof befindet sich ein Kinderspielplatz.


PIER 05

Zum Baufeld H5 mit dem Namen PIER 05 fand ein nicht offener Wettbewerb statt, ausgelobt von Moser Wohnbau und STC Development. Sieger wurde das Projekt vom Team der Architekturbüros Zechner & Zechner und Studio VlayStreeruwitz mit DnD Landschaftsplanung. Ein 80 Meter hoher Wohnturm mit umlaufenden Balkonen vereint eine streng kubische Form in der Sockelzone mit einer weicheren geschwungenen Fassade des Turms. In der Sockelzone im Erdgeschoß sind Gastronomieflächen mit Schanigärten vorgesehen. „Durch die vorgesehene Nutzung der Sockelzone und der attraktiven Freiraumgestaltung wird hier ein neues, lebendiges und urbanes Stück Stadt direkt am See geschaffen", heißt es seitens der Architekten.


Zum Thema Nachhaltigkeit führen sie aus: „Nachverdichtung ist ein Schlagwort un­serer Zeit. Wir sehen höhere Dichten als Möglichkeit, die Bodenversiegelung zu reduzieren und qualitativ hochwertigen öffentlichen Verkehr leistbar zu machen. Die Planung von Hochhäusern muss aber immer mit der Schaffung einer besonderen Qualität des urbanen Umfeldes einhergehen. Die Voraussetzungen dafür sind in der Seestadt Aspern gegeben. Außerdem müssen Hochhäuser selbst einen Mehrwert für ihre Bewohner liefern. Unsere Planung für PIER 05 bietet u. a. einen Pool und eine begrünte Dachterrasse im 25. Geschoß, Gemeinschaftseinrichtungen, die allen Bewohnern zur Verfügung stehen und zum Chillen einladen. Angesichts des hohen Anteils des Bauwesens am Ressourcenverbrauch, am Energieverbrauch und bei den Emissionen ist die Errichtung von nachhaltigen Hochhäusern ein Muss. Schwachstellen bestehender Hochhäuser sollen durch den hohen Einsatz von Recyclingmaterial vermieden werden, ein hoher Anteil der Primärenergieversorgung wird über Photovoltaik, Grundwasser und Erdwärmesonden erzielt."


Lili am See

Für das dritte Areal, Baufeld H1, konnten sich die Architekturbüros F+P Architekten und querkraft architekten gemeinsam mit YEWO Landscapes als Sieger des nicht offenen Wettbewerbs qualifizieren, der von Soulier Real Estate ausgelobt war. Das Projekt mit dem Namen „Lili am See" umfasst drei Hochpunkte, ein Zwillingsgebäude und ein Hochhaus, das auf einem begrünten Sockel aufsetzt. Eine 120 Meter lange Arkade am Wasser ist als Flaniermeile mit Cafés, Restaurants und Geschäften kon­zipiert. In den oberen Stockwerken sind Büros, Gemeinschaftsflächen, mindestens 372 Wohnungen mit privaten Freiräumen in Form durchlaufender Balkonzonen sowie Gästewohnungen, Fitness­ und Spa­Berei- chen, auch hier sind eine Pool­Area sowie Spielbereiche für Kinder integriert.


Zu Planung und Konzept erläutern Architekt Elmar Danner, F+P Architekten, und Carmen Hottinger, querkraft architekten: „Die Situation von Hochhäusern ist besonders sensibel zu betrachten, da diese nicht nur den Nutzern einen spektakulären Ausblick bieten, sondern auch ihrer übergeordneten Rolle als Merkpunkt im Stadtgefüge Rechnung tragen müssen. Die Höhenstaffelung der drei Türme reiht sich fließend in den übergeordneten Städtebau ein und schafft eine kontinuierlich ansteigende Silhouette. Bei der Situierung des Towers haben wir auf eine Clusterung des Hochhausensembles der nördlichen See- stadt geachtet, unter Aufnahme von wich­tigen städtebaulichen Sichtachsen. Zusätz­liche Vorteile der gewählten Situierung liegen in der Reduzierung der Verschattung der Nachbarschaft, aber auch von Schatten am zentralen ,Platz der Kulturen' in Bezug auf Aufenthaltsqualität in den heißen Sommermonaten."


Bezüglich der Anforderung an urbane Planungsqualität, Nachhaltigkeit und soziale Aspekte bekräftigen sie die Vorteile der Hochhäuser: „Das vertikale Stadtquartier reduziert die Versiegelung bei hoher Nutzungsdichte. Dies stellt einen Mehrwert für die Nutzer dar, da in der Erdgeschoßzone auch Geschäfte und Gastronomie die öffentlichen Flächen beleben werden. Der öffentliche Raum entlang der Arkade und der Sabine­Oberhauser­Straße wird durch einen belebten Stadtsockel gestärkt. Freiraumflächen und die Fassadenbegrünung schaffen Mehrwert für alle Nutzer."

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