Landsberg - „Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler." Was Shakespeare gefiel, gefällt auch Hendrik Höfgen aus Klaus Manns „Mephisto". Höfgens ‚aasigen' Umgang mit dem NS-Regime hat das Potsdamer Neue Globe Theater auf die Bühne gebracht: als grandioses Cabaret-Stück.
Ist es jetzt Gustaf Gründgens, den Klaus Mann da alias „Hendrik (nicht Heinz, nicht Henrik, mit D, bitte!) Höfgen niederschrieb? Nicht doch, sagte der Autor, „ist nur ein symbolischer Typus". Oder eben „ne dolle Type", wie Neues-Globe-Regisseur Kai Schrickel den wirr-irren Autoren Theophil Marder im Dauerrefrain rattern lässt. Ne Type, derer es im NS-Regime einige gab. Zum Beispiel Gustaf Gründgens, den der Autor Hermann Kesten Klaus Mann konkret als Vorbild eines Romans „eines homosexuellen Karrieristen im dritten Reich" vorschlug. Und auch die anderen Figuren in „Mephisto" haben reale Entsprechungen: „Der Dicke" - Göhring, oder „Barbara" - Erika Mann; So viel zum Who is Who.
Das Neue Globe greift dieses Ebenen-Spiel auf und dreht es weiter: Das Bühnenbild schwenkt hinter den roten Vorhang, zur Künstlergarderobe. Martin Radecke spielt (umwerfend gut!) eine Doppelrolle: Höfgens Geliebte Juliette - Gründgens war homosexuell - und als Conférencier zugleich den Erzähler, zu dessen Worten seine „Figuren" parallel spielen - das ist also Klaus Mann. Und dann sind da die Songs, die dem Stück das Flair von „Cabaret" verleihen und es zur Show wandeln. Einen Hut, den Schrickel Manns Roman überstülpt, eine Einbeziehung des (realen) Publikums als (fiktive) Zuschauer: „Willkommen, Bienvenue!" Schließlich sind wir doch alle nur ganz gewöhnliche Schauspieler. Womit das Neue Globe wieder bei Manns ursprünglicher Frage ankommt: die der Mitläufer, stets das eigene Wohl im Fokus. Wie Höfgen, der dreht und deichselt, um seine Gier nach Bewunderung zu stillen. Dabei nicht unsympathisch, nicht wahr? Man kann ihn da fast verstehen, oder? Auch Nazifreund Hans Miklas kommt als Mensch daher. Ihn einfach zu verachten, funktioniert nicht. Und wie ähnlich seine Ansichten anfangs denen des Kommunisten Otto Ulrich sind. Ups. Nicht umsonst sind beide Rollen mit Marco Litta besetzt - ein Doppelbesetzungsspiel, das Schrickel konsequent durchzieht. So spielt Andreas Erfurth nicht nur den wirren Marder, sondern auch „Den Dicken". Allein Laurenz Wiegand als Höfgen hat nur eine Rolle. Denn Höfgen trägt den Zwiespalt ja in sich. Wie jeder von uns, wir ganz gewöhnlichen Menschen. Erschreckend.
Unsinn und EntsetzenSchrickels Ebenenspiel funktioniert auch sonst prächtig: Wir wippen zu „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da", kichern zur Strand-Ulkszene mit rudimentärem Text von „La Mer" - nämlich „la mer" - zucken zusammen, wenn sich „Heil" auf „geil" reimt und winden uns, wenn Radecke alias Conférencier/Juliette (umwerfend gut!) „Auf, auf zum Kampf" singt, natürlich in der für die SA umgeschriebenen Version von 1930. Fallhöhen vom prallen Unsinn über hintergründiges Schmunzeln hin zum stillen Entsetzen.
Dass das so gut funktioniert, liegt vor allem am Ensemble. Allen voran Radecke: Wow! - hatten wir schon erwähnt, wissen wir. Er ist der Marionettenspieler, dessen Figuren nach seinen Worten tanzen. Und der als Juliette selbst seinen Worten zum Opfer fällt und wie Mann ins Exil muss. Ein perfektes Spiel auf dem Grat zwischen Charme, Niedertracht, „aasigem Lächeln" und Ernst bietet Laurenz Wiegand als Höfgen. Da fällt nichts ins Lächerliche, bei aller hehren Moral schimmert aber immer die Gier durch. Jessica von Wehner glänzt, auch stimmlich, als Barbara oder Dora Martin. Und Nora Backhaus mäandert zwischen verführerischer Nicoletta und perfekter, derbdraller Lotte Lindenthal - alias Emmy Göhring.
Man spürt das „Herzblut", das Ensemble und Regisseur in dieses Stück gesteckt haben und das Erfurth auch in seinem traditionellen Schlusswort ans Publikum erwähnt. Und deshalb geht das Stück auch ans Herz. Das Neue Globe Theater Potsdam kann's eben: Theater, wie es sein soll.
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