Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Artikel

Aus Sand gebaut

Die Internationalisierung der Baustile fördert die Errichtung ähnlicher Gebäude, unabhängig von klimatischen Bedingungen (Bild: The Shard London, mit 310 Metern höchster Wolkenkratzer Europas).

Architektur verändert sich. Alleine die Umweltproblematik stellt sie vor nie dagewesene Herausforderungen und zwingt zum Umdenken. In Zeiten des Klimawandels gewinnt die Frage an Gewicht, wie nachhaltig das Bauen und seine Materialien sind – in der Produktion wie im Nachleben.


Der weltweit anhaltende Bauboom fordert große Mengen von Material. Allein die Nachfrage nach Glas und Stahl für Turmbauten. Es stellen sich daher Fragen nach Umweltverträglichkeit: Rohstoffverbrauch und Energieaufwand bei Herstellung, Recyclingfähigkeit, Produktion und Transport sind in diese Berechnungen einzubeziehen. Es mag überraschen, dass es bei manchen natürlichen Ressourcen, bei denen man es nicht vermuten würde, bereits zu Engpässen kommt. Dazu gehört Sand, ein wesentlicher Rohstoff für das gesamte Baugewerbe, für Glas- und Betonproduktion. Er gehört mittlerweile zu den schwindenden Rohstoffen. Pro Jahr sollen an die 15 Milliarden Tonnen Sand weltweit abgebaut werden. Zur Verknappung trägt weiterhin bei, dass sich nicht jeder Sand für den Bau eignet. Er muss grobkörnig sein. Der in Überfluss vorhandene Wüstensand ist zu feingeschliffen und mit seiner runden Körnung nicht verwendbar, weswegen für den Bau des Burj Khalifa in Dubai Sand aus Australien herangeschafft wurde. 

Lob des Glases
Glas gehört als wesentliches Element vor allem zur zeitgenössischen Architektur. Wer auf sich hält, leistet sich große Glasfassaden, zimmerhohe Fenster und durchsichtige Dächer. In vielen Fällen soll Glas, als minimale Membran, die Gebäudehülle entmaterialisieren. Idealerweise sind Sonneneinstrahlung optimiert und Innentemperaturen reguliert. Zahlreiche Planungen erzielen dabei unterschiedliche Ergebnisse. So etwa fordert starke Erwärmung der Innenräume häufig, diese wieder abzukühlen, was den Gewinn durch mehr Tageslichtqualität wieder infrage stellt. Die mittlerweile langjährige Erfahrung, Materialentwicklung und Beschattung ermöglichen es, die Überhitzung von Glasfronten einzudämmen. In puncto Energieeffizienz gibt es bei gläsernen Gebäudehüllen verbesserte Ergebnisse, erläutert der australische Architekt und Architekturwissenschaftler Steve King. Seit Jahren befasst er sich mit Umweltmanagement von Gebäuden und berät in Fragen zu Solartechnik und natürlicher Ventilation. Er kommt zum Schluss, dass durch Hightechmischungen Wärmedämmwerte verbessert werden konnten, und wo mehrfach isolierte Fenster eingesetzt werden, erreichen sie einen gegenüber früher deutlich besseren Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Wert). Auch Recyclingfähigkeit ist bei Glaswandaufbauten prinzipiell gegeben, sie sind leicht zerlegbar, wieder einsetzbar oder einschmelzbar und somit neuer Rohstoff. Zudem ist eine Glasverkleidung eine gute Grundlage für die aufkommende Dünnschicht-Photovoltaik, die dazu beitragen kann, ein Gebäude zu elangt David Coley, Professor für Low Carbon Design in Bath. Ein Kritikpunkt von mehreren: Die Internationalisierung der Baustile fördert die Errichtung ähnlicher Gebäude, unabhängig von ihrer klimatischen Umgebung. Sie propagiert Gebäude aus Stahl und Glas. In den Wolkenkratzern in Dubai und Las Vegas ist höchst aufwendige Klimatisierung notwendig. Sie sehen nicht anders aus als solche in London oder Boston, obwohl sie de facto im Wüstengebiet stehen. Es gelte, an einer Architektur zu arbeiten, die mit den Klimaherausforderungen Schritt hält, empfiehlt Coley. Dazu müsse man Anleihen an Architekturen anderer Kulturen und anderer Zeiten nehmen. Denn es wird ößer erscheinen und höhere Miet- und Verkaufspreise erzielen. Mittlerweile gibt es mehr und mehr Kritik, etwa energetische Ineffizienz. Architekten klagen, dass die Glashochhäuser langweilig geworden sind – trotz spektakulärer Ausblicke über die Stadt. Urbane, kosmopolitische Atmosphäre entsteht in Städten mit großer Vielfalt – auch architektonisch. Erfolgreiche Städte müssen aus unterschiedlichen Materialien und Baustilen bestehen. Angesichts der Klimakrise und der schwindenden Rohstoffe wie Sand – für Zement und Glas – erscheint der anhaltende Bauboom von Highrises aus eben diesen Materialien eher als irrational. Wenn ein Vorrat erschöpft ist, ist nichts mehr zu holen – das ist bei einem aufgegessenen Kuchen nicht anders als bei Ressourcen für Baustoffe.

Umweltfreundlicher Stahl?
Stahl besteht aus Eisenerz, zumeist im Tagebau gewonnen. Durch das Aufbrechen von Gestein entsteht Erosion, schädliche und radioaktive Stoffe gelangen in die Atmosphäre, Biodiversität wird zerstört. Stahlfertigung stößt hohe Mengen an Kohlendioxid aus, trotz Fortschritten in der Fertigungstechnologie, die den Energiebedarf zur Herstellung reduziert haben. Mit Importkosten der Rohmaterialien und anschließender energieintensiver Verarbeitung kommt der CO2 -Gehalt in etwa dem gleich, der für Betonherstellung anfällt. Wenn er bereits produziert ist, spricht im Vergleich der hohe Prozentanteil von Recyclingfähigkeit für das Material. Das Verschmelzen benötigt dreimal weniger Energie als die Herstellung von neuem Stahl. Nachhaltigkeit kommt also erst im zweiten Leben hinzu. Wie Glas bestimmt Stahl die Charakteristik zeitgenössischer Architektur und gilt als extrem funktionaler, gleichzeitig ästhetisch einsetzbarer, urbaner Werkstoff. Für die Dimensionen moderner Turmbauten ist er unverzichtbar.

Höher, weiter, teurer
Ein hoher Turm schafft immer noch hohes Ansehen. Wer auf sich hält und auch bezahlen kann, baut einen höheren und spektakuläreren Turm als bisher dagewesen. Ein neuer Höhenrekord soll mit dem Jeddah Tower in Dschidda, SaudiArabien, erstellt werden – ein Gebäude, das über einen Kilometer in die Luft ragt. Vielleicht erstmals ein echter Wolkenkratzer im Wortsinn. Er wird ein Hotspot der Aufmerksamkeit, Wahrzeichen überragender Ingenieursleistungen. Man denke nur allein an die statischen Berechnungen, wie eine solche Konstruktion den Seitenwinden standhalten kann, dem traditionellen Feind des Wolkenkratzers. Das Chicagoer Architekturbüro Adrian Smith + Gordon Gill zeichnet verantwortlich für den Jeddah Tower. Basierend auf einer Y-Form entfalten.

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