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Gewalt gegen Frauen: Ein Femizid ist immer auch ein Mord

Im Begriff Femizid ist das Merkmal der Frauenverachtung schon enthalten. Deshalb gilt: Nicht jede Tötung einer Frau ist ein Femizid, aber jeder Femizid ist ein Mord. © Gordon Spooner/​plainpicture

Die fordert, alle Femizide als Mord zu bestrafen. Das verkenne jedoch die "Vielfalt der Fälle, in denen Menschen ihre Partner oder Ex-Partner töten", schreibt der Richter und Professor für Strafrecht Tonio Walter in einem Gastbeitrag für ZEIT ONLINE. Nur: So vielfältig sind die Fälle gar nicht. Statistisch sind es Männer, die ihre Partnerinnen umbringen, nämlich zu 90 Prozent, wie die aktuelle Kriminalstatistik zur Partnerschaftsgewalt belegt.

Dass Walter diese Tatsache mit keinem Wort erwähnt, zeigt ein tief sitzendes Problem in unserem Rechtssystem auf, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht: Patriarchale Denkmuster verstellen den Blick auf die Fakten. Das zeigt sich bereits in dem Missverständnis, dem der Autor erliegt, was überhaupt als Femizid zu verstehen ist. Für ihn scheinen das automatisch alle Tötungen von Frauen durch ihre (Ex-)Partner zu sein.

Bringt aber ein Mann seine Frau um, weil er ihr Vermögen erben will, hat das erst einmal nichts mit ihrem Frausein zu tun. Ihr Geschlecht ist nicht der Grund für die Tötung, sondern Habgier. Findet der Partner hingegen, dass sie als Frau kein Vermögen verdient, ist das ein anderer Fall. Dann ist er nicht bloß habgierig, sondern bestraft seine Frau dafür, dass sie über etwas verfügt, das ihr in seinen Augen nicht zusteht. Er hält sie für weniger wert, weil sie eine Frau ist. Das ist ein niederer Beweggrund, ihre Tötung damit ein Mord und es ist auch ein Femizid.

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Denn im Begriff Femizid ist das Merkmal der Frauenverachtung schon enthalten. Sonst bräuchte man ihn nicht. Deshalb ist nicht jede Tötung einer Frau ein Femizid, aber jeder Femizid ein Mord.

Viele in der Justiz sehen die Frauenverachtung der Täter nicht

Gerichte müssten immer den Einzelfall prüfen, da hat Walter recht. Das ist aber auch eine Binsenweisheit, denn tatsächlich machen Gerichte ja nichts anderes. Die "Einzelfälle" allerdings in Position gegen die statistische Evidenz zu bringen, verschleiert die Strukturen und Muster, die Femiziden zugrunde liegen. Es ist eben nicht so, dass Männer ihre (Ex-)Frauen umbringen, weil "sie eine ganz bestimmte Frau sind", wie der Autor behauptet. Sondern weil es immer noch ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen gibt. Wir haben ein Problem mit männlicher Gewalt gegen Frauen. Nicht umgekehrt. Das ist tief in unserer Gesellschaft verankert. Und das ist ziemlich gut belegt. Deshalb lassen sich Femizide nicht einfach auf individuelle Beziehungstaten reduzieren.

Das Problem sind aber nicht bloß veraltete Strafgesetze, die jetzt endlich reformiert werden sollen, sondern auch die Rechtsprechung. Die Führungspositionen in der Justiz sind immer noch zu rund 70 Prozent in Männerhand. Richter und Richterinnen denken bei der Beurteilung der Fälle immer noch patriarchal und sehen daher die Frauenverachtung der Täter nicht. Im Gegenteil: Am Bundesgerichtshof ist es immer noch gängige Auffassung, dass kein Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe vorliegt, wenn "eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist".

Deshalb können sie - so wie der Autor und Richter Walter - verstehen, wenn ein Mann seine Partnerin tötet, nachdem sie sich wegen einer neuen Beziehung trennen wollte. In den Worten des Autors schwingen die misogynen Klischees des victim blaming mit, wenn er schreibt, dass eine Tötung "menschlich erklärlicher" ist, wenn "die Frau den ihr treu ergebenen, stets friedlichen, nichts ahnenden Mann betrogen hat und ihm zwei Tage nach einer Versöhnung eröffnet, sie liebe allerdings den anderen, der sei ein besserer Mensch, ihm in allem 'tausendmal' überlegen, 'auch im Bett', und er - ihr Mann - solle sich jetzt aus ihrem Leben 'verpissen', denn er habe sie nicht verdient."

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