Susanne Karr

freie Kulturredakteurin, Wien/München

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Erst der Wettbewerb, dann die Finanzierung

Siegerentwurf für Gunoldstraße Nord: Multifunktionale Bebauung (Architekturbüro Riegler/Riewe Graz/Berlin) © RIEGLER RIEWE

Ein stadtnahes Gebiet im Westen Wiens soll urbanisiert werden – aber wann? Bisher wird es durch Gewerbe genutzt, teils stehen Gebäude wie das Kurier-Hochhaus leer. Nach aufwendigen Prozessen wie kooperativen Planungsverfahren, Wettbewerben und Gutachterverfahren herrscht hier derzeit Stillstand, weil Einigungen fehlen. 

Im 19. Bezirk, im Westen der Stadt, findet sich eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Wiens, das zu einem neuen, lebendigen Stadtviertel werden soll. Derzeit besteht hier noch eine Mischung aus aktiven und brachliegenden Betrieben, neue Gebäude sind hinzugekommen, neue Aktivitäten sind eingezogen. Ein großer Gesamtplan für die Neukonzeptionierung allerdings fehlte bisher. Um dem entgegenzusteuern, erstellte die MA 21 einen städtebaulichen Rahmenplan für das Stadtquartier, der im April 2014 von der Stadt­ entwicklungskommission (STEK) zur Kenntnis genom­ men wurde.


Dieser Plan soll eine hochwertige Entwicklung des stadtnahen Gebiets gewährleisten – es sind von hier aus nur fünf Kilometer in die Innenstadt. Außerdem zeichnet sich die Lage durch ihre Nähe zur Donau und die Nähe zum Wienerwald aus. Die Location ist also durchaus als sehr gut zu bezeichnen, was durch den Stadtentwicklungsplan unterstrichen werden soll.


Die Gestaltung sieht vor, in diesem Gebiet einen ge­ mischt genutzten, urban geprägten, lebendigen Stadt­ teil entstehen zu lassen. Potenzielle Hochhausstand­ orte im Bereich der Gunoldstraße sind vorgesehen. Besonderer Fokus liegt auf Freiraum­ und Aufenthalts­ qualität. Öffentlicher Raum und Bezüge zur Umgebung gehören zu den Hauptansprüchen, ebenso die Errich­tung von Rad­ und Fußwegen und ein Zugang zur U­Bahn­Station U4 Heiligenstadt. Vorgesehen ist eine Immobiliennutzung, die Gewerbe und bis zu 50 Pro­zent Wohnnutzung vereint, wobei ein Großteil als geförderte Wohnungen geplant ist.


Prozess stockt

Momentan scheint der Prozess ins Stocken geraten zu sein. Alexandra Rupp­-Ebenspanger von der Magist­ratsabteilung 21, Leiterin der Stabsstelle fürBürgerbeteiligung und Kommunikation, erklärt: „Es besteht großes Interesse an einer zügigen Umsetzung der Ziele für das Stadtquartier Muthgasse. Derzeit sind einige interessante Projekte in Vorbereitung. Sobald konkrete Lösungen mit den Grundeigentümern, die sich für die qualitätsvolle Entwicklung des Stadtquar­tiers Muthgasse engagieren, erarbeitet sind, wird darü­ber informiert werden.“

Mehr ist diesbezüglich nicht in Erfahrung zu bringen. Das zur städtebaulichen Entwicklung ausgeschriebene Areal teilt sich in Gunoldstraße Nord und Gunoldstra­ße Süd. Auf der Grundlage des erarbeiteten Rahmen­ plans wurde beschlossen, die Teilbereiche in einem kooperativen Planungsverfahren zu konkretisieren. Mit den Ergebnissen dieses Verfahrens startete man weite­ re Schritte: für das Areal Gunoldstraße Nord wurde ein Gutachterverfahren ausgelobt, für das Areal Gunold­straße Süd ein zweistufiger Realisierungswettbewerb durch die Grundeigentümer.


Ein Schuss Poesie

Dem Planungsverfahren vorgeschaltet gab es ein Aus­ wahlverfahren. Man startete mit mehreren Kolloquien, Screenings und anschließenden Hearings der ausge­ wählten Teilnehmer. Dann wurde pro Team anonym ein dreiseitiger Entwurf eingereicht. Von diesen Projekten wurden mehrere eingeladen, die Ideen vorzustellen, ab diesem Zeitpunkt wurde die Anonymität aufgeho­ ben. Die beiden Architektenkooperationen Kleboth Lindinger Dollnig, Linz, mit Monsberger Gartenarchi­ tektur, Graz, einerseits und Zechner & Zechner, Wien, mit 3:0 Landschaftsarchitektur, Wien, andererseits wur­ den mit ihren Grundlagen und ihren Ideenskizzen ausgewählt.

Von einer Freiraumabfolge mit grünem Rückgrat und einem urbanen Boulevard ist bei der Planung aus Wien die Rede, die Muthgasse soll zur Promenade wer­ den. Der Linzer/Grazer Entwurf möchte dem Pragmatis­ mus der existierenden Hoch­ und Verkehrsbauten „ei­ nen Schuss Poesie“ entgegensetzen und plant „hängende Gärten und Brücken, erhabene Bäume und vielfältige Wege mit traumhaften Aussichten.“


In einem nächsten Schritt entwickelten die beiden Büros in Kolloquien ihre Ideen weiter. Städtebauliche Lösungen wurden mit MA 21, MA 28, Grün + Freiraum u. a. weiterkonzipiert und die einzelnen Vorschläge zu­ sammengeführt. Daraus entstand dann die Grundlage für das kooperative Planungsverfahren, organisiert von der Agentur raum + kommunikation, die im Vorfeld das Verfahren mit Vertretern der Liegenschaftseigentümer entworfen und Gespräche mit der MA 21 begleitet hat­ te. Die am Verfahrensort zuständige Kammer der Archi­ tekten und Ingenieurkonsulenten war in die Durch­ führung eingebunden. Das Ergebnis ist Vorstufe der Gebietsentwicklung: Es besagt, welche Hochpunkte es geben soll, wie der Sockel aussehen soll; verlangt wer­ den hohe Aufenthalts­ und Freiraumqualität, eine Grün­ verbindung zu den Bahntrassen und ein Steg zur U­Bahn­Station Heiligenstadt.


Gunoldstraße Nord könnte umgesetzt werden

Das Gutachterverfahren für den Bereich Gunoldstraße Nord im Jahr 2016 lief unter dem Titel „Multifunktio­ nale Bebauung Muthgasse“. Gewinner dieses Verfah­ rens ist das Architekturbüro Riegler­Riewe (Graz/Ber­ lin). Geplant sind ein multifunktionaler, barrierefreier Bildungscampus mit Forschungs­, Labor­ und Büro­ einheiten, ein Gebäude für temporäres Wohnen, eine Turnhalle mit Sportaußenanlagen, ein Kindergarten und eine Bibliothek. Ein fußläufiger Zugang soll an die U­Bahn­Station Heiligenstadt anschließen.

Bezugnehmend auf die Lage zwischen Straße, BO­ KU und Bahnhof sieht der Plan eine in alle Richtungen durchlässige, versetzte Anordnung von quader­ und hakenförmigen Gebäuden vor. Er berücksichtigt die besonderen Windverhältnisse und avisiert windge­ schützte Freiflächen. Hauptzugänge zu den Gebäuden werden sich auf unterschiedlichen Niveaus befinden, der Geländeniveauunterschied führt zu einerzweigeschoßigen Foyerplanung und offenen Ver­glasungen der Eingangsbereiche.

Eineinhalb Jahre nach dem Verfahren, im Dezember 2017, beschloss der Gemeinderat den Flächenwid­mungs­- und Bebauungsplan für dieses Areal, der nun jederzeit durch die Grundeigentümer in konkrete Projekte umgesetzt werden könnte, wie es seitens der MA 21 heißt. Die geplante Reihenfolge sieht nach Planungsverfahren und Wettbewerb den Widmungs­prozess vor.

Derzeit geht es aber nichts voran. Möglicherweise weil das gesamte Grundstück sechs verschiedenen Lie­genschaftseigentümern gehört. Diese müssen sich zu­sammentun, um den Widmungsprozess durchzuführen und anschließend die Bebauung zu realisieren. Zu klären sind etwa Fragen der Belichtung, denn es sind Gebäudehöhen von achtzig und sechzig Metern vor­ gesehen. Auch die Idee einer einheitlichen Sockelzone muss durchdacht werden.


Keine konkreten Aussagen

Für das Areal Gunoldstraße Süd wurde 2016/17 von den Grundeigentümern ein Architekturwettbewerb unter dem Titel „Wohnen und Arbeiten in Wien - ­Heili­genstadt“ abgehalten. Zur Bearbeitung des nichtoffenen Realisierungswettbewerbs waren insgesamt zwölf Architekten, bzw. Gruppen oder Arbeitsgemein­ schaften aus solchen aufgefordert. Der Wettbewerb lief in zwei Stufen, mit vorgeschaltetem offenem Be­ werbungsverfahren nach Wettbewerbsstandard Archi­ tektur (WSA 2010), ab. Fünf Büros wurden im Voraus von den Auslobern zur Teilnahme aufgefordert, sieben weitere ermittelte man in einem international offenen Bewerbungsverfahren – wobei als Wettbewerbsspra­ che Deutsch angegeben war. Teilnehmende Architek­ turbüros stammten dementsprechend aus Österreich, Schweiz, Deutschland und den Niederlanden.

Das Verfahren lief in der ersten Stufe anonym, für die zweite Stufe wurde die Anonymität aufgehoben, um einen Dialog zwischen Preisgericht und Teilneh­ mern im Rahmen einer Zwischenpräsentation zu ermöglichen.
Für jedes der vier Baufelder wurde ein Siegerprojekt ermittelt. Es gibt bisher noch keine Verlautbarung über die Gewinner und noch keinen akkordierten Plan. Rupp­Ebenspanger, MA 21, stellt hierzu fest: „Derzeit liegt der Ball bei den Grundeigentümern, sich zu eini­ gen. Sobald diese Einigung vorliegt und die städte­ bauliche Feinabstimmung der Siegerprojekte erfolgt ist, können die nächsten Schritte zur Umsetzung des Projekts eingeleitet werden.“

Im Moment gibt es keine konkreteren Aussagen zum weiteren geplanten Ablauf.

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