Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Bibliothek Augsburg recycelt

Rendering des Projekts © Max Dudler

Im Sommer 2016 lobte der Freistaat Bayern einen Architekturwettbewerb für Neubau und Sanierung der Stadtbibliothek Augsburg aus. Anpassungen des öffentlichen Gebäudes in puncto Barrierefreiheit, energetischer Sanierung sowie Denkmal- und Brandschutz waren Teil der Aufgabenstellung.

Die Bibliothek Augsburg gehört zu den ältesten in Deutschland. Bereits im 15. Jahrhundert wurde das erste Gebäude im Annahof von Bernhard Zwitzel errichtet, dessen Sammlung dem Studium der freien Künste und der Nutzung durch Gelehrte offenstand. Zum Altbestand zählen zahlreiche Bände mit Erscheinungsjahr vor 1800, außerdem Handschriften, Inkunabeln und grafische Blätter.

Im 19. Jahrhundert wurde ein weiteres Bibliotheksgebäude beauftragt, das von Fritz Steinhäußer und Martin Dülfer im Stil des neubarocken Historismus mit Anklängen an den Orangerietypus ausgeführt wurde. Dieses Gebäude musste saniert werden und sollte zudem einen Erweiterungsbau erhalten. Hierfür wird die alte Stadtbücherei an der Gutenberg­straße rückgebaut, denn auf ihrem Platz wird der Erweiterungsbau stehen.


Neubau, Sanierung & Solitärbau

Zur Aufgabenstellung des Wettbewerbs gehörte außer Neubau und Sanierung auch die Gestaltung der Frei­anlagenplanung des Solitärbaus, der aus städtebaulichen und brandschutztechnischen Überlegungen in einer Parkanlage geplant war. Außerdem verlangt war die Integration in das angrenzende Kulturquartier, denn unweit der Bibliothek befindet sich auch das 1876 bis 1877 von den Wiener Architekten Fellner und Helmer erbaute Staatstheater, das nach den Kriegszerstörungen im Stil der 1950er-Jahre wieder aufgebaut worden war.

Es wird gerade vom Münchner ­Architekturbüro Achatz generalsaniert und ganz in der Nähe wird die Alte Hauptpost durch ­Knoche Architekten Leipzig ins Leopold-­Mozart-Zentrum der Universität Augsburg umgewandelt.


Der Wettbewerb

Der nicht offene Realisierungswettbewerb fand mit einem vorgeschalteten EWR-offenen Bewerbungsverfahren zur Auswahl von 25 Teilnehmern statt. Bei dieser Wettbewerbsform ist die Teilnehmerzahl durch den Auslober begrenzt. Potenzielle Teilnehmer werden nach der Bewerbung durch ein in der Ausschreibung definiertes Verfahren ausgewählt. Das Bauvolumen umfasst 12.800 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche, das Raumprogramm für Bestand und Erweiterung ca. 4700 Quadratmeter Nutzfläche, davon ca. 2000 Quadratmeter Bestand. Die Baumaßnahmen sollten bei laufendem (Teil)-Betrieb realisierbar sein. Die Gesamtbaukosten wurden bei Ausschreibung auf 24 Millionen Euro geschätzt. Referenzprojekte der Teilnehmenden sowie Erfahrungen im Bereich Bauen im Bestand waren wichtige Kriterien bei der Auswahl.

Das Architekturbüro Max Dudler wurde mit einstimmiger Entscheidung zum ­Gewinner des Wettbewerbs gekürt. Den zweiten Preis erhielten Klein & Sänger ­Architekten und Friedrich Poerschke Zwink Architekten mit den Landschaftsarchitekten von bauchplan ).(, alle aus München.


Gespiegelte Kubatur

Anerkennungs­preise erhielten Gerber Architekten, Dortmund, mit den Landschaftsarchitekten François J. Lallemand und Anke Hunrath, außerdem Glass Kramer Löbbert, Berlin, mit H+P Objektplanung Süd und Knerer und Lang ­Architekten, München, mit HinnenthalSchaar Landschaftsarchitekten.

Das Architekturüro Max Dudler hat umfassende Erfahrung mit Universitäts- und Stadtbibliotheken. Der Entwurf für Augsburg geht auf die Gestaltmerkmale des ­Altbaus ein und stellt diesem ein elegantes neues Gebäude gegenüber. „Die Symmetrie der neobarocken Baufigur wird dabei gewissermaßen durch eine gespiegelte Kubatur verdoppelt“, heißt es seitens der Architekten, „wobei das repräsentative Treppenhaus des Altbaus – nun den Mittelpunkt der neuen Bibliothek ausbildend – als verbindendes Element zwischen Alt und Neu fungiert.“ Der frühere Eingang bleibt bestehen, wird aber durch einen weiteren, im Neubau gegenüber, ergänzt. Im Neubau werden ein doppelgeschoßiger Lesesaal sowie weitere Seminar- und Veranstaltungsräume integriert, mit Blick auf die alten Magazinfenster und  grüne Innenhöfe.



Rückbau und Recycling

Für das Projekt Rückbau des Nachkriegs­gebäudes haben sich das Staatliche Bauamt Augsburg, die Hochschule Augsburg und Concular zusammengetan, ein multidisziplinäres Büro für zirkuläres Bauen und Softwareentwicklung, das sich die Transformation des Gebäudesektors im Sinne der Circular Economy zum Ziel gesetzt hat. Das Team arbeitet seit 2020 an der Entwicklung zirkulärer Materialströme auf Gebäudeebene und hat sich als Marktführer für zirkuläre Immobilien etabliert, die ökologische und ökonomische Vorteile für alle Beteiligten bietet.

Im Team finden sich Architekten, Softwareentwickler, Ingenieure, Visionäre, Berater, Macher und Thought Leader, wie es auf der Homepage heißt. Kern der Unternehmensphilosophie von Concular ist das Wissen über Wiederverwendung und Sortierung von Materialien. Werterhalt geschichts­trächtiger Materialien ist ebenso wichtig wie Wiederverwendbarkeit.


Architektur im Kreislauf

Über das Projekt ist von der Hochschule Augsburg die Publikation „Architektur. Im Kreis." erstellt worden, in der Schritt für Schritt nachvollziehbar wird, wie dieser Ansatz machbar ist. „Uns ist es gelungen, einen innovativ nachhaltigen Weg aufzuzeigen, wie es möglich wird, Architektur im Kreislauf zu planen und zu bauen", erklärt Prof. Mikala Holme Samsøe von der Fakultät für Architektur und Bauwesen.

Zunächst führte man das Circularity Assessment durch: Dabei wird das Inventar mittels Materialpässen digitalisiert. Alle Bauelemente werden begutachtet, erfasst und katalogisiert, von Kacheln bis Fenster, Schaukästen, Zäune oder Türen. Ein großer Anteil der Materialien konnte weitervermittelt werden, knapp 80 Prozent, wie Kathrin Fändrich, Baudirektorin des Staatlichen Bauamts Augsburg, mitteilt. Gekauft wurde hauptsächlich von Privatleuten, aber auch von Architektur­büros, Wohnungsunternehmen und Genossenschaften.


Urban Mining

Gerade im Bereich des Bauwesens sind Unmengen an Material gebunden, das sich im Sinne des Urban Mining wieder einsetzen lässt. Durch die Bauwende lassen sich aktiv Emissionen und Abfall einsparen, zudem wird es durch langfristiges Denken möglich, Ressourcen von heute für Generationen von morgen verfügbar zu erhalten. Für den Neu- bzw. Rückbau der Augsburger Bibliothek folgte man also der Erkenntnis des Urban Mining, dass Infrastrukturen, Gebäude und langlebige Güter potenzielle Quellen für Sekundärrohstoffe sind. „Kreislaufführung von Stoffströmen leistet einen wichtigen Beitrag zur Schonung natürlicher Ressourcen. Eine ambitionierte Kreislaufwirtschaft berücksichtigt alle Materialflüsse entlang der Wertschöpfungskette von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Abfallbewirtschaftung", heißt es auf der Seite des Umweltbundesamtes in Deutschland.

Hier, wie in anderen Pilotprojekten zur Kreislaufwirtschaft im Bereich Bau, wurde gezeigt, dass sich der Lebenszyklus von Gebäuden und Materialien deutlich verlängern lässt. Das hat nicht nur ökolo­gische, sondern auch ökonomische ­Aus­wirkungen. So wurden außerdem ­Deponiekosten in Höhe von 500.000 Euro eingespart. Es sind zudem neue Regelungen zu erwarten, die Bauen weiter verteuern, sagt der Jurist Holger Seit vom Landesverband Bayerischer Bauinnungen. Noch zögern viele Kommunen, Recyclingmaterialien im Neubau einzusetzen. Es findet aber ein Umdenken statt, bei dem klar wird, dass alte Baumaterialien Rohstoffe sind.

Dominik Campanella, einer der Gründer von Concular, formuliert die Mission so: „Unser Ziel ist es, alle Akteure der Baubranche durch den Einsatz digitaler Tools und von Software dabei zu unterstützen, Materialien und Produkte so oft wie möglich wiederzuverwenden, gemäß der Devise: take - make - reuse, anstatt immer wieder neues Material zu beschaffen." Zudem hört man wie bei vielen Produkten der Konsumgesellschaft immer öfter die Forderung, dass sich die ökologischen Folgekosten in den Preisen widerspiegeln müssen.




Max Dudler

Max Dudler (73) ist ein Schweizer Architekt. In seinem internationalen Architekturbüro mit Hauptsitzen in Berlin und ­Zürich sowie Büros in Frankfurt am Main und München arbeiten rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 19 Ländern daran, lebenswerte Architektur zu schaffen, die durch ihre zeitlose Gestaltung und hochwertige Materialität den großen Veränderungen der heutigen Welt dauerhaft gerecht wird. 

Dudler hat mehrfach Gastprofessuren angenommen, beispielsweise an der Architekturfakultät der Universität IUAV Venedig 1989/1990. Er war Dozent an den Sommerakademien für Architektur in Herne (1989), in Mantua (1990), in Neapel (1993 bis 1995) und in Wien (1996). Von 2004 bis 2017 lehrte er, zusammen mit Axel Schultes und Laurids Ortner, an der Kunstakademie Düsseldorf.

Max Dudler
Berlin/Frankfurt/München/Zürich
gegründet 1986
maxdudler.de

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